Gekürzte Hecke
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Aufgezeigt: Fragwürdiger Heckenschnitt

In St. Paul im Lavantal liegt eine Familie wegen einer Fichtenhecke mit der Gemeinde seit Jahren im Streit. Diese hat den Grenzverlauf mittels Gerichtsurteil festlegen und die Hecke mitten im Sommer zwangsschneiden lassen – laut Aufgezeigt-Anwalt Bernhard Fink eine illegale Aktion.

Es geht um eine Sackgasse, die nur zu vier Häusern führt und mit 30 Kilometer pro Stunde beschränkt ist. Die betroffene Familie schneidet ihre Hecke zweimal jährlich fachgerecht, damit sie nicht zu breit wird. Schon vor zwei Jahren stellten Verkehrssachverständige der Bezirkshauptmannschaft fest, dass die Hecke keine Sichtbehinderung darstellt. Die Gemeinde erwirkte daraufhin aber ein Gerichtsurteil, wonach die Grundstücksgrenze der Sackgasse weitgehend unter der Hecke verläuft.

Hecke von außen betrachtet
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Die Hecke nach dem Zwangsschnitt wegen angeblicher Sichtbehinderung

Hecke mit Polizeischutz zwangsgeschnitten

Mit Polizeischutz ließ die Gemeinde die Hecke am 8. Juli 2020 zwangsschneiden und ruinierte diese damit laut der Familie auf 17 Meter Länge. Ein zweiter Schnitt soll im Herbst erfolgen. Die Schnittaktion ist fragwürdig bis illegal weil es dafür weder ein Urteil, noch einen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft gibt. Vermutlich wird die Gemeinde Schadenersatz zahlen müssen.

Grundstückskataster
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Plan der Siedlung

Familie Werschitz ist nach dem jahrelangen Streit mit der Gemeinde jedenfalls schon völlig zermürbt. Walter und Renate Werschitz sind mit den Nerven am Ende. „Man wollte einfach Fakten schaffen“, sagt Walter Werschitz. Und seine Frau ergänzte: „17.000 Euro hat uns das gekostet. Das steckt man nicht so einfach weg.“

Familie Werschitz
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Familie Werschitz ist mit den Nerven am Ende und fühlt sich von der Gemeinde verfolgt

Angebliche Sicht- und Verkehrsbehinderung

Ab 2007 fordert die Gemeinde die Familie immer wieder auf, die Hecke zurückzuschneiden, weil sie angeblich eine Sicht- und Verkehrsbehinderung darstellt. Was man wissen muss: Die Sechshausenstraße ist eine Sackgasse, die zu nur vier Häusern führt. Hier gilt Tempo 30.

Bezirkshauptmann Georg Fejan
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Georg Fejan sieht keine Sichtbehinderung durch die Hecke

Hecke: Bezirkshauptmann sah „keinen Handlungsbedarf“

2016 prüfte die Bezirkshauptmannschaft Wolfsberg unter Beiziehung eines Verkehrstechnischen Amtssachverständigen, ob die Hecke sichtbehindernd ist, oder nicht. Bezirkshauptmann Georg Fejan: „Wir haben keine Sichtbehinderung durch die Hecke feststellen können und der Gemeinde mitgeteilt, dass laut STVO kein Handlungsbedarf besteht.“

Sendungshinweis:

Aufgezeigt, 13.10.2020

Danach klagte die Gemeinde St. Paul Familie Werschitz bei Gericht und bekam Recht. Der Grenzverlauf wurde neu – und zwar unter und hinter der Hecke – festgelegt. Für Walter Werschitz eine klare Zwangsenteignung: „Der neue Grenzverlauf bedeutet, dass wir mindestens 60 Quadratmeter verlieren“. „Und es ist einfach keine Ruhe, wir können nicht mehr schlafen, das macht uns alle krank“, klagte Renate Werschitz.

Gudrun Maria Leb bei Interview im Garten
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Familie: „Fühlten uns wie Schwerverbrecher“

Am 8. Juli diesen Jahres folgte der nächste Schock. Die Hecke wurde im Auftrag der Gemeinde zwangsgeschnitten. Birgit Werschitz schilderte das Vorgefallene: „Wir haben uns wie Schwerverbrecher gefühlt. Sie sind vorgefahren mit einer Polizeieskorte – Schneideunternehmen, Amtsleitung. Dann haben sie uns die Hecke im Osten zusammengeschnitten.“

Auf 17 Meter Länge steht die alte Hecke nun – braun – neben einer Sackgasse, die zu genau vier Häusern führt. Die Gemeinde habe angedroht, dass sie die südliche Hecke im Herbst schneiden lassen werde.

