Buch Schicksalsherbst der Brüder
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Kultur

Buch über NS-Widerstand in Kärnten

Widerstand gegen den Nationalsozialismus stand bei den Partisaninnen und Partisanen in Kärnten an erster Stelle. „Schicksalsherbst der Brüder“ heißt der nun erstmals auf Deutsch erschienene Roman von Valentin Polanšek. Er erzählt die Geschichte zweier Brüder, Domen und Matevž und das Leben im Widerstand.

Valentin Polanšek war selbst nicht bei den Partisanen, aber Schriftsteller und eine sehr interessante Persönlichkeit, sagt die Historikerin Brigitte Entner: „Valentin Polanšek war Volksschullehrer in Ebriach/Obirsko, ist aufgewachsen im Lepengraben. Im Jahrgang 1928 hat er als Jugendlicher den Krieg und den Widerstand als Augenzeuge miterlebt“

Als Lehrer wurden Polanšek auch sehr viele Erinnerungen von den Betroffenen erzählt. Seine eigene Familie wurde massiv verfolgt, viele Todesopfer waren die Folge. Es dauerte bis Anfang der 1980er Jahre, bis dieser Roman endlich geschrieben wurde, so Entner: „Dieser Roman bezieht sich auf ein Brüderpaar, das es tatsächlich gegeben hat, es erzählt in zwei Bänden deren Geschichte im Widerstand.“

Die Brüder Šorli

Ciril Šorli ist im Buch Domen, geboren am 4. Juli 1914 in Lobnig und gestorben am 12. Oktober 1944. Sein Bruder Jože Šorli ist Matevž, geboren am 20. Februar 1913, gestorben am 1. Dezember 1944.

Aus Wehrmacht desertiert

„Die schlimmste Plage des Partisanenlebens sind die Läuse.“ Dieser Satz steht auf der ersten Seite des Buches. Vor der Zeit des Nationalsozialismus war das Leben hart, aber die Menschen hatten wenigstens noch hier und da Freiheit. Besonders berührend ist, wenn Domen, der später Anführer der Partisanen wird, seine erste große Liebe erlebt. Diese Glücksmomente erscheinen aber bald wie ein ferner Traum. Entner sagte über die Figur, die Domen zugrunde liegt: „Die Figur war 1939 zur Wehrmacht eingezogen worden. Es ist ihm erst 1943 gelungen, zu desertieren. Also zu einem Zeitpunkt, wo er schon genau wusste, wie viele Opfer es gibt. Und trotzdem hat er den Weg gewählt, dass er sich den Partisanen angeschlossen hat. Aufgrund seiner militärischen Erfahrung hat er relativ rasch eine Führungsposition einnehmen können.“

Ciril Sorli
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Ciril Šorli, Domen

„Alltag der Menschen damals heute unvorstellbar“

Im Widerstand war Domen sicher eine besondere Persönlichkeit und gleichzeitig gab es, so Entner, gerade bei den einfachen Menschen viele, die sich dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus anschlossen. Der Alltag dieser Menschen ist heute völlig unvorstellbar: „In diesem Tagebuch beschreibt er die Strecken, die er täglich gegangen ist. Das ist so unvorstellbar, aber es ist die Zeit, wo man auch im Alltag sehr viel gegangen ist, weil es keine Autos gab, ein Fahrrad war schon was Besonderes. Man war es gewohnt, so viel zu gehen.“

Dieses Tagebuch stammte von einem Widerstandskämpfer, der im Herbst 1942 gefasst und zum Tode verurteilt wurde. Die besondere Qualität von „Schicksalsherbst der Brüder“ macht aus, dass man ständig das Gefühl hat, mitten im Geschehen zu sein. Das gilt für die schöne Liebe, aber auch für das größte Gemetzel. Polanšek schont mit diesem Text niemanden, weder sich noch die Lesenden.

„Autoritäre Tendenzen werden wieder herbeigesehnt“

Mehr als 550 Opfer forderte der Widerstand der Partisanen gegen den Nationalsozialismus, recherchierte Historikerin Entner. Geschrieben wurde das Buch von Polanšek allerdings erst Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Weitere Jahrzehnte später ist Entner davon überzeugt, dass dieser Text gerade heute gelesen werden sollte: „Ich glaube, dass dieses Buch heute aktueller denn je ist. Wenn wir uns unsere Nachbarländer und auch Österreich anschauen, wie stark autoritäre Tendenzen wieder herbeigesehnt werden. Dieses Buch zeigt, wie man diesen autoritären Tendenzen widerstehen kann.“

Joze Sorli
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Jože Šorli, Matevž

Für die Historikerin ist dieser Roman sehr wichtig, um die Zeit des Widerstands, aber auch die Jahre davor, zu beschreiben. Die wirkliche Stärke dieses Buchs ist für sie, dass auch die Brutalität der Kampfhandlungen geschildert wird. Sie geht davon aus, dass die Menschen einfach keine andere Wahl mehr hatten, als in den Widerstand zu gehen. Auf mehr Unterdrückung durch Haft- oder Todesurteile folgte immer mehr Widerstand.

Verräter aus verschiedenen Gründen

Auch Polanšek beschreibt Verräter, das Misstrauen bei den Partisanen, ob sie einem bestimmten Menschen überhaupt noch trauen können. Für die Historikerin gibt es bei den Verrätern eine ganze Bandbreite von Motiven: „Es gibt Verräter, die Verräter waren aus politischer Überzeugung, die sich ganz bewusst als Verbindungsleute einschleusen ließen in Widerstandsgruppen und diese dann auffliegen ließen. Es gab aber auch Verräter, die das nicht freiwillig gemacht haben. Also man darf sich die Verhörmethoden der Gestapo jetzt nicht als Kaffeeplausch vorstellen. Da ist massive Gewalt angewendet worden.“

Sendungshinweis:

Radio Kärnten Servus, Srecno, Ciao; 19.12.2023

Es gab auch die Drohung, dass bei einer Weigerung die Familie verfolgt werde. Wurde jemand verhaftet und kam bald darauf wieder frei, führte auch das zu großem Misstrauen: „Dann wurde er natürlich verdächtigt, dass er einen Deal eingegangen ist mit den Behörden und es gibt auch einige Fälle, einige wenige, aber immerhin, von solchen Männern, die dann verschwunden sind. Die vermutlich liquidiert wurden als Schutz der Gruppe.“

Schreckliches Ende

Am Ende des Romans liegen verkohlte sterbliche Überreste auf dem Boden. Zwei tote Partisanen ohne Beine. „Alles war so schrecklich, still und blutverschmiert“, schrieb Polanšek. Metka Wakounig übersetzte den Roman aus dem Slowenischen ins Deutsche. Sie aktualisierte den Text behutsam und verbrachte viele Stunden auf der Suche nach der richtigen Entsprechung, zum Beispiel für Waffen. Außerdem war es wichtig, dass das hohe Tempo der Kampfhandlungen auch im Deutschen erhalten bleibt.