Fotografie der Titelseite der Zeitung der Kärntner Landsmannschaft vom 5 Oktober 1920
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Chronik

Kärntens bewegte Geschichte

Die Bewohner des damals überwiegend slowenischsprachigen Südkärnten haben sich am 10. Oktober 1920 für den Verbleib bei Österreich ausgesprochen. Das Votum war ein Wendepunkt in der Geschichte, brachte aber trotz seines klaren Ergebnisses keine Beruhigung im lange umkämpften Land – eine Chronologie.

Ca. 600 n. Chr.: Gründung des slawischen Fürstentums Karantanien im Gebiet des heutigen Kärnten, mit dem Zentrum in der ehemaligen römischen Stadt Virunum nördlich des heutigen Klagenfurt. Auf der umgedrehten Basis einer römischen Säule, dem Fürstenstein, werden die Fürsten rituell eingesetzt. Die Tradition, bei der ein slowenischer Bauer dem Fürsten erst nach eingehender Befragung den Platz überlässt, hält sich noch bis ins Spätmittelalter.

743: Slawenfürst Borut bittet die Baiern um Hilfe gegen die Awaren, wodurch Karantanien in den bayrischen Einflussbereich gerät. Begleitet wird die Einflussnahme durch christliche Missionen des Bistums Salzburg.

820: Unter Karl dem Großen lösen fränkische Markgrafen die slawischen Stammesfürsten als Landesherren ab, die auch Siedler nach Ober- und Mittelkärnten bringen.

976: Gründung des Herzogtums Kärnten durch Abtrennung von Bayern. Unter der Verwaltung des Herzogtums stehen auch Teile der heutigen Steiermark, fast ganz Slowenien, Verona, Friaul und Istrien. Diese Gebiete lösen sich jedoch schon nach wenigen Jahrzehnten von Kärnten. Die jeweiligen Kärntner Herzöge haben kaum Besitzungen, weil sie von den deutschen Kaisern bewusst schwach gehalten werden. Einzelne Adelsgeschlechter und auch die Kirche haben hingegen ausgedehnte Ländereien, weswegen die Diözese Gurk-Klagenfurt noch heute zu den vermögendsten Österreichs zählt.

1335: Kärnten wird den Habsburgern übertragen und mit Österreich, Steiermark und Krain vereinigt.

1414: Ernst der Eiserne wird als letzter Kärntner Herzog nach dem slawischen Ritual am Fürstenstein eingesetzt.

1478: Kärntner Bauernaufstand infolge der Türkeneinfälle, die vor allem den südlichen Landesteil betreffen. Die bewaffneten Bauern rebellieren nicht nur gegen die Herrscher, sondern stellen sich auch – erfolglos – den Türken entgegen.

1600: Beginn der katholischen Gegenreformation im fast zur Gänze protestantisch gewordenen Kärnten. Es kommt zu wirtschaftlichem Niedergang und einer starken Auswanderung vor allem nach Süddeutschland. Trotzdem ist Kärnten bis heute eine Hochburg des Protestantismus in Österreich.

1782: Unter Kaiser Joseph II. verliert Kärnten seine Selbstständigkeit, indem es der Regierung in Graz unterstellt wird.

1809: Nach seinem Sieg gegen die Habsburger gründet Napoleon Bonaparte die Illyrischen Provinzen, die neben dem heutigen Slowenien und dem kroatischen Küstenland auch Oberkärnten und Osttirol umfassen. Hauptort der Provinz Carinthie wird Villach. Diese Teilung Kärntens ist nach fünf Jahren wieder vorbei, als Frankreich die Illyrischen Provinzen wieder an Österreich abtreten muss. Nun wird ganz Kärnten von Laibach aus regiert, dem Hauptort des neuen habsburgischen Königreichs Illyrien.

