Fahnenträger bei 10. Oktober Soldatengedenken am Friedhof Annabichl
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Chronik

100 Jahre Kärntner Volksabstimmung

Nach dem Ersten Weltkrieg sind die Grenzen in ganz Mitteleuropa neu gezogen worden. In Südkärnten wurde die Bevölkerung am 10. Oktober 1920 gefragt, ob sie zum Königreich Jugoslawien gehören oder bei Österreich bleiben wolle. Der Abstimmung zugunsten des Verbleibs ging ein Abwehrkampf voraus.

Am 11. November 1918, nach der Niederlage der Donaumonarchie im Ersten Weltkrieg, erklärte die provisorische Kärntner Landesregierung den Beitritt zur Republik Deutschösterreich, die ihrerseits den Anschluss an das Deutsche Reich anstrebte. Am 1. Dezember 1918 beanspruchte das neue Königreich der Serben, Kroaten und Slowenien (SHS) das slowenischsprachige Gebiet Südkärntens für sich, wovon es Teile auch militärisch besetzte.

Am 5. Dezember 1918 beschloss die Kärntner Landesregierung den bewaffneten Widerstand gegen die eindringenden Truppen, der Kärntner Abwehrkampf begann. In der Folge wurden wichtige Orte wie Arnoldstein, Ferlach und Grafenstein zurückerobert. Am 14. Jänner 1919 wurde ein Waffenstillstand geschlossen. Eine US-amerikanische Kommission („Miles-Mission“) studierte an Ort und Stelle die strittigen Fragen.

Klagenfurt wurde besetzt

Diese Mission schlug daraufhin eine Grenzziehung entlang der Karawanken vor, was als entscheidende Weichenstellung zugunsten Österreichs galt. Am 6. Juni 1919 kam es zu einem weiteren Vorstoß der SHS-Truppen, die auch Klagenfurt besetzten. Dieses musste aber nach Aufforderung der Obersten Rates der Alliierten wieder geräumt werden.

Im Friedensvertrag von St. Germain im September 1919 wurde eine Volksabstimmung in Südkärnten vorgesehen. Beim Abwehrkampf gab es auf Kärntner Seite rund 200 Tote und 800 Verwundete.

Zwei Abstimmungszonen eingeteilt

Es wurden zwei Zonen für die Abstimmung eingeteilt: Die südliche Zone I bzw. A, in der zuerst abgestimmt werden sollte, blieb unter jugoslawischer Verwaltung, die nördliche Zone II bzw. B (einschließlich Klagenfurts) unter österreichischer. Ohne Abstimmung wurde das Kanaltal an Italien abgetreten sowie das Mießtal, Unterdrauburg und das Seeland an das SHS-Königreich. Die Grenze zwischen den beiden Zonen verlief östlich von Villach, durch den Wörthersee und nur wenige Kilometer südlich von Klagenfurt. Die nördliche Zone umfasste auch das Nordufer des Wörthersees sowie die Landeshauptstadt.

Aufschrift auf Plakat Mutter stimme nicht für Jugoslawien da ich sonst für König Peter einrücken muss
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Plakate vor der Abstimmung, die in einem slowenischen Museum hängen: „Mama, stimmen Sie nicht für Jugoslawien, weil ich sonst für König Peter kämpfen muss“

Propaganda vor dem Votum

Nach einer heftigen Propagandaschlacht fand am 10. Oktober 1920 in der Zone I die Volksabstimmung statt. Eine Mehrheit von 59 Prozent (Beteiligung 96 Prozent) sprach sich für Österreich aus. Allerdings votierten 18 Gemeinden mehrheitlich für Jugoslawien. Eine von ihnen, das am äußersten Ostrand der Zone I gelegene Leifling/Libeliče wurde Jugoslawien im Zuge von Grenzbegradigungen angegliedert. Eine Abstimmung in Zone II war wegen des überwältigenden Votums nicht mehr nötig.

