Roswitha Bucher vom Gewaltschutzzentrum
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30 Jahre im Dienst des Gewaltschutzes

Roswitha Bucher hat mehr als 30 Jahre im Gewaltschutz gearbeitet, das Gewaltschutzzentrum Kärnten mit aufgebaut und 25 Jahre lang geleitet. Jetzt geht sie in Pension. Gewaltschutz wird immer wichtiger, während er früher kaum Thema war. Was sich nicht änderte: Immer noch sind Gewaltopfer meistens Frauen.

Bis zum Gewaltschutzzentrum sei es ein langer Weg gewesen, sagte Roswitha Bucher im Gespräch mit Iris Hofmeister: „Ich habe nach der Schule nicht gleich zu studieren begonnen, auch keine Matura gemacht, sondern ich habe in einer Fabrik gearbeitet. Ich bin am Fließband gesessen, mehrere Jahre. Es war aber klar, dass ich das eigentlich nicht weitermachen möchte. Ich wurde auch sehr unterstützt von meinen Arbeitskolleginnen, die gesagt haben, mein Gott, du bist jung, mach was anderes.“

„Wollte immer mit Menschen arbeiten“

Daraufhin sei sie nach Klagenfurt gezogen, habe die Abendschule begonnen, aber immer noch nebenbei in der Fabrik gearbeitet. Nach der Abendschule habe sie das Studium der Betriebswirtschaft begonnen: „Ich habe dann in einer Werbeagentur gearbeitet und mir war auch klar, das ist nicht so ganz meine Richtung. Ich wollte immer mit Menschen arbeiten, habe dann ein Praktikum im Frauenhaus machen können und bin recht unbedarft in diese Arbeit hineingekommen. Ich habe sehr schnell gesehen, was Gewalt gegen Frauen bewirken kann, wie sehr sie sich auch auf den Selbstwert auswirkt, wie sehr sie auf das Leben negativ wirkt.“

Es sei ihr sehr nahe gegangen, so Bucher. Seit über 30 Jahren arbeite sie mit dem Thema Gewalt. Ein schwieriges Thema, aber von der Möglichkeit zu helfen her sei es positiv: „Was vor allem auch immer da war, ist zu sehen, wie die betroffenen Personen in Beratung gekommen sind und wie sie wieder gegangen sind, welchen Mut, welche Selbstermächtigung sie auch bekommen haben, ihr Leben weiterzuleben. Das war auch der schöne Aspekt der Arbeit, der uns, meine Kolleginnen und mich, auch immer getragen hat und noch immer trägt.“

„Einige Fälle vergisst man nie“

Trotz der beruflichen und professionellen Distanz bleiben einige Fälle immer in Erinnerung: „Es bleibt in Erinnerung, dass eine Klientin sich nicht mehr getraut hat, mit dem Bus zu fahren. Eine ganz tolle Frau, die drei Kinder erzogen hat. Wo der Schein nach außen hin sehr, sehr gutbürgerlich war, und trotzdem wurde diese Frau so massiv misshandelt, dass sie sich nicht mehr zugetraut hat, zum Beispiel mit dem Bus zu fahren. Das hat mich sehr geprägt. Mir ist auch eine Frau in Erinnerung geblieben, die 30 Jahre am Bauernhof gearbeitet hat und mit Null ausgestiegen ist, die nur Gewalt erlebt hat in diesen 30 Jahren. Oder auch die Frau, deren Kinder ins Ausland entführt worden sind, wo es sehr lange gedauert hat, dass diese Kinder wieder zurückkommen. Oder Kinder, die vom Vater an die Heizung angekettet worden sind.“

Gewaltschutz der Gesellschaft verständlich machen

Solche Fälle habe sie mitgenommen, es sei eine Anstrengung gewesen, zu schauen, wie könne man hier weitermachen. Eine Klientin sei ermordet worden. Da habe sie Wut empfunden, habe sich geärgert, dass das von vielen immer noch bagatellisiert werde. Das sei auch der Antrieb gewesen, zu sagen, wir müssen da weiter tun, wir müssen etwas verändern, wir müssen helfen und unterstützen, aber auch versuchen, es verständlich zu machen. Es sei ein Geschlechterthema, vor allem aber ein Sicherheitsthema, so Bucher.

