Springerstiefel oder Kampfstiefel mit weißen Schnürsenkeln sind ein rechtsextremes Symbol
dpa/Bernd Thissen
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Chronik

Krisensymptom: Neonazi-Szene wächst

Die extreme Rechte hat Zulauf und organisiert sich laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) auch immer professioneller. Auch Alltagsrassismus sei weit verbreitet und in Krisenzeiten ein Rekrutierungsbecken, so das DÖW.

Eine Frau bäckt eine Geburtstagstorte und schmückt sie mit Nazi-Symbolen bzw. fotografiert mit NS-Symbolen bemalte Ostereier und stellt Fotos davon ins Netz – mehr dazu in Torte mit SS-Runen: Wiederbetätigung. Ein Mann präsentiert Freunden seine Stirn, auf der die Odal-Rune prangt. Die Rune, mit der sich die 7. SS-Freiwilligen-Gebirgsdivision „Prinz Eugen“ dekorierte und die auch von der „HJ“, der Hitlerjugend, verwendet worden sein soll. Ein anderer verbreitet rechtsextreme Bilder und Texte im Internet. Über alle drei Fälle wird diese Woche ein Geschworenengericht in Klagenfurt zu befinden haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Gerichtssprecher: Starker Anstieg bei Wiederbetätigung

Dass Verbrechen nach dem Verbotsgesetz immer häufiger gerichtsanhängig werden, bestätigte auch der Mediensprecher am Landesgericht, Christian Liebhauser-Karl: „Wir haben die Wahrnehmung am Landesgericht Klagenfurt, dass insbesondere die Anklagen und Geschworenenverfahren – denn es ist eine Sonderzuständigkeit – hinsichtlich nationalsozialistischer Wiederbetätigung stark angestiegen sind.“

Rechtsextreme in Gesamtbevölkerung

Deutlich weniger als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung sind laut DÖW Rechtsextreme, der Neonazi-Anteil betrage 1,5 bis drei Prozent.

Mit der Sonderzuständigkeit der Geschworenen bei Wiederbetätigungsprozesse will der Gesetzgeber die Bevölkerung einbinden. Grund: Österreichs Vergangenheit und Mitverantwortung an der Nazi-Diktatur, so Liebhauser-Karl. „Die Geschworenen entscheiden allein über das Urteil.“

Alltagsrassismus auch Alltagsphänomen

Die Anzahl „echter“ Rechtsextremer in Österreich wird auf deutlich unter zehn Prozent geschätzt, weitaus häufiger sei Alltagsrassismus, so Andreas Peham vom DÖW. „Genau – und dieser stellt auch das Problem dar, weil in diesem Milieu des Alltagsrassismus Rechtsextreme dann auch rekrutieren und sozusagen nach Menschen fischen.“

In Krisenzeiten habe die extreme Rechte Hochkonjunktur und erlebe einen regen Zulauf, so Peham: „Die Szene wird größer und leider auch besser, was ihren Auftritt in den Sozialen Medien betrifft.“ Gezielt werde Angstmache für die eigenen Zwecke benutzt. Man denke nur an die jüngsten Aufmärsche von Alt- und Neonazis bei Anti-Coronavirus-Demonstrationen.

In der Krise wollen Ängstliche eine „starke Hand“

Peham sagte weiter: „Es ist banal, aber Krisenzeiten sind sehr günstige Zeiten für die extreme Rechte, weil es Zeiten der Angst und Verunsicherung sind. Menschen, die Angst haben und verunsichert sind, rufen nicht nach mehr Freiheit und Demokratie, sondern nach einer starken Hand, Schutz und Sicherheit.“

Hauptzielgruppe der extremen Rechten seien zwar „junge wütende Männer“, aber die Frauen würden aufholen – auch was die Anzahl an Verurteilungen anbelange, so Peham. „Mehr noch bei der Verhetzung, aber auch bei den Verurteilungen nach dem Verbotsgesetz haben wir zunehmend mehr Frauen unter den Verurteilten.“ Der Grund dafür hänge mutmaßlich damit zusammen, dass das Internet und neue Soziale Netzwerke zunehmend zur öffentlichen Plattform und damit zum Tatort würden.

DÖW: Reale Ängste und Angstmache trennen

Das Problem und die Herausforderung seien nun – in der Präventionsarbeit, aber auch bei den politischen Antworten auf die aktuellen Bewegungen – reale Ängste, „wie wir sie alle haben in Krisenzeiten“ und „die Angstmache dieser ‚Untergängster‘, wie sie schon vor hundert Jahren Karl Kraus genannt hat, auseinanderzuhalten“, so Peham.