Beratungsgespräch
ORF
ORF
Soziales

Experten unterstützen verwaiste Eltern

Eltern, deren Kinder wegen eines Suizids oder Drogenmissbrauchs aus dem Leben geschieden sind, haben oft große Schuldgefühle. Eine Informations-Plattform für verwaisten Eltern bietet mit Hilfe von Experten Unterstützung bei der Aufarbeitung der Trauer. Neu ist die Online-Beratung von Angehörigen suizidgefährdeter Personen.

Seit 15 Jahren gibt es die „Plattform Verwaiste Eltern“ der Katholischen Kirche Kärnten. Gegründet wurde sie einerseits, um Betroffene durch diese wohl schwerste Phase ihres Lebens zu begleiten und sie bei der Bewältigung der Trauer zu unterstützen. Das Team besteht aus Psychologen, Psychotherapeuten und zertifizierten Trauerbegleitern, also Personen, die von Berufswegen mit dem Tod von Kindern – egal welchen Alters – konfrontiert sind.

Verwaiste Eltern

„Davon erholt man sich nie mehr“

Astrid Panger ist Leiterin der „Plattform Verwaiste Eltern“: „Gerade beim Verlust eines Kindes braucht es eine spezielle Ausbildung, denn das ist wirklich eine Tragödie. Es ist ein Verlust, von dem man sich im Leben nicht mehr erholt. Es bleibt eine Narbe fürs Leben, weil immer wieder Fragen auftauchen: Wie wäre jetzt mein Kind mit 18? Hätte es die Matura gemacht? Wenn die ersten Freunde heiraten – bei diesem Kind wird man nicht Großmutter oder Großvater und das poppt dann immer wieder so auf. Und die Trauer darf natürlich auch ein bisschen offen bleiben."

Sendungshinweis:

„Kärnten heute“, 11.12.2023

Auch wenn dies zunächst unmöglich erscheine, gehe es darum, im Laufe der Zeit zu lernen, diesen Schicksalsschlag anzunehmen und damit zu leben, was mitunter bedeute “den Verlust in den Alltag zu integrieren und wirklich damit leben zu lernen, dass ein Kind nicht mit groß wird. Dass man es nicht wachsen sieht. Da leidet man natürlich darunter, dass einem das verwehrt bleibt.“

Alltag nach dem Tod des Kindes neu gestalten

Ein „Anker“ sei, die Möglichkeit zu erkennen, als Betroffener den eigenen Alltag neu zu gestalten, sagte Panger: „Viele Eltern sprechen von der Zeit davor und der Zeit danach. Der Alltag wird anders, das Leben wird tiefer und trotzdem kann man sich aber auch wieder einen Alltag aufbauen, der lebenswert ist und wo man auch wieder Freude empfinden kann.“

Astrid Panger
ORF
Astrid Panger

Online-Coaching soll Zugang zu Beratung erleichtern

Neu ist seit Herbst eine Online-Selbsthilfegruppe für Angehörige von suizidgefährdeten Personen. „Wir haben uns deswegen auf die Online-Möglichkeit geeinigt, weil jeder teilnehmen kann. Das heißt, man muss jetzt nicht von Oberkärnten oder von Wolfsberg nach Klagenfurt oder nach Villach fahren, sondern man kann einfach online zu Hause bleiben in einem vertrauten Raum, in einer vertrauten Umgebung und trotzdem Hilfe und Unterstützung bekommen", sagt Astrid Panger.

Es gehe nicht darum, ob ein Suizidversuch bereits vollzogen wurde oder ob man als Angehöriger erste Anzeichen zu erkennen glaube, dass mit dem eigenen Kind etwas nicht stimme – es gelte, die Sorgen der betroffenen Angehörigen in jedem Fall Ernst zu nehmen. „Es ist eine Gruppenberatung, weil auch die Gemeinschaft dazu beiträgt zu sehen, ich stehe mit dem Problem nicht alleine, ich kann mich austauschen. Ich höre, wie andere damit umgehen, welche Strategien sie entwickelt haben."