1848: Im Zuge der März-Revolution entsteht auch die Idee eines „Vereinigten Sloweniens“ als Zusammenschluss von Gebieten verschiedener Kronländer, darunter Kärnten. Das Manifest für ein „Vereinigtes Slowenien“ wird von dem aus dem Kärntner Gailtal stammenden Geistlichen und Agitator Matija Majar-Ziljski (Matthias Mayer, der Gailtaler) verfasst.

1849: Kärnten wird wieder zum Kronland mit Klagenfurt als Hauptstadt. Zu diesem Zeitpunkt ist Schätzungen zufolge rund ein Drittel der Bevölkerung des Landes slowenischsprachig, insbesondere in ländlichen Gebieten nicht nur Südkärntens, sondern auch rund um den Wörthersee. In Paragraf 3 der 1849 beschlossenen Landesverfassung heißt es daher: „Die im Lande wohnenden Volksstämme sind gleichberechtiget, und haben ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache.“

11. November 1918: Nach der Niederlage der Donaumonarchie im Ersten Weltkrieg erklärt die provisorische Kärntner Landesregierung den Beitritt zur Republik Deutschösterreich, die ihrerseits den Anschluss an das Deutsche Reich anstrebt.

1. Dezember 1918: Das neue Königreich der Serben, Kroaten und Slowenien (SHS) beansprucht das slowenischsprachige Gebiet Südkärntens für sich, wovon es Teile auch militärisch besetzt.

5. Dezember 1918: Die Kärntner Landesregierung beschließt den bewaffneten Widerstand gegen die eindringenden Truppen, der Kärntner Abwehrkampf beginnt. In der Folge werden wichtige Städte wie Arnoldstein, Ferlach und Grafenstein zurückerobert.

14. Jänner 1919: Es wird ein Waffenstillstand geschlossen und eine US-amerikanische Kommission („Miles-Mission“) studiert an Ort und Stelle die strittigen Fragen. Diese Mission schlägt daraufhin eine Grenzziehung entlang der Karawanken vor, was als entscheidende Weichenstellung zugunsten Österreichs gilt.

6. Juni 1919: Neuerlicher Vorstoß der SHS-Truppen, die auch Klagenfurt besetzen. Dieses muss aber nach Aufforderung der Obersten Rates der Alliierten wieder geräumt werden.

10. September 1919: Im Friedensvertrag von St. Germain wird eine Volksabstimmung in Südkärnten vorgesehen. Das Abstimmungsgebiet wird in zwei Zonen geteilt. Die südliche Zone I bzw. A, in der zuerst abgestimmt werden soll, bleibt unter jugoslawischer Verwaltung, die nördliche Zone II bzw. B (einschließlich Klagenfurts) unter österreichischer. Ohne Abstimmung wird das Kanaltal an Italien abgetreten sowie das Mießtal, Unterdrauburg und das Seeland an das SHS-Königreich.

10. Oktober 1920: Nach einer heftigen Propagandaschlacht findet in der Zone I die Volksabstimmung statt. Bei einer Beteiligung von 96 Prozent entfallen 59,04 Prozent der Stimmen auf Österreich. Weil in dem Gebiet die slowenischsprachige Volksgruppe etwa 70 Prozent der Gesamtbevölkerung stellt, votiert ein erheblicher Teil der Kärntner Slowenen für Österreich. Kurz vor der Abstimmung gibt die Kärntner Landesversammlung das Versprechen ab, dass sie die „sprachliche und nationale Eigenart (der Slowenen) jetzt und alle Zeit wahren will“.

Fotografie der Titelseite der Zeitung der Kärntner Landsmannschaft vom 5 Oktober 1920
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Viel Propaganda gegen den SHS-Staat vor der Volksabstimmung

20. Oktober 1920: Der Kärntner Landeschef Arthur Lemisch schreibt wenige Tage nach der Volksabstimmung über jene gut 15.000 Kärntner Slowenen, die für Jugoslawien gestimmt haben: „Nur ein Menschenalter haben wir Zeit, diese Verführten zum Kärntnertum zurückzuführen. Mit deutscher Kultur und Kärntner Gemütlichkeit wollen wir in einem Menschenalter die Arbeit geleistet haben.“

18. November 1920: Die Zone I kommt unter österreichische Verwaltung.

1931: Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) wird bei der Gemeinderatswahl in Klagenfurt zweitstärkste Kraft, das südlichste Bundesland wird zu einer der österreichischen Hochburgen des Nationalsozialismus.

