Szene aus Jagdszenen aus Niederbayern
ORF
ORF
Kultur

Menschliche Abgründe im Dorf

Martin Sperr gehört zu den großen Erneuerern des Volksstücks. Am Stadttheater Klagenfurt werden bis 2. Februar „Jagdszenen aus Niederbayern“ gezeigt. Es führt die Zuschauer mitten in die menschlichen Abgründe eines Dorfes kurz nach dem 2. Weltkrieg. Die wieder sehr aktuelle Botschaft: Jeder kann zum Außenseiter, aber auch schnell zum Täter werden.

Reinöd in Niederbayern ist überall, der Mensch ein Raubtier zwischen Felsen und Asphalt. Die Dorfgemeinschaft in Martin Sperrs Volksstück steht stellvertretend für alle Menschen und die Gesellschaft. Es geht um Mitmenschlichkeit und die Mechanismen von Ausgrenzung und Verfolgung, latente Gewalt, die hinter scheinbar normaler Alltäglichkeit lauert. Das Stück von Martin Sperr ist immer noch so aktuell wie zur Zeit seiner Niederschrift im Jahre 1965. Dieses „Volksstück“, das seinen Ahnherrn Horvath nicht verleugnen will, zeigt nichts weniger als „die Jagd von Menschen auf Menschen und die Zusammenrottung zu solchem Vergnügen“.

Jagdszenen aus Niederbayern

„Nichts aus dem Nationalsozialismus gelernt“

„Es gibt in dem Stück einen Satz, der heißt: in der Hölle könnte es nicht schlimmer sein. Martin Sperr war wichtig zu zeigen, dass die Gesellschaft nicht aus dem Nationalsozialismus gelernt hat, dass Menschen diskriminiert und verfolgt und mit Worten getötet werden. Und wir sind leider wieder in derselben Situation“, sagt Regisseurin Martina Gredler.

Auf äußere Handlungen wird fast zur Gänze verzichtet. Trotzdem wird schnell klar: Jeder in diesem Dorf ist potenziell Jäger und Gejagter. Die Mechanismen der Ausgrenzung – Macht und Ohnmacht – sind an den Körpern ablesbar. „Die Schauspieler schlüpfen nicht nur in ein Kostüm, sondern zusätzlich in das Körperkostüm der Rolle, je nachdem welche Aufgabe sie in dem Stück oder in dem Dorf haben. Damit wird agiert“, sagt die Choreographin Daniela Mühlbauer.

Regisseurin Martina Gredler und Choreographin Daniela Mühlbauer
ORF
Regisseurin Martina Gredler (links) und Choreographin Daniela Mühlbauer

Jeder Menschen kann „Arschloch“ sein

Viele werden aus Angst, selbst zum Opfer zu werden, zum Täter. Wie Barbara, eine Mutter, die ihren schwulen Sohn Abram nach einem Gefängnisaufenthalt verstößt, um der eigenen Ausgrenzung als Tagelöhnerin zu entgehen. „Ich versuche auch immer reinzubringen, wo ich die Reflexe der Ausgrenzung habe, wo ich – Petra – die Reflexe des Rassismus habe. Wenn man das einmal annimmt, dass das in jedem Menschen drin ist, dass man selber auch ein Arschloch sein kann“, sagt die Darstellerin der Barbara, Petra Morzé.

Fotostrecke mit 6 Bildern

Szene mit Mutter Barbara und Sohn Abram
ORF
Szene mit Mutter Barbara und Sohn Abram
Szene aus Jagdszenen aus Niederbayern
ORF
Szene mit Felix Oitzinger
ORF
Szene mit Felix Oitzinger
Szene aus Jagdszenen aus Niederbayern
ORF
Szene aus Jagdszenen aus Niederbayern
ORF
Szene aus Jagdszenen aus Niederbayern
ORF

Tanz auf Leben und Tod

Maria ist ein „schwarzes Schaf“ für die Dorfbewohner, weil sie in einer nicht legitimierten Beziehung mit ihrem Knecht lebt. Als „Dorftrottel“ stigmatisiert ist Rovo, ihr verhaltensauffälliger Sohn. Die Magd Tonka wird als Hure gebrandmarkt. Zwischen den Außenseiterinnen und Außenseitern entwickeln sich Zuneigung und Verständnis und Liebe.

Sendungshinweis:

Kärnten heute, 11.1.24

Es ist ein Tanz auf Leben und Tod und jede Person erzählt sich – wie von außen betrachtet – selbst. „Ich finde die Figuren total nachvollziehbar“, sagt der Darsteller des Rovo, Felix Oitzinger: „Und ich glaube deswegen wird es wieder gemacht, weil diese Konflikte einfach so menschlich sind.“