Hermann Knoflacher
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Verkehr

Hermann Knoflachers Welt ohne Auto

Jahrzehntelang hat sich der gebürtige Kärntner Hermann Knoflacher als Verkehrsplaner an der TU-Wien einen Namen als Verfechter des öffentlichen Verkehrs und Mahner vor Pkw-Blechlawinen einen Namen gemacht. Noch heute gibt der 81 Jahre alte Fußgänger aus Leidenschaft und Erfinder des „Gehzeuges“ sein Wissen international weiter.

Der Dorfplatz oder ein Wirtshaus seien der ideale Ort, um sich zu treffen, unterstrich Knoflacher beim Interviewtermin mit ORF Kärnten-Redakteur Peter Matha in der Lounge des Klagenfurter Hauptbahnhofes. „Ich leide darunter, dass die Gasthäuser vernichtet wurden – nicht zuletzt durch die Tätigkeit meiner Disziplin bzw. durch das Verkehrssystem. Gasthäuser sind Orte, wo man da bleibt. Das Auto ist eine Einrichtung, um wegzufahren.“

Nach Kindheit in Korpitsch Studium in Wien

Nach dem Krieg in Villach geboren erlebte er eine beinahe autofreie Umwelt während seiner Kindheit und Jugend in Korpitsch, heute St. Leonhard-Süd, rund 15 Kilometer von Villach entfernt. Seine Vorfahren seien über 700 Jahre dort nachweisbar: „Meine Füße wissen, was der Erdboden bedeutet. Das schätze ich“, sagte Knoflacher. Heute hingegen sei das Dorfleben weitgehend vernichtet: „Früher gab es Geselligkeit, Kultur, man sang. In meiner Familie war es ein angenehmes, bildungsreiches Leben, denn es wurde bei uns auch zweisprachig geredet.“

Zu Gast bei „Kaffee und Kuchen“

Das ausführliche Interview mit Hermann Knoflacher hören Sie am 31. Oktober 2021 bei „Kaffee und Kuchen“ im Programm von Radio Kärnten.

Durch Fürsprache seiner Lehrer an der Mittelschule in Villach, die überzeugt davon gewesen seien, dass er studieren sollte, begab er sich – mit dem Zug, weil die Verbindung besser war als jene nach Graz – nach Wien und wurde Verkehrsplaner, erzählt Knoflacher. Die Materie sei ihm immer „verdächtig“ vorgekommen, „weil sie im Unterschied zu den konstruktiven Fächern damals sehr zweifelhafte Grundlagen hatte“. Er habe nebenbei unter anderem Mathematik studiert, wo schlüssige und klare Instrumente vorherrschten: „Da hat das ganze Verkehrswesen mit den komischen Annahmen usw. überhaupt nicht hineingepasst.“ Er fing an, die Grundlagen zu überprüfen und fand – eigenen Angaben zufolge – permanent doppelte Böden und Löcher.

Verkehrswesen anfangs ohne wissenschaftliche Grundlagen

„Das traditionelle Verkehrswesen hatte damals – außer Annahmen, wie es heute noch leider an den meisten Universitäten gelehrt wird – keine wissenschaftlich fundierten Grundlagen. Man glaubte damals an Mobilitätswachstum und übernahm amerikanische Kopien. Man glaubte an Zeiteinsparung durch Geschwindigkeit und man berechnete Dinge, die einen Nutzen aus der Zeiteinsparung bringen und glaube an die Freiheit der Verkehrsmittelwahl – wenn man mehr Autos hat haben wir mehr Mobilität und lauter so Unsinnigkeiten.“

Dieses Denken sei laut Knoflacher dann Mitte der 1970er Jahre von ihm zerstört worden. Das reale Verkehrswesen schaue anders aus: „Wir identifizieren uns mit dem Auto und es setzt sich bei uns im Stammhirn fest. Wir glauben, wir sind das Auto und – weil es im Stammhirn ist – denken wir Auto und handeln Auto.“ Das, was im Hirn sei, komme bei den Planern aus dem Mund und in den Plänen zum Vorschein. „Wir haben aus der seinerzeitigen Welt für Menschen eine Welt für Autos gebaut“.

Frontscheinwerfer von Neuwagen
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Laut Knoflacher rücke die Welt für Autos an die Stelle der Welt für Menschen

Verfechter einer menschengerechteren Lebenswelt

Für die einen ist er schlichtweg ein Autohasser, für die anderen einer, der den Menschen erklären will, wie unvernünftig es sei, teure, tonnenschwere Gefährte, die die Umwelt verschmutzen und die Straßen verparken, zu benutzen. Bei der Vision einer menschengerechteren Lebenswelt ist er provokant, aber wissenschaftlich fundiert. Die Gedanken und Ideen des eremitierten Professors, finden nicht nur Freunde. So ist er der Ansicht, dass der Verkehr ein künstliches System bzw. der Randbedingungen, dienvon der Politik geschaffen wurden.