April 1938: Bei der Volksabstimmung über den (bereits vollzogenen) Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland bemühen sich führende Vertreter der Kärntner Slowenen um ein gutes Einvernehmen mit den neuen Machthabern und rufen öffentlich zu einem Ja auf. Diese wollen Kärnten aber endgültig deutsch machen. Schon 1938 verschwinden die zweisprachigen Ortstafeln, ab 1939 gibt es auch keinen zweisprachigen Unterricht mehr. Zahlreiche slowenische Familien werden ins „Altreich“ ausgesiedelt.

1941: Nach dem Sieg über Jugoslawien werden das Mießtal und Oberkrain von Hitler-Deutschland besetzt und unter die Verwaltung Kärntens gestellt. In den Karawanken bilden sich erste Partisanengruppen, nachdem schon ab 1939 erste slowenische Wehrmachtsangehörige aus Kärnten nach Jugoslawien desertiert waren.

1944/45: Vor allem in der Endphase des Zweiten Weltkriegs kämpfen die Partisanen in den Karawanken, aber auch im Sattnitz-Gebiet bei Klagenfurt und auf der Saualpe nördlich von Völkermarkt gegen die Nazis. Rund 500 Partisanen fallen im Kampf, der damit der einzige kontinuierliche, organisierte und bewaffnete Widerstand gegen die NS-Diktatur auf dem Gebiet Österreichs ist.

7. Mai 1945: Wenige Stunden vor dem Eintreffen der britischen Armee übergibt NS-Gauhauptmann Meinrad Natmeßnig die Macht an den Sozialdemokraten Hans Piesch, den die demokratischen Parteien zuvor zum Landeshauptmann gewählt hatten. Zwei Jahre danach muss er wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft zurücktreten.

15. Mai 1955: Der Österreichische Staatsvertrag sichert in Artikel 7 die Rechte der slowenischen Volksgruppe.

1957: In Klagenfurt wird das Bundesgymnasium für Slowenen gegründet. Damit erhält die Minderheit ihre erste eigene Mittelschule.

1958: Deutschnational motivierte „Schulstreiks“ erzwingen das Ende des nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführten verpflichtenden zweisprachigen Unterrichts in den Pflichtschulen.

1972: Nach der Aufstellung von zweisprachigen topografischen Aufschriften kommt es zum „Ortstafelsturm“, die SPÖ-geführte Bundesregierung von Bundeskanzler Bruno Kreisky macht einen Rückzieher. Fünf Jahre später legt eine Topografieverordnung den slowenischsprachigen Bevölkerungsanteil mit 25 Prozent fest. Die erste Ortstafel wird im Jahr 1977 im Ort Zell-Pfarre/Sele-Fara aufgestellt, bis zum Jahr 2002 stehen 71 von 92 Ortstafeln.

1979: Ein Mann und eine Frau aus Jugoslawien verüben einen Bombenanschlag im Völkermarkter Heimatmuseum, das eine Ausstellung zum „Kärntner Abwehrkampf“ beherbergt. Das Museum wird durch die Explosion zerstört, neben einem Mitarbeiter des Museums werden auch die beiden Attentäter verletzt. Sie werden 1980 in Wien zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt, aber schon nach sechs Monaten gegen zwei in Jugoslawien gefasste Spione des Bundesheeres ausgetauscht.

1989: Jörg Haider wird zum Kärntner Landeshauptmann gewählt und macht das Land zur FPÖ-Hochburg. 1991 muss er nach seinem Lob für die „ordentliche Beschäftigungspolitik“ Adolf Hitlers zurücktreten.

