Dolores Vieser
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Kultur

Viesers „Nachtquartier“ in neuer Auflage

Dolores Vieser hat historische Romane verfasst, darunter den Roman „Hemma von Gurk“. Sie gehört zu den Autorinnen und Autoren, die vor dem Anschluss an Nazideutschland sehr erfolgreich waren, danach aber als „zu subversiv“ galten und mit einem Schreibverbot belegt wurden. Nun wurde ihr Roman „Nachtquartier“ neu aufgelegt.

Nach dem 2. Weltkrieg verschwand Vieser, wie auch andere Autorinnen und Autoren mit Schreibverbot, fast völlig aus dem Bewusstsein der literarischen Öffentlichkeit. Seit mehr als 20 Jahren bemüht sich die „ARGE Dolores Vieser“ darum, Leben und Werk dieser großen Kärntner Autorin, die im Jahr 2002 am Heiligen Abend in Klagenfurt im 99. Lebensjahr gestorben ist, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Gemeinsam mit dem Geschichtsverein und der Gemeinde St. Georgen am Längsee wurde Viesers Roman „Nachtquartier“ nach 50 Jahren als aufwendige Neuausgabe erneut herausgebracht.

Spätwerk der Autorin

Das 536 Seiten starke Buch gehört zum Spätwerk der Autorin. Es erschien 1971, zu einer Zeit, als der Name Vieser fast nur noch in Kärnten große Strahlkraft saß. „Nachtquartier“ war nach seinem Erscheinen auch nur mehr hierzulande erfolgreich, obwohl Viesers historische Romane in der Zwischenkriegszeit in hohen Auflagen erschienen waren und auch in mehrere Sprachen übersetzt wurden, wie im Nachwort der französischen Germanistin Helga Abret zur jetzt erschienen Neuausgabe zu lesen ist.

Neuauflage von Nachtquartier
ARGE Dolores Vieser
Cover des Buches Nachtquartier

Regionale Bezüge zeigen Kärnten von einst

Die Idee, das Buch neu aufzulegen, stammt ebenfalls von Helga Abret, so Herausgeber Werner Müller: „Warum das Buch jetzt plötzlich da ist, die anderen Bücher sind im deutschsprachigen Raum noch immer bekannt und beliebt. Also die Heilige Hemma von Gurk, das Singerlein und auch der Gurnitzer wurden mehrmals aufgelegt. Ich habe dann Kontakt gehabt mit einer Germanistin aus Frankreich, die zufällig in Klagenfurt war und die hat das Buch gelesen und hat gesagt, das muss wieder auf den Markt kommen. Das ist unglaublich wertvoll, aktuell. Auch, wenn es in der Franzosenzeit spielt, hat es so viele regionale wertvolle Bezüge auch zum humanistischen Glauben. Hier geht es nicht um Judentum, um Araber, um Christentum oder solche Dinge, sondern um ein Menschenbild, das wir heute mehr denn je brauchen.“

Hochbegabtes Kind in armen Verhältnissen

Eine Karriere als Autorin war Dolores Vieser nicht gerade in die Wiege gelegt. 1904 als Maria Wilhelmine Wieser in Hüttenberg geboren, hatte die hochbegabte Schülerin die Schule nach dem Tod des Vaters wegen Tuberkulose schon mit 14 Jahren verlassen müssen, was sie nicht von lebenslangem Lernen abhalten konnte. Vieser sagte zum ORF anlässlich ihres 95. Geburtstags: „Angefangen habe ich mit fünf Jahren, da habe ich die ersten Buchstaben gelernt und habe gleich in einem alten Kalender eine Geschichte vom Christkind, glaube ich, geschrieben.“

In der Schule habe sie „für die halbe Klasse“ die Aufsätze gemacht, erzählte Vieser: „Die anderen wollten nicht gern und mir war das ein Vergnügen. Und dann natürlich sind sehr schwere Jahre gekommen, da habe ich mich weniger damit beschäftigt. Aber auf einmal, da war ich 21, da ist dann auf einmal so eine Art Rappel über mich gekommen und ich musste einfach schreiben.“

Großes Talent auch als Sängerin

Herausgeber Müller sagte, Vieser habe von ihrer Mutter auch das Talent zur Sängerin gehabt. Die Mutter habe ihr auch viele Geschichten erzählt: „Sie hat nur drei Jahre Volksschulbildung gehabt und drei Jahre Hauptschule, damals Bürgerschule. Aber sie hat im Selbststudium unermüdlich auch mehrere Sprachen gelernt. Sie war in halb Europa in den Archiven unterwegs, hat auch Latein gut gekonnt. Für mich ist es die Erkenntnis, dass man unter schwierigsten Bedingungen, wenn man etwas will, doch was machen kann.“

