MessungErdstöße auf Computermonitor
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Wissenschaft

Schnellerer Datenaustausch bei Erdbeben

Grenzübergreifend wird ja schon lange im Bereich des Erdbeben-Katastrophenschutzes gearbeitet und auch geforscht. Jetzt gibt es unter dem Titel „Armonia“ ein neues, gemeinsames EU-Projekt von sieben Organisationen aus Italien und Österreich. Ziel ist ein noch schnellerer Datenaustausch über die Grenzen.

2020 war in Österreich ein Erdbebenjahr. Fast 1.500 Mal bebte laut Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik die Erde. 69 Beben waren deutlich spürbar. Mit zehn fühlbaren Erdstößen liegt Kärnten an zweiter Stelle in der Bundesländerstatistik und somit deutlich über dem Durchschnitt der vergangenen Jahre. Die jüngsten Beben in Kroatien waren ebenfalls in Kärnten spürbar. Die Stärke des Bebens am 29. Dezember betrug 6,4. Das Epizentrum befand sich rund 170 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt.

Dokumentation Wahrnehmungen Bevölkerung ZAMG nach Erdbeben Kroatien auf Computermonitor
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Erdbeben Kroatien

Hinweise aus der Bevölkerung als wertvolle Quelle

Schwankende Christbäume und Hängelampen, klirrendes Geschirr und wackelnde Möbel – etliche Wahrnehmungen aus der Bevölkerung gingen auch in Kärnten nach dem Beben – telefonisch oder per E-Mail – bei der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik ein, so Christian Stefan von der ZAMG Klagenfurt: „Die werden dann gesammelt. Damit kann dann eine Auswertung erfolgen, die dann zentral in der Abteilung Geophysik in Wien durchgeführt wird. Da wird dann festgestellt: wo ist das Epizentrum des Bebens gewesen und die Auswirkungen – wie war das bei uns spürbar? Ob es auch Schäden gibt kann dann auch beurteilt werden anhand der Meldungen und der Modelle, die dann dahinter liegen.“

Christian Stefan ZAMG Klagenfur
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Christian Stefan ZAMG Klagenfurt

Grenzübergreifender Austausch seit Ende der 1970er Jahre

Seit Ende der 1970er Jahre intensivierte sich der grenzübergreifende Austausch bei Naturkatastrophen und Erdbeben. Am 6. Mai 1976 wurde Kärntens Nachbarregion Friaul – laut Experten – von einem der schwersten Erdbeben in der Geschichte des Alpen-Adria-Raumes heimgesucht. Tausende Tote wurden damals beklagt, mehr als 45.000 Menschen wurden obdachlos. Unter den Helfern waren auch viele Kärntner.

Sendungshinweis:

Servus, Srečno, Ciao, 16. Jänner 2021

Hauptbetroffen war damals das Gebiet rund um Gemona in Friaul, dort lag auch das Epizentrum des Bebens. Auch in Kärnten hatte das Erdbeben von Friaul damals Schäden verursacht: „Wir haben die sogenannte periadriatische Nahzone, die sich durch das Gailtal erstreckt und parallel zur Grenze nahezu – bis nach Bad Eisenkappel – verläuft und darüber hinaus. Wir haben aber festgestellt, dass diese Zone selber nicht so erdbebengefährdet ist. Es sind viel mehr die Erdbeben, die aufgrund der Subduktion der afrikanischen Platte unter die Alpen stattfindet. Die entladen sich hauptsächlich in Slowenien und in Friaul. Das war auch die Ursache für die Erdbeben 1976, die in einer Tiefe von zehn bis 50 Kilometer stattgefunden haben. Nur weil dort das Epizentrum ist bedeutet das nicht, dass in Österreich nichts passieren kann. Ganz im Gegenteil: Wir haben viele Gebäudeschäden damals erlebt.“

Wolfgang Lenhardt von der ZAMG
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Wolfgang Lenhardt

Ziel: Besserer Überblick und beschleunigter Datenaustausch

Das sei die Urstunde einer Erdbebennorm gewesen, sagt Lenhardt. Es wurde beispielsweise festgelegt, wie Gebäude in Österreich gebaut werden sollen, um möglichen Erdbeben standzuhalten und es wurde der Grundstein für gemeinsame grenzübergreifende Forschungsaktivitäten im Erdbeben-Katastrophenschutz gelegt. Jetzt gibt es ein neues EU-Projekt unter dem Titel „ARMONIA“, durch das der Datenaustausch über die Grenzen hinweg noch schneller von sich gehen soll.