Individuelle Beratung für Gewaltopfer

Mit jedem Menschen, der ins Gewaltschutzzentrum komme, werde geschaut, wie die Lebenssituation aussehe. Es werden eine Gefährlichkeitseinschätzung und ein Sicherheitsplan erstellt. Es werde geprüft, ob es gesetzliche Möglichkeiten des Schutzes gebe, oder ob die Person Hilfe bei der Entscheidungsfindung oder konkrete Lebensunterstützung benötige. Gemeinsam gehe man den Weg aus der Gewalt.

1997 trat das Gewaltschutzgesetz in Kraft. Vorher hatten die Opfer nur die Möglichkeit, ins Frauenhaus zu gehen und dort zusammengepfercht zu leben. Mittlerweile gebe es vier Frauenhäuser in Kärnten und nun sei der Lebensstandard für die Gewaltopfer auch ganz anders. Vor dem Gesetz sei die Polizei gerufen worden, wenn sie aber keine Verletzung gesehen habe, sei sie nach einer Streitschlichtung wieder gefahren. Das habe die Täter bestärkt, denn es sei ihnen nichts passiert. „Mit dem Gewaltschutzgesetz hat sich das gravierend geändert, die Polizei hat die Möglichkeit bekommen, präventiv zu wirken. Wenn die Einschätzung des Beamten lautet, dass weitere Gewalt droht, kann er ihn wegweisen und das Betreten der Wohnung für einen bestimmten Zeitraum verbieten.“

Früher mussten Frauen aus Abhängigkeit ausharren

Insgesamt habe man in 23 Jahren 18.000 Personen beraten. 267 waren es im ersten Jahr und im letzten Jahr 1.321. Eine Steigerung von über 500 Prozent. Das zeige, das Thema sei öffentlicher, Betroffene lassen sich beraten und suchen Hilfe. Die Betretungsverbote steigen auch ständig. Werden Männer Opfer von Partnergewalt, gehen sie ähnlich damit um, wie Frauen und versuchen, zusammenzubleiben. Auch sie sehen wenig Auswege, vor allem, wenn Kinder da seien. Männer schämen sich ebenso wie Frauen, wenn sie Opfer werden. Aber die Gefahr eines körperlichen Gewaltübergriffs sei für Männer wesentlich geringer. Frauen seien hingegen immer von Verletzung bis Mord bedroht. Männern passiere das weniger, so Bucher.

„Eine der Hauptursachen für Partnergewalt ist Abhängigkeit. Und wenn ich das weiß, dann weiß ich, dass Gewalt früher möglicherweise noch in einem wesentlich größeren Ausmaß vorhanden war. Dass sie zumindest nicht gestiegen ist, sondern dass die Zahl derer gestiegen ist, die Hilfe in Anspruch nehmen. Wenn ich mich zurückerinnere, haben Frauen keine Arbeit beginnen können, ohne dass der Mann damit einverstanden war. Frauen haben keinen Mietvertrag unterschreiben können, ohne dass der Ehemann damit einverstanden war. Wenn man in so einer Lebenssituation ist und dann Gewalt erfährt, sieht man keine Möglichkeit, irgendetwas zu tun.“

„Betroffene kommen heute schon früher“

Dann sei die Wahrscheinlichkeit, dass man nicht darüber rede, dass man die Gewalt hinnehme, enorm groß. Wenn Frauen aber wissen, sie bekommen Unterstützung und die Möglichkeit, sich selbst ein Leben aufzubauen, werde man die Hilfe in Anspruch nehmen – das habe sich verändert.

Es gebe noch eine Veränderung so Bucher. Vor 20 oder 30 Jahren hätten Frauen oft erst nach Jahrzehnten in einer Gewaltbeziehung Hilfe gesucht. „Inzwischen kommen viele Betroffene von Gewalt früher in Beratung, oft nach dem ersten Gewaltverfall, weil sie Angst haben und weil sie sich bedroht fühlen.“

„Frauenmorde sind auch Gesellschaftsthema“

18 Frauen wurden 2023 bereits getötet: „Es gibt eine Statistik von Morden und Frauenmorden, aber es gibt keine Statistik über die Beziehungsverhältnisse. Das gibt es auch erst seit wenigen Jahren. Und von dem her ist es so, dass die Zahlen an und für sich ähnlich bleiben. Bei den Frauenmorden muss man auch berücksichtigen, in welchem Umfeld leben wir? Was ermöglicht Frauenmorde? Und da sind wir auch in einem gesellschaftspolitischen Thema. Das ist nicht nur ein Sicherheitsthema.“