Anwalt: Gerichtsurteil legitimiert Zwangsschnitt nicht

Im Urteil steht aber nichts davon, dass die Hecke von der Gemeinde zwangsgeschnitten werden darf. Anwalt Bernhard Fink verweist auf §422 im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, wonach der Überhang der Hecke entfernt werden dürfe: „Allerdings fach- und sachgerecht und möglichst pflanzenschonend. Wenn das im gegenständlichen Fall nicht so gehandhabt worden ist, dann ist die Gemeinde aus rechtlicher Sicht jedenfalls schadenersatzpflichtig.“ Stellt sich also die Frage, war das Vorgehen und der Schnitt sach- und fachgerecht?

Anwalt Bernhard Fink
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Anwalt Bernhard Fink

Sachverständiger: Fichten auf 17 Meter Länge ruiniert

Das Aufgezeigt-Team zog den gerichtlich beeideten Sachverständigen für Gartenbau Roland Pistrol hinzu und ließ ihn die Hecke begutachten. Was den Zwangsschnitt betrifft kam er zu dem Schluss: „Also prinzipiell ist der Zeitpunkt der falsche. Am 8. Juli schneidet man keine Nadelgehölze. Diese Hecke ist zum falschen Zeitpunkt, also nicht sach- und fachgerecht geschnitten worden, weil Fichten nicht in der Lage sind, in so einem Zustand, in dem sie sich jetzt befinden, noch einmal auszutreiben. Wenn man davon ausgeht, dass wir 17 Laufmeter haben, wie wir es auch nachgemessen haben und vier Pflanzen pro Laufmeter stehen, dann beträgt der Schaden ca. 22.000 Euro.“

Aufgezeigt-Anwalt Bernhard Fink ergänzte: „Der Gesamtschaden von 22.000 Euro kann gerichtlich geltend gemacht werden, aus dem Titel des Schadenersatzes. Die Gemeinde haftet dafür und wäre gerichtlich zu belangen.“

Pflanzensachverständiger vermisste Hecke der Familie Werschitz
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Gemeinde sieht sich im Recht

Das Aufgezeigt-Team konfrontiert die Gemeinde mit den Ergebnissen und wollte vor allem eines wissen: Warum diese Heckenschnitt-Aktion? Und wird jetzt Schadenersatz geleistet? Der neue Bürgermeister Stefan Salzmann (SPÖ) übernahm erst nach der Zwangsaktion die Gemeindeführung. Er wollte sich nicht öffentlich äußern und schickte stattdessen eine schriftliche Stellungnahme.

Rathaus St. Paul außen mit Flaggen vor blauem Himmel
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Der neue Bürgermeister der Gemeinde St. Paul wollte sich nicht öffentlich äußern

Darin heißt es: „Nach dem Urteil wurde die Familie abermals aufgefordert, die Hecke zurückzuschneiden. Dieser Aufforderung wurde nicht nachgekommen, im Gegenteil: Die Hecke ist noch weiter in das öffentliche Gut hineingewachsen. Aus diesem Grund wurde ein Fachbetrieb mit dem Teilrückschnitt der Hecke beauftragt, welche im Beisein der örtlichen Polizei durchgeführt wurde. Der Bürgermeister ist dazu verpflichtet, das öffentliche Gut zu verwalten. Das Ignorieren von Gerichtsurteilen würde eine Pflichtenverletzung darstellen.“

Aufgezeigt-Anwalt: Unterschiedliche Rechtsmaterien

Fazit, die Gemeinde St. Paul bleibt beharrlich und glaubt, dass das Urteil umzusetzen war. Aufgezeigt-Anwalt Fink sieht das anders: "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Der Grenzverlauf ist ein Feststellungsverfahren, da wird eine Grenze festgestellt. Aber die ordnungsgemäße Geltendmachung dieses Rechtes, dass man eben Äste entfernen kann, das ist eine nachbarrechtliche Angelegenheit, die davon zu unterscheiden ist.

Die Familie Werschitz wird also wohl wieder vor Gericht müssen, um den Schadenersatz klagen müssen. Es sei denn, die Gemeinde St. Paul löst es außergerichtlich und lässt die Hecke in der Sackgasse einfach Hecke sein.