Bilder aus dem Buch über Dolores Vieser
Getrude Mauchart/Werner Müller
Seiten aus dem Buch

Die Begegnung mit ihr sei sehr erfreulich gewesen, sagte Müller: „Ich war sehr, sehr oft bei ihr und ich habe gesehen, dass sie aus dem Vollen schöpft, auch im hohen Alter. Dass sie auch in hohem Alter alle, die ihre Bücher lesen unglaublich bereichert, nämlich auch mit Leid gut umgehen zu können und traurige Dinge zu bewältigen und etwas Positives daraus zu machen. Das ist die große Kunst. Da können Bücher behilflich sein, wenn sie gut sind.“

Probleme der Menschen veränderten sich wenig

„Wir sind aus keinem anderen Holz als jene in den Gräbern“, schreibt Vieser und zitiert damit den Schriftsteller Alfred Döblin. Die Probleme der Menschen sind im Grunde heute wie damals dieselben. Nur die Sprache veränderte sich entscheidend. Das ist auch „Nachtquartier“ deutlich anzumerken. Weshalb die Neuauflage einerseits ein Glossar für französische Redewendungen und Begriffe enthält, andererseits aber auch eine Erklärung alter Kärntner Mundart-Ausdrücke umfasst.

„Was die Mundart-Ausdrücke betrifft, gibt es auch sehr viele Worte, die man nicht mehr kennt, weil sie nicht verwendet werden. Und trotzdem haben wir sie im Text weiterverwendet, um die Originalität dieses alten Textes nicht zu verfälschen“, sagte Müller.

Alte Kärntner Begriffe werden in Verzeichnis erklärt

Eines der Wörter ist die „Muhme“, das viele nicht mehr kennen, so Müller. Es sei eine alte Tante oder eine ältere Verwandte. Daher seien hinten im Buch die verwendeten Begriffe alphabetisch angefügt. Wer im Buch blättert, stößt außerdem auf Bilder einer alten Wegkapelle in Ternitz bei Launsdorf. Sie wurde soeben restauriert und bildet den Ausgangspunkt des Romans „Nachtquartier“. Das Fresko darin inspirierte Vieser zu ihrer Geschichte. Es erzählt von einem Ehepaar, das mit nur wenigen Jahren Abstand an ein und derselben Stelle in der Hochwasser führenden Gurk ertrank.

Fresko mit dem Mörder und seiner Frau
Müller
Dieses Fresko inspirierte Vieser zu ihrem Buch „Nachtquartier“

Vieser macht daraus einen Kriminalfall rund um Ehebruch, Mord und Selbstmord und das in einer Welt, der die Liebe abhandengekommen ist, wie der Kärntner Bischof Josef Marketz in seinem Vorwort zur Neuausgabe schreibt. Der Roman spielt in der Gegend rund um das Krappfeld. Die Handlung setzt 1807 ein und endet 1814.

Textauszug aus „Nachtquartier“

Ein Textauszug: „Dort brach es auf wie ein Geschwür. Ihm war, als müsste er schreien, ihren Namen rufen, bis dieser hohe blaue Himmel, der über ihm zu zittern schien, erfüllt war von seinem Geschrei. Er stemmte die Fäuste gegen den Giebelbalken. Das Dach seines Hauses, ein seltener Anblick von dieser Höhe aus, hockte stumm über dem dunklen Gefüge seiner Vergangenheit. Und wenn er schrie, so fiel es. Alles fiel, wenn er jetzt niederbrach. Angst vor sich selber, tödliche Angst vor den Gewalten, die ihn zwingen konnten, sich durch ein Bekenntnis in den Untergang zu stürzen, jagte seine Blicke über das Haus hinaus in die weite Mulde des Tales, dessen Erbe sein war.“

Zeitgenössisches Dokument mit Gültigkeit

„Nachtquartier“ ist ein zeitgeschichtliches Dokument zu Kärnten in der Franzosenzeit, mit einer Botschaft, die über Generationen hinweg gültig bleibt, sagte Müller: „Ich glaube, jemand, der nicht lesen mag, wird nicht mit dem Buch anfangen, weil es sehr komplex ist. Aber das Buch hilft auch jungen Leuten, wenn sie sich drüber trauen oder mit einem Lehrer an dem Buch über Geschichte nachdenken. Plötzlich werden die Fragen der Generationen nicht mehr auseinanderdividiert, sondern man spürt plötzlich, dass man einander unterstützen kann. Der Alte den Jungen, der Junge kann da sein für den alten Menschen. Und das wird hier so schön beschrieben. Spürt man das volle Leben, das wir wieder brauchen.“