Man habe in den letzten Jahren sicher Einiges verhindern können, so Bucher. Doch um Frauenmorde generell zu vermeiden, müsse sich auch gesellschaftspolitisch etwas ändern. Es müsse sich die Gleichstellung der Geschlechter verändern: „Es müssen die Rahmenbedingungen, die die Geschlechter vorfinden, ändern, insbesondere wenn es dann um Familiengründung geht.“

Männer weniger von Partnergewalt betroffen

Rund 93 Prozent der von Beziehungsgewalt Betroffenen sind Frauen. Männer als Opfer von häuslicher Gewalt werden häufiger Opfer von anderen Beziehungsverhältnissen: „Wenn ich jetzt nur zum Beispiel Generationengewalt anschaue, Gewalt zwischen Eltern und Kindern, Kinder und Geschwistern, Onkel und Nichte oder Neffe anschaue, da liegt der Anteil von Männern als Opfer bei 40 Prozent. Das heißt, je weiter die Beziehung auseinander ist, desto höher wird auch der Anteil der Männer als Opfer. Das zeigt auch, dass Männer im öffentlichen Bereich mehr Opfer sind, während Frauen im privaten Bereich mehr Opfer sind.“

Vorsicht im Internet

Es kommt immer wieder vor, dass Partner verfolgt, bewacht und gestalkt werden, auch im Internet: „Stalking ist seit 2009 ein Straftatbestand in Österreich. Cyberstalking ist eine neue Form des Stalkings. Eine auf das Internet und das Handy umgelegte Form. Und das macht das Ganze natürlich noch einmal einfacher für die Stalker oder Stalkerinnen und zeigt auch, dass man wirklich vorsichtig sein muss.“ Man müsse sich anschauen, von wem man sich fotografieren lasse, auf dem eigenen Handy oder dem vom Partner, was passiere mit den Fotos, wem gebe man welche Daten. Hier müsse man einfach vorsichtiger sein. Opfer fragen sich, woher der Stalker wisse, wo sie sich aufhalten, habe er vielleicht Spyware auf dem Handy installiert oder etwas auf dem Auto angebracht. Hier gebe es viele Möglichkeiten, jemanden zu verfolgen und zu kontrollieren.

Mehr Zeit für die Kunst

Die Pensionierung ist für Roswitha Bucher kein harter Schnitt sondern ein fließender Übergang. Die Geschäftsführung habe sie an Margot Moser-Lechner übergeben, so Bucher: „Ich persönlich bin noch einige Monate tageweise im Gewaltschutzzentrum, einerseits um meine Sachen abzuschließen und andererseits auch, um für Fragen noch da zu sein.“ Sie male seit vielen Jahren und habe nebenberuflich eine Ausbildung an der Freien Akademie der Bildenden Künste Kärnten gemacht. Sie sei dort auch seit einigen Jahren als Dozentin tätig. „Dafür werde ich künftig mehr Zeit haben, natürlich auch für das eigene Malen und die Auseinandersetzung mit künstlerischer Gestaltung.“

Malerei dient nicht der Entspannung

Malerei war für sie nie nebenbei, denn wenn man sie ernst nehme sei sie anstrengend und Arbeit. „Ich male nicht zur Entspannung. Es ist ein eigenes Thema, ein eigener Bereich, aber auch ein eigenes Bedürfnis, das zu tun. Ein Antrieb, sich auch auf diese Art und Weise auszudrücken.“ Themen der Bilder sind für Bucher die Lebenssituation von Frauen, die Berufstätigkeit von Frauen, verbunden mit Kinderbetreuung, Kindererziehung: "Das andere Thema, das mich auch sehr geprägt hat, sind die Erfahrungen im Frauenhaus. 30 Personen in einem Zweifamilienhaus und die Gefährder sitzen zu Hause in einer 100-Quadratmeter-Wohnung. Was bedeutet das für die Personen im Frauenhaus und was bedeutet das für die Person, die zu Hause alleine in 100 Quadratmetern sitzt. Auch das Thema Altern und Erinnerungen komme dazu. Was habe man erreicht im Leben und was möchte man noch machen, sagte Bucher.