In den 1970er Jahren erfand er – in Anlehnung an das Fahrzeug – das Konzept des Geh- und Stehzeuges. Ein Rahmen, der genauso groß ist wie ein Auto und um einen Fußgänger herum zeigt und den Platzverbrauch der Gefährte auf vier Rädern verdeutlichen sollte. Sein Konzept habe weltweit Wirkung gezeigt und werde noch heute bei Demonstrationen gegen den Autoverkehr eingesetzt: „Ich habe überhaupt nichts gegen das Auto – es steht nur am falschen Platz. Es hat nichts in Dörfern und Städten verloren. Sie müssen draußen bleiben, dann können wir wieder leben wie Menschen.“

Hermann Knoflacher mit Gehzeug
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Hermann Knoflacher mit seinem „Gehzeug“

Wohnsituation bringt Menschen oft zur „Flucht“ mit Auto

„Richtige“ Wohnungen mit Speicherräumen – entweder am Dachboden oder im Keller – gebe es heutzutage immer seltener. Viele Bürger seien Opfer eines kriminellen Wohnungsbaues, so Knoflacher. Die heutigen „Wohnboxen“ würden Probleme mit sich bringen und die Menschen würden etwas brauchen, um flüchten zu können. Das Auto passe perfekt dazu.

Die Entwicklungen der vergangen Jahrzehnte hin zu weniger Straßen und mehr Gründflächen würde zeigen, dass es letztendlich keine Zeiteinsparung im System gebe. Auch die Schönheit spiele eine wesentliche Rolle, damit die Leute an Orten bleiben und nicht wegfahren. Es gebe auch kein Mobilitätswachstum, denn man könne entweder mit dem Auto oder mit der Eisenbahn fahren oder zu Fuß gehen. Die einzige Verkehrsart, für die der Mensch evolutionär ausgestattet sei, sei das Zufußgehen. „Alles andere verstehen wir nicht“, so Knoflacher. Er räumt ein, dass Österreich diesbezüglich nicht so schlecht dastehe. Immerhin gab es in Klagenfurt schon Anfang der 1960er Jahre die erste Fußgängerzone Österreichs. Anfang der 1970er Jahre habe auch er an der Erweiterung dieser mitgearbeitet. „Hätten wir das nicht gemacht, wären die Städte noch toter als sie sowieso schon sind.“

Radfahrer in der Klagenfurter Fußgängerzone
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Die Klagenfurter Fußgängerzone wird immer wieder auch von Radfahrern genutzt

Knoflacher: Autofahrer gleichen oft asozialen Wesen

„Jeder Mensch fährt gerne Auto, aber jeder Mensch, der sich sozial verhält, fährt nicht überall Auto. Ein Autofahrer ist ein unheimlich asoziales Wesen. Aber er beherrscht natürlich die Medien, weil er jede Menge Geld in Bewegung setzt und er schafft Unglück. Menschen, die unglücklich sind, fahren gerne woanders hin.“

Er selbst besitze seit 22 Jahren kein Auto. Mit dem Wagen seiner Frau samt Anhänger führe er Holz, Heu und Mist aus: „Das Heu führe ich zum Bauern, das Holz führe ich nach Hause und den Mist brauche ich für meinen Garten. Dafür brauche ich den Anhänger und ich kann mir keinen ausborgen, weil das unangenehm wäre.“ Knoflacher war eine zeitlang Fußgängervertreter der Vereinten Nationen, legte dann aber dieses Amt nieder, weil die Anliegen der Fußgänger nicht erhört worden seien: „Das Kennzeichen eines Fußgängers ist ein aufrechter Gang, also die hohe geistige Mobilität. Das braucht man beim Autofahren nicht.“

Leih-E-Scooter
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E-Scooter erleben derzeit einen Boom

Kritische Gedanken zu E-Scooter, HL-Strecken und Co.

Seit 1975 ist der Kärntner an der Technischen Universität Wien tätig. Er macht sich immer noch Gedanken über die Verkehrsplanung der Zukunft. Klar ist für ihn: Je leichter es man den AutofahrerInnen macht, desto mehr Autos kommen auf die Straße und desto weniger Lebensraum bleibt für die Fußgänger. Auch Elektroscooter, Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecken und Flugverbindungen mit Regionalflughäfen seien zu überdenken.

Fliegen sei für ihn überhaupt die entwürdigendste Mobilitätsform, die es gebe: „Erstens müssen Sie sich beim Einsteigen anstellen wie das liebe Vieh. Die Ohrmarken werden kontrolliert usw. Sie werden dann angeschnallt und im Flugzeug gefüttert so ähnlich wie die Hühner in der Batterie.“ Er sei selbst aufgrund seiner internationalen Engagements auch viel geflogen, habe es aber immer sehr ungern gemacht.

