Im Burghof, wo sich heute das Museum moderner Kunst Kärnten befindet, befand sich ab März 1938 die Zentrale der Gestapo, der geheimen Staatspolizei der Nazis. Im Keller waren vor allem Systemgegner inhaftiert, sagte Austria Guide Horst Ragusch: „Sozialisten, Kommunisten, lästige katholische Pfarrer, slowenische Funktionäre, slowenische Politiker, alle, die den Nazis gefährlich oder als Gegner erschienen, wurden sofort interniert und gefoltert. Die Schreie der Gefolterten konnte man bis zum 7. Mai 1945 in den umliegenden Straßen hören. Und nach dem Zweiten Weltkrieg hat niemand drüber geredet. Diese Strategie des Schweigens und Verharmlosens ist das eigentlich Schlimme.“
Schweigen soll gebrochen werden
Genau dieses Schweigen gelte es, zu brechen. Als sichtbares Zeichen dienen die Stolpersteine: „Die Stolpersteine sind das größte dezentrale Erinnerungsdenkmal auf der ganzen Welt. Es gibt davon 100.000 in fast allen Ländern Europas. In Klagenfurt gibt es 39 Stolpersteine für 38 Opfer. Stolpersteine sind zehn mal zehn Zentimeter große Messingplatten, die vor den Eingängen der letzten freiwilligen Wohnorte von späteren NS-Opfern verlegt werden“, sagte Ragusch.
Erna Zeichner konnte sich retten
Zwei dieser Stolpersteine befinden sich in der Adlergasse 14 in Klagenfurt und erinnern an Mitglieder der Familie Zeichner. Die Tochter der Familie, Erna Zeichner, war in der Vorbereitung zur Kindergärtnerin, so Ragusch: „Zwar wurden die jüdischen Schüler erst mit dem nächsten Schuljahr ausgegrenzt, aber natürlich wussten sie, sie dürfen und sollen besser gar nicht mehr in die Schule gehen. Sie hat noch im Geheimen Unterlagen von ihrer Lehrerin gekriegt. Sie hat ihr ein handschriftliches Zeugnis gegeben, damit sie nach der Flucht im Ausland als Kindergärtnerin arbeiten konnte. Es gab auch Menschen, die unter hohem Risiko für das eigene Leben, für die eigene soziale Stellung, geholfen haben.“
Damals rund 300 Jüdinnen und Juden
In Kärnten gehörten damals etwa 300 Menschen offiziell der jüdischen Kultusgemeinde an. Sie wurden vom NS-Regime verfolgt und gepeinigt. An die 100 Gräber erinnern noch heute am Israelitischen Friedhof in Klagenfurt St. Ruprecht an die Opfer. Fred Reinisch wurde in Klagenfurt geboren, sagte Ragusch: "Ein Klagenfurter Jude, der auch flüchten musste und überlebt hat. Er ist dann nach Amerika gegangen und ist 2017, 97-jährig, als letztes Holocaust-Opfer aus Kärnten gestorben. Dann hat seine Frau es geschafft, dass seine Asche in einer Urne nach Klagenfurt zurückkehrt.
Da nach jüdischem Glauben jemand, der eingeäschert ist, nicht auferstehen kann und daher nicht auf dem Friedhof beerdigt werden kann, ist die Grabtafel auf der Innenseite des jüdischen Friedhofsteils angebracht. Seine Urne ist genau auf der gleichen Stelle in der Mauer am katholischen Teil. So ist er auch mit Teil des jüdischen Friedhofs."
Pogrom
Das Wort Pogrom (погром) kommt aus dem Russischen und bedeutet demolieren, zerstören. Die Nazis nannten die Pogromnacht zynisch Reichskristallnacht, weil soviel Glas, zum Beispiel bei jüdischen Geschäften, zertrümmert wurde.