Informationsbroschüren
ORF
Informationsbroschüren für trauernde Eltern und Angehörige

Auch Partner und Geschwister werden unterstützt

Die Teilnahme ist kostenlos. „Wir sagen immer, Hilfe holen bedeutet nicht Schwäche, sondern das ist wirklich Stärke“, so Astrid Panger. Sie und ihr Team versuchen, auf weiterführende Hilfsangebote zu verweisen – nicht nur für betroffene Eltern, sondern auch Geschwister und Angehörige von Suizidgefährdeten generell. „Es ist immer das große Umfeld: Das können die Geschwister sein, das können auch Großeltern sein. Also nicht nur alleine die Eltern. Es kann auch die Partnerin oder der Partner sein, der sich Gedanken und Sorgen macht und sich mit der Situation überfordert fühlt.“

Umdenken in der Gesellschaft bemerkbar

Generell werde dieses Angebot immer mehr in Anspruch genommen, was Panger positiv wertet, weil sich die Haltung in der Gesellschaft allmählich ändere und das „Hilfe von außen annehmen“ nicht mehr negativ bewertet werde, wie es früher einmal der Fall war.

„Viele haben noch so die Einstellung, wenn Herausforderungen da sind, wie ein Todesfall oder wenn man sich Sorgen über einen Familienangehörigen macht, dass sie entweder es alleine schaffen müssen oder auch Scham da ist. Ich möchte nicht zugeben, dass in der eigenen Familie Schwierigkeiten da sind oder dass ich mir Sorgen um einen Angehörigen mache. Deswegen bin ich sehr froh, dass die Menschen doch anrufen, sich erkundigen, Hilfe annehmen."

Durch den Austausch mit den Betreuern oder anderen Betroffenen nehme man eine Art Vogelperspektive ein und bekomme eine andere Sichtweise vermittelt: "Ich gehe aus dieser belastenden Situation ein wenig heraus und kann das von der Ferne aus betrachten. Dann kann ich vielleicht Vieles anders einordnen“, sagte Panger.

Astrid Panger bei Terminfixierung
ORF
Auf kurzfristige Terminwünsche wird versucht einzugehen

Sabine Zettinig verlor Sohn nach Überdosis

Auch wenn es schwer falle, dies zu akzeptieren so gehöre der Tod zwangsläufig zum Leben dazu. Früher oder später werde jeder mit dem Verlust geliebter Angehöriger konfrontiert. Gesellschaftlich sei es oft aber noch ein Tabuthema, wenn Personen nicht durch Unfall oder Krankheit aus dem Leben scheiden, sondern Suizid wählen oder an Drogensucht sterben.

Auch Sabine Zettinig sagte, sie habe lange gebraucht, bis sie den Mut hatte, öffentlich über ihr Schicksal zu sprechen. Die Vorweihnachtszeit ist für sie heute nicht mehr so, wie sie früher einmal war. Dem geschäftigen Treiben in der Stadt, um Weihnachtseinkäufe zu erledigen oder sich mit Freunden zu treffen, zieht sie die Stille meistens vor. Besonders gerne verbringt sie die Zeit damit, ganz für sich alleine am Wörtherseeufer zu sitzen und die Wellen zu beobachten. Ein Ort, der sie mit ihrem verstorbenen Sohn David verbindet, der den See liebte. Am 6. Dezember wäre er 36 Jahre alt geworden.

Viele Höhen und Tiefen im Umgang mit Sucht

Der 18. Juli 2017 war ein Tag, der aber das Leben von Sabine Zettinig schlagartig änderte: Ihr Sohn starb an einer Überdosis. Seine Suchterkrankung prägte viele Jahre davor, dass es aber so weit kommen würde war ein Schock für die gesamte Familie. „Das war für uns lange Zeit gar nicht erkennbar. Was ist jetzt Verstimmung aufgrund der Pubertät? Was ist jetzt tatsächlich Sucht? Sie können das auch sehr gut verstecken. Mit 16 war es dann schon so, dass wir gewusst haben, da ist was Arges im Hintergrund."