Landesregierung gab Versprechen ab

Kurz vor der Abstimmung gab die Kärntner Landesversammlung das Versprechen ab, dass sie die „sprachliche und nationale Eigenart (der Slowenen) jetzt und alle Zeit wahren will“. Am 20. Oktober 1920 schrieb der Kärntner Landeschef Arthur Lemisch über jene mehr als 10.000 Kärntner Slowenen, die für Jugoslawien gestimmt hatten: „Nur ein Menschenalter haben wir Zeit, diese Verführten zum Kärntnertum zurückzuführen. Mit deutscher Kultur und Kärntner Gemütlichkeit wollen wir in einem Menschenalter die Arbeit geleistet haben.“

Im Jahr 2020 schlug der Kärntner Heimatdienst versöhnlichere Töne an. Obmann Josef Feldner sagte, man versuche, wegzukommen von einer ausschließlich heroisierenden Sichtweise dieser Ereignisse. Man habe gesagt, die, die für Jugoslawien gestimmt haben, seien Verräter an Kärnten. „Das darf es nicht mehr geben. Jeder, der damals für Jugoslawien gestimmt hat, hatte das Recht darauf“ – mehr dazu in Heimatdienst gedenkt Hans Steinachers.

Van der Bellen: Neues Zusammengehörigkeitsgefühl

Bundespräsident Alexander Van der Bellen blickt positiv auf den 100. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung am Samstag. „Hier entwickelt sich ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl, ganz jenseits der alten Trennlinien, was auch sehr vernünftig ist“, sagte er im Interview für die APA und die slowenische Nachrichtenagentur STA in Wien.

Historisch gesehen sei es von den Alliierten richtig gewesen, die Bevölkerung zu fragen, so Van der Bellen. Die Bevölkerung Kärntens habe sich damals mehrheitlich für den Verbleib bei der jungen Republik Österreich entschieden. Er finde das interessant, weil außerhalb von Kärnten die Sorge groß war, dass dieser Staat überhaupt nicht lebensfähig sein werde, und „hier war eine Gruppe, die gesagt hat: Ja, wir wollen da bleiben.“

Eine Grafik zeigt die Ergebnisse und Abstimmungsgebiete der Kärntner Volksabstimmung 1920
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

„Umgang mit Minderheit nicht befriedigend“

„Es ist unbestreitbar, dass der offizielle Umgang mit der slowenischen Minderheit in Kärnten über Jahrzehnte nicht befriedigend war, um es milde auszudrücken. Andererseits bin ich sehr froh, dass es jetzt viele Zeichen gibt, die für eine Entspannung und für eine deutliche Verbesserung der Lage sprechen, nämlich die Zunahme der bilingualen Schulen, der bilingualen Kindergärten, die sich eines hohen Zuspruchs erfreuen. Und zwar nicht nur von Menschen slowenischer Muttersprache, sondern auch von Menschen deutscher Muttersprache, und, wie ich höre, kommen jetzt sogar Kinder aus Slowenien zu diesen bilingualen Schulen in Kärnten.“

Es sei das erste Mal, dass beide Präsidenten, der Bundespräsident aus Österreich und der Staatspräsident aus Slowenien, Borut Pahor, an einem Festakt zur Volksabstimmung teilnehmen. „Das ist ein sehr schönes Zeichen, das nicht vom Himmel gefallen ist", so der Bundespräsident.

Pahor: Kärntner Landesleute

Der slowenische Präsident Pahor sieht seinen Auftritt bei den Volksabstimmungsfeiern am Samstag in Klagenfurt als Wagnis. „Die Zeit wird zeigen, wie mutig wir waren und ob irgendwer naiv war“, sagte Pahor im Interview für die slowenische Nachrichtenagentur STA und die APA in Brdo bei Kranj. Er bekannte sich zum Schutz der Deutschsprachigen in Slowenien und kündigte an, in Klagenfurt als Slowene sprechen zu wollen, „der in den Kärntnern Landsleute sieht“.

Aufruf zum Minderheitenschutz

Van der Bellen und Pahor riefen eindringlich zum Minderheitenschutz auf. Er bedauere den Rückgang der Kärntner Slowenen „sehr“ und hoffe auf eine Trendumkehr, sagte Van der Bellen. Pahor sagte, dass auch Slowenien eine „Pflicht“ zum Schutz der deutschsprachigen Volksgruppe habe. Die erstmalige Teilnahme eines slowenischen Staatspräsidenten am Klagenfurter Volksabstimmungsgedenken sei „ein Schwimmen gegen den Strom“ angesichts der zunehmenden „Auffassungsunterschiede auf nationaler, aber auch europäischer Ebene“, so Pahor.