Das gefundene Kinderskelett
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Wissenschaft

Frühmittelalter: Kinder litten oft an Skorbut

Einer erstaunlich präzisen Analyse zufolge litten im Frühmittelalter viele Kinder in Kärnten an der Vitamin-C-Mangelerkrankung Skorbut. Ursache dürften saisonale Schwankungen bei Lebensmitteln und politische Umbrüche in der römischen Provinz Noricum gewesen sein.

Eine im „International Journal of Paleopathology“ publizierte Studie zeigt, dass Skorbut vor allem rund um die Geburt bei Säuglingen und Kleinkindern häufig auftrat. „Es ist sehr ungewöhnlich, dass so eine hohe Anzahl von Skorbut-Fällen präzise festgestellt werden kann“, sagt die Bioarchäologin und Erste Studienautorin Magdalena Srienc-Ściesiek. Spezifische Bereiche, wie etwa die Augenhöhlen, der Bereich um das Schädeldach und die Schultern, erlauben bei gewissen Kombinationen von Veränderungen der Knochen den posthumen Nachweis der normalerweise mit Seefahrern assoziierten Krankheit. Meist würden Archäologinnen und Archäologen nur etwa ein bis zwei eher uneindeutige Fälle pro Grabung finden.

Forscherteam analysierte 86 Skelettüberreste

Das Team von Forscherinnen der Universität Wien und vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) analysierte die Überreste von 86 nicht erwachsenen Individuen aus dem heutigen Kärnten auf solche Skelettmerkmale. Das Ergebnis: Ungeborene und Säuglinge wiesen mit 46 bzw. 27,5 Prozent eine hohe Prävalenz auf – bei Jugendlichen und Erwachsenen konnten hingegen keine Anzeichen festgestellt werden.

Knochen aus 7. bis 10. Jahrhundert

Untersucht wurden bei Grabungen in Grabelsdorf (slowenisch: Grabalja vas), Jaunstein (Podjuna) und am Hemmaberg (Sveta Hema) gefundene Knochen aus dem siebenten bis zehnten Jahrhundert.

Vitamin-C-Mangel schneller erkennbar

Bioarchäologin Magdalena Srienc-Ściesiek: „Es ist schwierig zu sagen, ob die Individuen an der durch Vitamin-C-Mangel verursachten Krankheit, die das Immunsystem schwächt, gestorben sind, aber es handelte sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen beitragenden Faktor“. Weitere Symptome von Skorbut seien Schwindel, Reizbarkeit und blutendes Zahnfleisch. Dass vor allem Kinder unter drei Jahren betroffen waren, erkläre sich wohl aufgrund des höheren Knochenumsatzes der wachsenden Skelette, durch den sich Mangelerscheinungen schneller erkennen lassen als bei Erwachsenen.

Ungeborene, Säuglinge und Kleinkinder betroffen

Drei unterschiedliche Gruppen wurden unter den frühmittelalterlichen Skorbut-Kranken identifiziert: Bei Säuglingen und Ungeborenen reflektiere der Vitaminmangel direkt den allgemeinen Gesundheitszustand ihrer Mütter. Bei einer zweiten, etwas älteren Gruppe zeigten sich die Symptome im Rahmen des Abstillens. Dabei könnte die Einführung fester Nahrung zu einseitiger Ernährung geführt haben. Die dritte und kleinste Gruppen bestand aus vier älteren Kindern, die zum Zeitpunkt des Todes ungefähr zehn Jahre alt gewesen sind.

Untergang der römischen Provinz Noricum mit-ursächlich

Generell hänge das Aufkommen der Krankheit wahrscheinlich mit saisonalen Schwankungen in der Ernährung zusammen. „Zudem könnte der Untergang der römischen Provinz Noricum zu einer Veränderung der Handelsrouten und damit zusammenhängenden Essgewohnheiten geführt haben“, erklärte Srienc-Ściesiek eine Vermutung der Archäologinnen.

Die zooarchäologischen und archäobotanischen Untersuchungen im Tal würden insgesamt jedenfalls auf eine solche Verschiebung der Ernährungsmuster hindeuten. „Weitere biomolekulare Studien werden dazu beitragen, mögliche Unterschiede zwischen der Ernährung von Erwachsenen und Kindern genauer zu ermitteln“, sagte die Forscherin.