Sofort habe sie mit ihrer Familie versucht, durch Therapien ihrem Sohn größtmögliche Hilfe zu bieten. Das habe manchmal besser und manchmal schlechter funktioniert. "Es hat viele Aufs und Abs gegeben. Aber letztendlich hatte ihn die Sucht so im Griff, dass er gar nicht davon weggekommen ist.“

Sabine Zettinig
ORF
Sabine Zettinig

„Stigmatisierung war deutlich spürbar“

Als David starb, befand sich Sabine Zettinig gerade in Tirol. Die Todesnachricht habe ihr Leben zum Stillstand gebracht, sagt sie: „Dann kommen natürlich sofort Vorwürfe, Versagensgefühle, auch Schamgefühle.“ Auch Verurteilungen durch andere seien sehr stark spürbar gewesen: Die Trauer und die Anteilnahme wurde nicht in dem Ausmaß zugesprochen, wie es vielleicht bei anderen ist, die durch einen Unfall oder durch eine Krebserkrankung sterben. Weil ich bin ja nur die Mutter eines Drogentoten.“

Sie fühlte sich stigmatisiert, ihre Trauer wurde oft nicht Ernst genommen. Für sie war es besonders bitter, dass die Geschichte dahinter, die sie mit ihrem Sohn verband – auch positive Faktoren, die es ja auch gab – von außen scheinbar niemand sehen wollte: „Ob es da vorher einmal eine gute Mutter-Sohn-Beziehung gegeben hat, wie war das Leben vorher, das wird alles nicht gesehen. Drogen werden nach wie vor noch einem gewissen Milieu zugeschrieben. Verwahrlost, das Elternhaus, keine Zeit für das Kind. Wir wissen ja, dass das alles nicht stimmt und mittlerweile die Drogenproblematik in allen gesellschaftlichen Schichten zu finden ist.“

Anhänger mit Fingerabdruck
ORF
Medaillon als Kraftspender

Medaillon mit Fingerabdruck als Kraftspender

Noch heute ist es ein kleines Medaillon, das ihr Kraft gibt, wenn sie im Alltag, ganz plötzlich, die Trauer überwältigt. Es zeigt den letzten Fingerabdruck ihres verstorbenen Sohnes, der von der Bestattung genommen wurde. „Ich habe dann diesen Anhänger gemacht, wo sein Fingerabdruck auch wirklich spürbar ist, haptisch. Und das habe ich, glaube ich, 24 Stunden in meinen Fingern gehabt. Das war natürlich ganz zu Anfang diese größtmöglichste innere Beruhigung für mich.“

Auch Gebrauchsgegenstände ihres Sohnes gaben ihr in der ersten, besonders schweren Zeit Halt – wie ein T-Shirt oder seine Baseballkappe: „Ich glaube, die habe ich sechs oder sieben Tage durch aufgehabt. Ich habe mich nicht davon trennen können, zum Duschen vielleicht, aber dann habe ich es sofort wieder angezogen. Sein Geruch, ich wollte ihn noch einmal spüren. Das war mir sehr, sehr wichtig. Ich kann mich erinnern, meine Mutter wollte einmal die Kappe wegtun. Da war ich hochaggressiv. Das ist mein Sohn. Das ist alles, was geblieben ist.“

„Schmerz war kaum auszuhalten“

In der ersten Zeit nach dem Drogentod ihres Sohnes fühlte sich Sabine Zettining vor allem eines: verloren. „Man ist wirklich 24 Stunden ein Suchender. Man kriegt nichts, man sieht nichts, man hört nichts, wo diese Schmerzen verringert werden können. Die psychischen und physischen Schmerzen sind ungefähr so, wie wenn man 24 Stunden nackt durch ein Stacheldrahtgeflecht gezogen wird. Das ist kaum aushaltbar. Ich habe dann gedacht, alleine oder mit der Familie werde ich das nicht mehr schaffen. Die Familie war selbst überfordert mit der Trauer“, so Zettinig.

Sie wandte sich an die Plattform für Verwaiste Eltern und durchlief zahlreiche Einzel-, aber auch Gruppencoachings … zwei unterschiedliche Erfahrungen, erzählt die 58-Jährige: „Das Einzelgespräch gibt viel Struktur und Entlastung. Man erfährt, was die Trauer mit einem macht. In der Gruppe zählt mehr das Miteinander und andere Geschichten zu hören."

