Horst Ragusch erklärt Besuchern die Geschichte des Turms
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Türmer zu Klagenfurt geht in Pension

Mehr als sechs Jahre lang war Horst Ragusch Türmer im 92 Meter hohen Stadtpfarrturm Klagenfurt. Er zeigte den Besuchern die Sehenswürdigkeiten der Stadt und erläuterte Geschichte und Geschichten dazu. Nun geht er in Ruhestand. Künftig soll es ein Team von Türmern geben.

225 Stufen sind es bis zur Türmerstube und der Aussichtsplattform unter der Turmuhr. Ragusch ging sie rund 2.500-mal hinauf und hinunter, schätzt er, rund 1,5 Millionen Stufen: „Das ist aber nichts gegen die letzte Türmerin Helene Reichelt, die den Auf- und Abstieg 20.000-mal bewältigt hat.“ Der Weg war für Ragusch vorgezeichnet: „Ich bin gegenüber aufgewachsen. Meine Eltern waren die Wirte im damaligen Lindwurmstüberl, dem heutigen Augustin. Und ich bin da in der Stadtpfarrkirche St. Egyd Ministrant gewesen. Ich kann heute noch scheinheilig schauen.“

Türmer zu Klagenfurt

Sechseinhalb Jahr lang war Horst Ragusch der Türmer des Klagenfurter Stadtpfarrturms. Er geht in Pension, künftig werden sich mehrere Türmer die Position teilen

Sechseinhalb Jahre lang war Ragusch Türmer. Früher hatten Türmer vor allem Brände zu melden, jetzt sind sie historische Führer: „Ich wollte das gar nicht machen, aber dann habe ich mit meinem jetzigen Chef ein Gespräch gehabt. Am Ende haben wir beide gesagt, das war eine Fügung.“ Bei der „Langen Nacht der Museen“ seien in sieben Stunden 1.200 Besucher gekommen, also 150 pro Stunde, so Ragusch. Bei schlechtem Wetter sitze er aber alleine da.

Horst Ragusch im der Türmeruniform
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Horst Ragusch in Türmeruniform

Ehefrau am Turm kennengelernt

Der Stadtpfarrturm führt auch Menschen zusammen. Vor sechs Jahren, kurz vor der „Langen Nacht der Museen“, sei eine Besucherin vorbeigekommen, erzählte Ragusch, sie wurde seine Frau. Auch seine beiden Vorgänger hätten ihre Ehefrauen auf dem Turm kennengelernt.

Sendungshinweis

Radio Kärnten Nachmittag; 9.1.2024

Der Blick von oben über die Stadt ist vertraut und doch immer wieder neu: „Man sieht, wie sich die Vegetation verändert, es gibt oft 160 Kilometer Fernsicht. Man sieht, wie die Nebelschwaden aus dem Rosental auftauchen. Im Herbst, wie die Blätter fallen, wie sich alles verändert. Der Turm hat wirklich Landschafts- und Kulturmagie. Du siehst halb Kärnten, die ganze Kette der Karawanken bis zu den Karnischen Alpen.“

Heimatglocke
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Die Heimatglocke im Turm

Schule der Wahrnehmung

Für Ragusch ist der Turm eine Schule des Sehens, des Wahrnehmens und über die Glocken auch des Hörens. Die dritte der fünf Glocken des Glockenensembles von St. Egyd ist die Marienglocke. „Sie hat Klangklasse 1a und ist eine der schönsten Glocken von ganz Kärnten, eine der reinsten. Das ist aber auch immer Geschmackssache.“

Eine der Glocken im Turm ist vom Klang her eine der tiefsten Glocken Kärnten: die Heimatglocke. Das Läuten ist für Ragusch ein meditativer Ausdruck: „Glocken, also Bronzeelemente, die von innen schwingen und mit Klöppeln geläutet werden, hat nur das europäische Christentum entwickelt.“

Turmuhr
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Die Turmuhr oberhalb der Besucherplattform

Viel über Bauweise gelernt

Viel erfahren, lernen und weitergeben könnte eine der Philosophien von Ragusch sein: „Den Turm habe ich zusammen mit vielen anderen Forschern, die mir Infos weitergeben, erforscht, was Baugeschichte betrifft; welche Hölzer verwendet wurden, wie gemauert wurde, wie man einen guten Klang von Glocken bewirkt durch die Höhe der Glocken und wie man den Turm baut. Ich habe das Glück gehabt, sehr, sehr viel zu erfahren.“

Helene Reichelt mit ihren Töchtern auf dem Turm 1940
Familie Reichelt
Helene Reichelt mit ihren Kindern auf dem Turm

Türmerin zog in der Stube sechs Kinder groß

Einzigartig ist die Geschichte der letzten Türmerfamilie. „Helene Reichelt kam vor genau 100 Jahren auf den Turm mit dem ersten Kind unterm Arm und hat gedacht, die Treppe hört nie auf. Es war eine Wohnung für arme Familien direkt nach dem Ersten Weltkrieg, dem Abwehrkampf, der Spanischen Grippe. Sie hat auf dem Turm in der neun mal neun Meter großen Türmerwohnung sechs Kinder großgezogen. Ihr Mann konnte am Anfang nicht lesen und schreiben, und die jüngste Tochter wurde Dozentin für Atomphysik“, so Ragusch – mehr dazu in Letzte Türmerin zu Klagenfurt.

Stadtpfarrturm Klagenfurt
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Der Stadtpfarrturm von unten

„Das Schöne am Turm ist, es ist eine Klangoase inmitten einer vom Lärm umtosten Stadt“, so Ragusch. Die ursprüngliche Aufgabe der Türmer war es, Feuer zu sichten und Alarm zu schlagen: „Ich habe einmal ein Feuer gesehen in Richtung Saualm. Da wird einem schon ganz anders. Ich rufe ganz aufgeregt bei der Feuerwehr, an und die sagen, da brennt ein Bauer ein großes Feld ab. Und da stehen vier Löschzüge um das Feld herum.“

Blick auf Klagenfurter Innenstadt
ORF/Iris Hofmeister
Blick auf den Turm

Reichelt, die letzte Türmerin, die dort tätig war, habe zweimal ein Feuer über ein Vierteltelefon gemeldet: "Das heißt, wenn jemand anderes bei dem Viertelanschluss telefoniert hätte, hätte sie es nicht melden können.

Künftig Team von Türmern

In Zukunft wird der Stadtpfarrturm zwar weiterhin betreut, aber nicht mehr von einem einzigen Türmer: „Das hat meine Frau auch gesagt. So einen schrägen Typen wie die werden Sie nie mehr finden. Aber ich denke, es ist gut. Und mein Chef Helmuth Micheler, der Tourismusverbandschef, möchte ein Team von Türmern aufbauen. Soll es gelingen, dass eine Vielfalt da neu entsteht.“