Bahnhof Kühnsdorf
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HL-Strecke Koralmbahn

In Hochgeschwindigkeitsbahnen sieht Knoflacher eine „Gaunerei der Tunnelbauer“, weil man damit der Eisenbahn nur schade: „Sie können eine Eisenbahn nur aufwerten, indem sie viele Bahnhöfe machen und nicht, indem sie bei möglichst vielen Bahnhöfen möglichst schnell vorbei fahren. Das ist vollkommener Schwachsinn. Das dient jenen, die diese Projekte den Politikern einredeten.“

„Geld besser in Orte investieren als an ihnen vorbeifahren“

Kritik übt er auch an der Baltisch-Adriatischen-Achse: „Es gab einmal eine Bernsteinstraße vom Baltikum zur Adria, damals gingen die Leute aber noch zu Fuß. Das war eine meiner ersten Publikationen. Die Ortschaften entstanden durch die Halte. Überall, wo Sie halten, können Sie Nutzen schaffen. Überall, wo Sie fahren, sind Sie ein Fremdkörper, der stört.“ Auch die Gesamtgesellschaft erleide einen Schaden, „weil das Geld, das wir brauchen, um der Bevölkerung in den Ortschaften zu helfen, damit sie dort besser leben kann, verschwindet im Loch, aber uns bleiben die Schulden.“

Knoflacher hinterfragt ironisch auch den Sinn von Schnellverbindung – wie etwa jener, mit der man in 40 Minuten von Klagenfurt nach Graz und weiter nach Wien fahren könne: „Muss man denn immer nach Graz oder Wien fahren – ist es in Klagenfurt so schirch?“ Er hätte es sinnvoller gefunden, die Hälfte des Geldes zum Beispiel direkt in Klagenfurt und Villach zu investieren, „als ein Loch in den Berg zu bauen“.

Ein Flughafen in Klagenfurt sei – laut Knoflacher – ebenso wenig sinnvoll wie jener in Bozen, der mehrfach untersucht worden sei: „Es ist schade um die Zeit, die darauf verwendet wird, darüber zu streiten. Macht etwas Anderes, Gescheites.“

„Geschwindkeit erzeugt Probleme“

Das weltweit starke Bevölkerungswachstum führt dazu, dass es fast überall immer enger werde – Entspannung des Verkehrsgeschehens Fehlanzeige. Die Gesellschaft erzeuge permanent Schwierigkeiten, die sie dann mit einem Werkzeug zu lösen versuche, das aber die Schwierigkeiten produziere: Geschwindkeit. Laut dem Experten sollte – dem Kraftfahrzeuggesetz entsprechend – jedes Fahrzeug, das mit einer künstlichen Energie angetrieben wird, auch als Kraftfahrzeug gemeldet werden. Dazu würden auch E-Scooter und E-Bikes zählen: „Wir haben die Augen aus grüner oder sonstiger Ideologie zugedrückt und freuen uns, wenn die Leute mit soetwas herumfahren statt mit dem Auto. Das ist genauso schlecht. Es führt natürlich nicht zu den verherenden Auswirkungen eines Speckgürtels wie das Auto, aber es ist meiner Ansicht nach ein Fehler in der Verkehrspolitik, wie viele andere.“

Die faktsiche Erreichbarkeit von Arbeitsplätzen sei gerade für Menschen, die auf dem Land leben, problematisch. Falsche vorhandene Strukturen, die das Lokale und die Arbeitsplätze zerstören, würden seit Jahrzehnten vorherrschen: „Da muss man sich dann nicht wundern, dass man in der Falle sitzt.“ Eine Änderung der Bauordnung etwa sei durch einen Beschluss im Landtag leicht realisierbar, sagt Knoflacher und plädiert dafür, künftig keine Parkplätze mehr in der Nähe von menschlichen Aktivitäten in den Städten zuzulassen: „Das heißt aber nicht, dass sie nicht mehr mit einem Auto Sachen liefern können, dass die Rettung oder Körperbehinderte zufahren können. Das sind ungefähr vier bis fünf Prozent der Bevölkerung.“

Bahnhofstraße im Winter
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Parkplätze in der Klagenfurter Innenstadt

„Gehen bietet Entdeckungsspielraum“

Investitionen müssten am Land getätigt werden, weil dort die Ressourcen der Zukunft liegen, so der Verkehrsplaner. Er habe den Eindruck, die Pandemie habe letztendlich zu keinem wirklichen Umdenken bei den Menschen geführt. Doch gerade das Gehen im richtigen Umfeld sei eine wichtige Entdeckung. Beim Zufußgehen könne man spannende Beobachtungen machen, die einem entgehen, wenn man mit dem Auto fahre: „Eine Wunderwelt der menschlichen Aktivitäten.“ In diesem Sinne wünscht sich Knoflacher mehr Bodenverankerung, anstatt herumzufahren.