Gruppengespräche: Aufwühlend aber letztendlich hilfreich

Innerhalb der Gruppe entstanden für sie wertvolle Freundschaften und sie besuchte mit anderen Betroffenen die Gräber der verstorbenen Kinder: „Das war extrem wichtig.“

Dennoch sei es ihr anfangs nach den Gruppengesprächen oft schlechter als erhofft gegangen: "Das war für mich am Anfang sehr, sehr verwirrend. Diese Erfahrung haben viele machen müssen. Dadurch, dass man sehr aufgewühlt ist und man dort die Trauer wieder hinbringen kann in diese Gruppe, spricht man noch intensiver. Man hört die Geschichten von den anderen. Und dahinter habe ich mich oft gefragt, war das das Richtige? Aber das ist eben der Prozess, der dadurch gestartet wird, Trauer zu bewältigen.“

Symbolbild Trauer Depression Winter Nachdenken
ORF

Trauer in der Gesellschaft oft tabuisiert

Einen geschützten Rahmen für alle ungefilterten Emotionen, die im Zuge des Trauerprozesses hochkommen, bietet Psychotherapeutin Christiane Eberwein. Sie ist fachliche Leiterin der „Plattform Verwaiste Eltern“ und hat die Erfahrung gemacht: „Die Trauer hat in unserer Gesellschaft nur sehr wenig Platz. Immer weniger, leider, und sie wird so an den Rand gedrängt, dass man sich als Trauernder wirklich auch nicht mehr als Teil der Gesellschaft fühlt. Da braucht es Menschen, die das aushalten können und die vielleicht Ähnliches erlebt haben, aber auch professionelle Begleitung ist sehr hilfreich.“

Christiane Eberwein bei Online-Beratung
ORF
Online-Beratung

Weihnachten nach Todesfall für Viele überfordernd

Es gehe um das Zuhören und Mittragen der Trauer, einem Gefühl, das im Alltag oft wenig Platz, aber auch seine Berechtigung hat. Denn: Wann Trauer hochkomme, sei etwas sehr Individuelles, erklärt Christiane Eberwein: „Wichtig ist, dass man erklärt, dass Trauer ein ganz normales Gefühl nach einem Verlust ist und keine Krankheit. Es ist auch ganz wichtig, diese schwere, dunkle Zeit, Weihnachten zum Beispiel, das Fest der Familie, das oft überschätzt wird und wo die Erwartungen so hoch sind, zu planen. Diese Tage erstmals ohne einen geliebten Menschen zu begehen ist total schwierig.“

Christiane Eberwein
ORF
Christiane Eberwein

Rituale geben Sicherheit für Trauertage

Ein Grundrezept gebe es nicht. Ob zum Beispiel Weihnachten wie immer gefeiert werde oder ob man sich für ein komplettes Kontrastprogramm entscheide bleibe jedem Hinterbliebenen selbst überlassen: „Das ist sehr individuell, ob man Rituale beibehalten will, so wie früher. Dann erinnert man sich vielleicht auch an die guten Zeiten. Oder man sagt, man macht jetzt etwas ganz Neues, das aber vielleicht auch speziell für den verlorenen Menschen wichtig wäre. Das entscheidet jeder für sich selbst. Aber ich glaube, das Planen ist etwas ganz etwas Wichtiges, was auch Halt gibt."

Auch für Sabine Zettinig ist das ein wichtiger Faktor – überhaupt in Hinblick auf wichtige Ereignisse wie Geburts- oder Sterbetag – um nicht von der zwangsläufig wieder aufflammenden Trauer überwältigt zu werden. Pläne zu schmieden mache sie sicherer, sagte sie: „Das macht diese Tage vorhersehbar, wenn ich weiß, dass ich den Geburtstag meines Sohnes so oder so gestalte und bestimmte Leute treffe. Am Sterbetag mache ich wieder ein ganz anderes Programm und treffe mich mit anderen Leuten an anderen Orten. Das hat es nicht leichter gemacht, aber es war sehr hilfreich“, sagte Zettinig.