1991: Slowenien erklärt sich für unabhängig von Jugoslawien. Österreich erkennt das neue Nachbarland im Jänner 1992 offiziell an.

1995: Bei der Feier zum 75. Jahrestag der Kärntner Volksabstimmung ergreift mit dem pensionierten Gymnasiallehrer Valentin Inzko erstmals ein Vertreter der Kärntner Slowenen das Wort. Bundeshymne und Landeshymne werden erstmals in beiden Landessprachen gesungen, Landeshauptmann ist zu diesem Zeitpunkt Christof Zernatto (ÖVP).

1999: Haider schafft ein fulminantes politisches Comeback und wird wieder Landeshauptmann.

2001: Der Verfassungsgerichtshof hebt die Ortstafelregelung im Volksgruppengesetz auf, weil der Prozentsatz als zu hoch angesehen wird. In der Folge weigert sich Haider, zweisprachige Ortstafeln aufzustellen. Der Verfassungsjurist zieht dabei alle Register, vom Anbringen von kleinen Zusatztafeln bis zum Versetzen von Ortstafeln.

Zweisprachige Ortstafel von Bleiburg Pliberk
APA/Gert Eggenberger
Ortstafel von Bleiberg/Pliberk

2004: Slowenien tritt der Europäischen Union bei, wodurch Slowenisch zur EU-Amtssprache wird.

2007: Slowenien tritt dem Euro- und Schengen-Raum bei. Damit gibt es keine Grenzkontrollen zwischen Kärnten und Slowenien mehr, auf beiden Seiten der Grenze wird mit der gleichen Währung bezahlt. Für scharfe Proteste in Kärnten sorgt, dass Slowenien den Kärntner Fürstenstein auf seine Zwei-Cent-Münze prägt.

wappensaal
ORF
Fürstenstein im Wappensaal des Landhauses Klagenfurt

2009: In der Gemeinde Bad Eisenkappel wird mit Franz Josef Smrtnik erstmals ein Politiker einer slowenischen Liste zum Bürgermeister gewählt. Die südlichste Gemeinde Österreichs hat zu diesem Zeitpunkt bereits eine deutschsprachige Bevölkerungsmehrheit.

2011: Unter Haiders freiheitlichem Nachfolger Gerhard Dörfler wird in Verhandlungen mit der Bundesregierung und Slowenenorganisationen eine Konsenslösung zur Aufstellung von 164 zweisprachigen Ortstafeln gefunden. Dem damaligen Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) gelingt somit, woran seine Vorgänger Wolfgang Schüssel (ÖVP) im Jahr 2006 und Alfred Gusenbauer (SPÖ) im Jahr 2007 gescheitert waren – mehr dazu in 2011: Das Jahr der Ortstafellösung (kaernten.ORF.at; 27.12.2011).

– LH Gerhard Dörfler, Sts. Josef Ostermayer, Sloweniens Ministerpräsident Borut Pahor sowie der kärntner SPÖ-Chef Peter Kaiser am Dienstag dem 16 August 2011 im Rahmen eines Festaktes zur Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten
APA/Gert Eggenberger
V. l. n. r.: LH Gerhard Dörfler, Staatssekretär Josef Ostermayer, Sloweniens Ministerpräsident Borut Pahor sowie der Kärntner SPÖ-Chef Peter Kaiser am Dienstag, 16. August 2011, im Rahmen eines Festaktes zur Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln in Kärnten

2017: Nach kontroversen Debatten beschließt der Landtag eine Änderung der Landesverfassung, in deren Artikel 5 erstmals ein Bekenntnis zur „gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, wie sie in Kärnten in der slowenischen Volksgruppe zum Ausdruck kommt“, enthalten ist. Offiziell gehören noch rund zwei Prozent der Landesbevölkerung der slowenischen Volksgruppe an.

2020: Bundespräsident Alexander Van der Bellen und sein slowenischer Amtskollege Borut Pahor wollen in Klagenfurt gemeinsam des 100. Jahrestags der Kärntner Volksabstimmung gedenken.