Gemeinsam mit den italienischen Regionen Friaul-Julisch Venetien und Veneto entstehen Einsatzprotokolle, die für alle Beteiligten zugänglich sind. Sie sollen dabei helfen, bei Naturkatastrophen Rettungsaktionen zu beschleunigen und zu erleichtern: „Wir empfangen ja seit 2000 leicht die Daten aus dem Friaul. Also die Tests von den Messstationen, die Messwerte werden auch bei uns visualisiert und zur Standardauswertung verwendet. Jetzt geht es darum, das Ganze noch zu beschleunigen“, sagt Wolfgang Lenhardt. Er ist Leiter der Abteilung für Geophysik bei der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien. Sie ist aus Österreich neben der Universität Innsbruck am Projekt „ARMONIA“ beteiligt.

Riss in Hauswand nach Erdbeben
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Risse in Hausmauer

Gefahrenstellen sollen besser lokalisiert werden

Es gehe darum, sehr schnell den Zivilschutz oder die Landesalarm- und Warnzentrale in Klagenfurt darüber zu informieren, wie groß das Ausmaß von einem Erdbeben war – im Vergleich zu jenem von 1976 in Friaul zum Beispiel.

Auch eine homogene Auswertung der Messdaten in Echtzeit werde angestrebt, damit es zu keinen unterschiedlichen Auffassungen kommt auf beiden Seiten der Grenze komme, so Lenhardt. Das betreffe zum Beispiel Fragen danach, welche wichtigen Infrastrukturen in Gefahr seien oder wo Hangrutschungen ausgelöst werden könnten.

Erdbeben „Wächter“ in Gebäude Präsentation Projekt Armonia
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Bei einem Webinar am 17.12.2020 tauschten sich die Experten unter anderem über sogenannte „Gebäudewächter“ aus

Gebäude erhalten hochsensible „Wächter“

Die ZAMG hat im Rahmen des Projekts in Tirol und Kärnten sechs neue Erdbebenstationen installiert und ein Test-Gebäude in Innsbruck mit Sensoren bestückt. Auch auf Gebäuden unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Bauart werden Messgeräte installiert, sogenannte „Wächter“. Sie liefern Erkenntnisse darüber, wie anfällig die jeweilige Bausubstanz für Erdbeben ist.

Wolfgang Lenhardt: „Wenn ich zum Beispiel an einer Brücke ein Messgerät habe, dann kann ich erfahren, welchen Kräften diese Brücke oder Gebäude bei einem Erdbeben ausgesetzt ist. Habe ich das nicht, dann kann ich es nur abschätzen aus der Entfernung durch eine Station, die 20 Kilometer entfernt ist mit einem anderen Untergrund und dergleichen. Deswegen hat man sich bemüht, vor allem auf der italienischen Seite, noch weitere, viele Stationen zu errichten.“

„Wächter“ zur Messung von Erdstößen in Keller eines Gebäudes
ZAMG/Wolfgang Lenhardt
Gerät zur Messung von Erdstößen im Keller eines Gebäudes

Digitaler Atlas entsteht

Auch die Einsatzzentralen werden mit modernen technischen Hilfsmitteln ausgestattet: thematische Karten in Echtzeit etwa sollen zeigen, wo genau Erdbeben Schäden verursachen. Was früher einmal der gute alte Atlas war, soll künftig – in digitaler Form – die Arbeit der Einsatzorganisationen erleichtern.

Außerdem arbeitet die ZAMG im Bereich historische Erdbebenforschung. Dabei werden bis tausend Jahre zurück, also bis weit vor den Beginn instrumenteller Messungen, historische Schriften ausgewertet. Die Erkenntnisse werden auf die Auswirkungen von Erdbeben nach modernen Messkriterien umgelegt und fließen in Baunormen ein.

Einsatzzentrale Zivilschutz Protezione Civile Palmanova
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Kärntner Delegation 2016 bei einem Besuch der Einsatzzentrale des Zivilschutzes (protezione civile) in Palmanova

So bald wie möglich wieder gemeinsame Übungen

Vereinheitlicht werden soll in Zukunft auch die Ausbildung. Gemeinsame Übungen der Nachbarregionen sind ebenfalls geplant. Freiwillige des Katastrophenschutzes und die Bevölkerung sollen verstärkt eingebunden werden, denn im Fall eines Erdbebens ist jede Minute kostbar.

Für das nächste halbe Jahr stehen noch die Abschlussarbeiten des EU-Projekts ARMONIA an – die dann auch langfristig gesehen den Erdbebenschutz im Alpen-Adria-Raum verbessern sollen.