Obwohl er hier in seiner Heimatstadt während der NS-Zeit gedemütigt und später auch von hier aus vertrieben wurde, blieb er ihr stets verbunden, sagte Ragusch: „Er wurde als Kind bespuckt, der Lehrer hat ihn mies behandelt. Für mich ist es kaum nachvollziehbar, wie jemand, der so mies behandelt worden ist, an den Ort, wo er so viel Verachtung erfahren hat, zurückgekommen ist und viele gute Freundschaften mit Klagenfurtern hatte. Es gibt eine sehr hohe Resilienz in vielen Überlebenden und auch eine spürbare, gütige Weisheit, wie sie mit ihrer Vergangenheit umgehen.“
Viele deutsche Namen
Auch viele andere Namen, die auf den Grabsteinen stehen, sind noch heute im deutschen Sprachraum weit verbreitet, sagte Ragusch: „Die Juden und Jüdinnen haben bewusst darauf geachtet, als deutschsprachig zu erscheinen, um auch damals schon nicht angefeindet zu werden. Von ihrer Gesinnung her waren sie eher sogar deutschnational. Sie haben überhaupt keinen Anlass für Feindbilder geliefert. Das ist das noch einmal Übersteigerte, Absurde unter der Judenverfolgung in Kärnten. Das waren keine Ultraorthodoxen. Sie haben keine Schläfenlocken gehabt, keine Kippa, keinen Kaftan. Sie sind nicht aufgefallen.“
Wehrdienst zur Anerkennung als Bürger
Eine Doppelreihe mit zehn Grabstelen erinnert an jüdische Soldaten: „Sie sind zwar nicht aus Kärnten, sind aber in Kärnten in Lazaretten am Ende des Ersten Weltkriegs gestorben. Juden sind, in Deutschland wie in Österreich, aktiv in den Armeedienst eingetreten, um als vollwertige Bürger anerkannt zu werden. Umso tragischer, umso verbrecherischer ist die Judenverfolgung, die nur kurze Zeit später eingesetzt hat.“
Auch der älteste erhaltene jüdische Grabstein in Österreich stammt aus dem Jahr 1130 und kann am Friedhof in St. Ruprecht besichtigt werden, sagt Horst Ragusch. Er war in St. Stefan bei Mittertrixen eingemauert und stammte ursprünglich vom israelitischen Friedhof in Völkermarkt. Ende des 15. Jahrhunderts wurden die Juden aus der Gegend vertrieben
Geschäft von Familie Preis „arisiert“
Ein doppelseitiger Grabstein, der unter Denkmalschutz steht, erinnert an Familie Preis. Sie betrieb einst in Klagenfurt eine Schneiderei und ein Herrenkonfektionsgeschäft. In der Pogromnacht wurde die Familie Opfer von gewalttätigen Ausschreitungen. Das Geschäft und die Wohnung wurden von nationalsozialistischen Trupps verwüstet, geplündert und später auch „arisiert“, also enteignet und einem nichtjüdischen neuen Besitzer übergeben. Adolf Preis war einst auch der Präsident der Chewra Kadischa Klagenfurt, der sogenannten Beerdigungsbruderschaft oder der Heiligen Bruderschaft, die sich der rituellen Bestattung Verstorbener widmete.
Bethaus als zentraler Teil jüdischen Lebens
Eine zentrale Rolle für die Zusammenkünfte unter Juden nahm das Bethaus ein, das sich von 1903 bis 1938 in der Platzgasse 3 in der Nähe des Konzerthauses befand: „Wenn man so wie am 9. November 1938 1.500 Bethäuser, Synagogen im Großdeutschen Reich zerstört, hat man nicht nur, wie wir es meinen könnten, einen Kultraum zerstört oder eine Kirche. In den jüdischen Bethaus-Synagogen hat sich das ganze soziale und kulturelle Leben abgespielt. Mit der Vernichtung der Synagogen hat man mit einem Schlag in einer Nacht das ganze jüdische Leben vernichtet. Das war ja auch die Absicht“, so Ragusch.
Kein jüdischer Bürger will namentlich genannt werden
Eine Enkelin von Hermine Preis lebt noch heute in Klagenfurt, will aber nicht namentlich genannt werden und auch keine Interviews geben, so wie viele andere Angehörige der jüdischen Gemeinschaft: „Kein einziger Jude, keine einzige Jüdin, von den wenigen, die noch in Kärnten leben, will namentlich genannt werden. Und das Ende 2023, kurz vor der 85-jährigen Wiederkehr des Judenpogroms 1938.“ Umso wichtiger sei es, sie durch Aktionen, wie sie dieser Tage vielerorts stattfinden, vor dem Vergessen zu bewahren, sagte Ragusch.
Veranstaltungen des Gedenkens
Am Mittwochabend finden ein geführter Stadtspaziergang und eine Mahnwache anlässlich der Novemberpogrome statt. Treffpunkt ist um 17.00 Uhr in der Platzgasse 3 in Klagenfurt beim Denkmal für das jüdische Bethaus. Im Anschluss an den Stadtspaziergang, gegen 18.00 Uhr, findet die alljährliche "Mahnwache wider das Vergessen“ am Dr.-Arthur-Lemisch-Platz vor dem Wörtherseemandl statt.
Das Gedenken in Villach findet am Donnerstag, 9. November um 19.00 Uhr in der evangelischen Kirche am Stadtpark statt. In Klagenfurt gibt es am Freitag, dem 10. November um 19.00 Uhr in der evangelischen Johanneskirche am Lendhafen eine Gedenkveranstaltung.