Jugendliche beim Schnick Schnack Schnuck (nur Hände)
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Lifestyle

So erleben Jugendliche die Krise

Kinder und Jugendliche sind in der Coronavirus-Pandemie stark belastet. Schule, Freunde treffen, Spaß haben – das alles findet nur eingeschränkt statt. Die Krise bringt einige in seelische Not, aber sie birgt auch Chancen und neue Kompetenzen.

Noah und Niki sind das, was man in ihrer Sprache „bf“ nennt, beste Freunde also. Sie treffen einsnder auch jetzt, zur Coronavirus-Zeit – entweder zur privaten Videokonferenz oder im Freien zum Spazierengehen. „Wir gehen Radfahren oder laufen, natürlich mit Abstand. Natürlich behindert mich oft die Maske, oder das Abstandhalten nervt – aber besser als dass wir alle krank werden oder sterben“, sagt Niki.

Gefaltete Hände eines Jugendlichen und Teil eines Schuhs (zweiter Jugendlicher)
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Nicht alles sei jetzt während der Pandemie nur schlecht. „Was mir besonders gut gefällt ist der blaue Himmel, ohne Kondensstreifen der Flugzeuge, die sehr selten fliegen. Die Umwelt hat sich verbessert“, meint Noah.

Die Welt ohne CoV wird „komisch“

Seine Sicht auf die Welt habe sich aber schon verändert – auch in Hinblick auf die Hygiene. „Wenn Corona hoffentlich vorbei ist und man dann irgendwann keinen Abstand mehr hält oder ohne Maske im Kino sitzt, stelle ich mir das recht komisch vor.“

Der Viertklässler fällt durch die Pandemie um seine Klassenfahrt und die Wienwoche um, auch die zweite Hälfte seiner Schulklasse glaubt er durch den Wechsel beim Präsenzunterricht eher nicht wiederzusehen. „Es ist halt schade weil es das letzte Jahr ist“, sagt Noah. Die sozialen Kontakte fehlen den beiden Jugendlichen zwar, aber das wird durch das Internet teilweise auch ausgeglichen. Ihnen ist aber sehr wohl bewusst, dass es jene Kinder und Jugendlichen schwerer haben, „bei denen es zu Hause nicht so gut läuft“, sagt Niki.

Kinder und Jugendliche zu Corona

Kinder und Jugendliche sind in der Coronapandemie stark belastet, Schule, Freunde treffen, Spaß haben – das alles findet nur eingeschränkt statt. Die Krise bringt einige in seelische Not, aber sie birgt auch Chancen und neue Herausforderungen für Kinder und Jugendliche. Experten raten, die Freiheiten, die ihnen zur Verfügung stehen, zu nutzen.

Jugendforscherin: Chancen nicht gleich verteilt

Die eigenen Fähigkeiten zu entdecken, mit dem Leben und seinen Herausforderungen umgehen lernen – auch das ist Teil des Erwachsenwerdens. Jede Krise birgt also auch eine Chance für Jugendliche, so die Jugendforscherin Sara Blumenthal: „Ich denke jede Krise birgt auch ihre Chancen. Die Chancen, die man in der jetzigen Krise bezüglich der Aneignung von Kompetenzen bei Jugendlichen festgestellt hat, liegen im Bereich der digitalen Kompetenzen und auch der Verselbständigung im Alltagsvollzug.“

Vor allem Jugendliche, die im Wohlstand leben, könnten die Krise als Chance nutzen, die Chancen seien also nicht gleich verteilt. Für Jugendliche, die sozialökonomisch benachteiligt sind, wären die Risiken größer. Armutsgefährdete Jugendliche brauchten deshalb auch mehr Unterstützung. Essenziell sei, dass man jungen Menschen die Freiheiten gebe, die sie brauchen. Davon überzeugt ist auch Ruth Radinger-Huber, die seit Monaten mit Jugendlichen über ihre Probleme chattet – das ist gewissermaßen die Telefonseelsorge 2.0 der Caritas.

Telefonseelsorge: Anzahl der Chats vervierfacht

In der Pandemie hat sich die Anzahl der Jugendlichen, die über das Internet Rat suchen, vervierfacht: „Man ist ja sehr viel gemeinsam zu Hause durch Homeoffice und Homeschooling – das ist auch belastend.“ Beziehungsprobleme nehmen zu, depressive Verstimmungen und Zukunftsängste – „wenn etwa ein Jugendlicher vor einem Schulwechsel steht und ein Jahr Homeschooling hinter sich hat. Sie haben Ängste, die Schule nicht zu schaffen. Dass sie überhaupt fähig sind, in diese weiterführende Schule zu gehen oder einen Lehrjob zu bewältigen“, so Ruth Radinger-Huber.

Chat Telefonseelsorge Jugendliche
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Ruth Radinger-Huber von der Telefonseelsorge der Caritas beim Chatten mit Jugendlichen

Jugendliche schütten ihr Herz aus

Trotz der Entfernung und Distanz sei im Chat schnell eine große Nähe herstellbar. Die Chats laufen anonym ab, sind also sehr niederschwellig angelegt. Das erleichtert es den Kindern und Jugendlichen, ihr Herz auszuschütten und sich jemanden anzuvertrauen. „Es ist ein Ventil. Sie können in ihrer Sprache schreiben, auch Kraftausdrücke verwenden. Weil es manchmal wirklich ‚beschissen‘ ist, das Leben, das die Jugendlichen momentan führen.“

Im Gespräch wird versucht, herauszufinden, welche Lösungen es für die Jugendlichen geben kann. „Die Jugendlichen sind sehr belastet. Manchmal sind wir die erste Anlaufstelle. Es sind Dinge, die die Jugendlichen davor noch nie jemandem anvertraut haben. Den Eltern nicht, aber auch nicht nahen Freunden. Sie schämen sich auch oft dafür.“ In Zukunft könnten die Chats noch erweitert werden – derzeit ist das Sofort-Chat-Fenster von 17.00 bis 22.00 offen.

Chatverlauf mit Jugendlichen
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Chatverlauf

Normal wird das Leben erst „übernächstes Jahr“

Noah und Niki jedenfalls haben in der Krise Freiräume für sich gefunden. Ob das Leben im nächsten Jahr schon wieder normal verlaufen werde? Das glauben beide, Niki und Noah, nicht. „Ich glaube, nächstes Jahr noch nicht, jetzt muss einmal alles durchgeimpft werden und das wird noch ein bisschen dauern“, sagt Noah, er schätzt: „Eher übernächstes Jahr, zumindest wenn nicht weitere Mutanten auftauchen und uns belästigen.“