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Chronik

Mehr Diversionen für kriminelle Jugendliche

Meist werden Jugendliche wegen Diebstählen, Drogenmissbrauchs und Körperverletzung angezeigt. Der Trend zeigt, dass die Täter jünger werden und die Verbrechen schwerer. Während die Zahl der Anzeigen steigt, sinkt die Zahl der strafrechtlich verurteilten Jugendlichen. Oft wird auf eine Diversion gesetzt.

Laut Tina Frimmel-Hesse von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt ist die Diversion eine Möglichkeit, Jugendlichen bei straffälligem Verhalten eine zweite Chance zu geben. Sie gelte für Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren und kann bei schwereren Delikten angewendet werden. Wenn ein Jugendlicher erneut straffällig wird, gibt es keine weitere Diversion.

Neustart für kriminelle Jugendliche

Unterschiedliche Möglichkeiten des Ausgleichs

Eine Diversion ist immer mit Auflagen verbunden, wie zum Beispiel der Begleitung durch eine Organisation wie Neustart. Es gibt verschiedene Arten der Diversion, wie außergerichtlicher Tatausgleich, gemeinnützige Leistung, Geldbuße oder Probezeit mit Pflichten. Wegen fehlender eigener finanzieller Mittel werde die Geldbuße unter Jugendlichen selten eingesetzt.

Oft werde auch Bewährungshilfe angeordnet: „Das macht bei Jugendlichen oft sehr viel Sinn, weil sie natürlich auch oft keinen Ansprechpartner haben, der ihnen in gewisser Weise im Leben hilft, bei Wohnungssuche, Arbeitssuche und dergleichen.“ Laut Frimmel-Hesse sei es wichtig, auch das Umfeld und die Familie zu unterstützen, um die Jugendlichen wieder auf den rechten Weg zu bringen.

Experte: Straffälligkeit entsteht nicht zufällig

Steffen Felscher, der Leiter des Vereins Neustart in Kärnten, sagt, es müsse in den meisten Fällen auf verschiedenen Ebenen angesetzt werden, um junge Straftäter aus ihrem Umfeld „herauszureißen“: „Es ist zum einen oft das Thema Arbeit, das Thema Grundversorgung und natürlich auch der jeweilige Umgang, die sogenannte ‘Peer Group‘ oder auch das familiäre Umfeld, was das Ganze in den einzelnen Bereichen doch sehr schwierig und herausfordernd macht.“

Dass junge Menschen straffällig werden, geschehe nicht zufällig. Meist gehe dem ein sehr langer Prozess vor: „Das geschieht nicht von heute auf morgen. Wir reden über Sozialisation, wir reden auch über den Umgang, natürlich auch das Umfeld, in dem sich die jeweilige Person entwickelt, wo sie aufwächst. Das kann die Familie sein oder auch verschiedene andere Institutionen oder zumindest Sozialisationsinstitutionen.“

Ein Blick in die Statistik zeige, dass oftmals junge Männer straffällig werden. Laut Felscher gebe es für diese Entwicklung verschiedene Erklärungsmodelle aus dem Bereich der Entwicklungs- Sozialisationstheorien. „Ich bin kein Kriminologe, auch kein Soziologe, aber ich denke schon so aus dem ersten Impuls heraus ist es so, dass Männer im Vergleich zu Frauen sicherlich auf andere Handlungsstrategien zurückgreifen und das natürlich dann auch in Konfliktsituationen und dass das sicherlich auch ein Unterschied ist.“ Das führe dazu, dass es dann auch eher die Männer sind, die beim Verein Neustart in Beratung gehen.

Statistik: Keine Tendenz zu mehr Kriminalität

Dass heutzutage die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen höher sei als früher einmal, wie es zum Beispiel beim Betrachten des Gerichtsspiegels den Anschein habe, bestätigte der Experte nicht: „Es gibt, wenn man die Zahlen der letzten zehn Jahre seriös vergleicht, ganz klare Indizien und Anhaltspunkte, dass das nicht so ist. 2018 hat man auch eine andere Zählweise eingeführt. Vorher war es die Einzelzählweise, also auch auf Personen bezogen, heute gilt die Mehrfachzählweise. Es ist de facto so, dass in einzelnen Bereichen, auch wenn wir über Tatverdächtige im Kontext Leib und Leben reden, die Zahl im Vergleich zu 2012 zum Beispiel stark zurückgegangen ist. Also das kann man auch ausschließen, dass es da auf jeden Fall eine Tendenz gibt.“

Die Pandemie habe sicher einen gewissen Nachzieheffekt und könne für statistische Ausreißer sorgen. Davon jedoch einen generellen Trend abzuleiten sei zu verfrüht, unterstrich Felscher.

Bewährungshilfe soll Weg zur Straffreiheit begleiten

Es gehe darum, aus Einzelstraftätern keine Wiederholungstäter werden zu lassen. Ziel sei es, ihnen – mit sozialarbeiterischen Interventionen – ein Leben in Straffreiheit zu ermöglichen. In vielen Fällen würde das auch gelingen, was auch aktuelle Zahlen belegen, so Felscher: „Allein in der Bewährungshilfe reden wir von einem Anteil von 70 Prozent der Personen, die drei Jahre nach Beendigung dieser Maßnahme auch straffrei bleiben; ähnlich wie auch in den diversionellen Leistungen wie Tatausgleich oder gemeinnützige Leistung. Hier liegt der Anteil sogar bei mehr als 80 Prozent.“

Zu argumentieren, Straftäter einfach wegzusperren oder die Strafen zu erhöhen sei der falsche Ansatz, so der Leiter des Vereins Neustart: „Es hält Straftäter nicht davon ab, auch Strafen zu begehen. Wenn jemand in einer Justizanstalt etwas lernt, dann sind das natürlich die sozialen Verhaltensweisen. Mit der Bewährungshilfe zum Beispiel hat man über einen langen Zeitraum, wir reden hier im Schnitt von 2,5 Jahren, die Möglichkeit, am Verhalten und der Einstellung der jeweiligen Person zu arbeiten.“ Es gebe dabei viel mehr Möglichkeiten als im reinen Vollzug, so Felscher.