Cvetka Lipus
Marko Lipus
Marko Lipus
Kultur

Cvetka Lipus: Gedichte über Abschiede

„Weggehen für Anfänger“ nennt Cvetka Lipus ihren neuen Gedichtband. Es geht um alle nur erdenklichen Abschiede, vor allem auch darum, wie man sich in dieser Welt zurechtfinden könne. Dabei zeigt sie auch hintergründigen Humor, wenn sie ihren Gedichtband in die Tradition der Ratgeberliteratur stellt.

„Kochen für Anfänger oder Basteln für Anfänger, alle möglichen Ratschlägebücher sind ja sehr populär. Und am anderen Ende in den Buchhandlungen sieht man die Lyrikpoesie, so in den kleinsten Regalen. Und ich dachte, es wäre doch eigentlich interessant, in dem Buch sozusagen diesen Bogen zu machen“, so Lipus.

Sie geht Fragen nach, die sehr viele Menschen beschäftigen, wie der Frage, was ist ewig? Sofort wird klar, dass schon die Fragen in diesem Gedicht den Leser ein gutes Stück weiterbringen können: „Ist es das Warten auf den Bus im Schneesturm, das Sitzen im Wartezimmer des Zahnarztes, das dumpfe Geräusch von Bohrer und Wasser hinter der Tür? Ist es die Konstellation der Sterne im Himmel, Orion, Sirius, dem hellsten in der Nachbarschaft? Sind es die steinernen Falten der Erde? Oder ist es eine alte Liebe, die im Traum zurückkehrt und den Schlafenden bis zum Morgen begleitet, aber sich, ein linkischer Gast, nicht zu verabschieden weiß und für immer bleibt?“

Buchcover Cvetka Lipus
ORF

Vorwort von Drago Jancar

„Cvetka Lipus ist eine ganz besondere, eine große Dichterin“ schreibt Drago Jancar, einer der bedeutendsten Schriftsteller Sloweniens im Vorwort zu diesem Gedichtband. Cvetka Lipus freute sich sehr über diese große Ehre. Gleichzeitig denkt sie sofort darüber nach, was das für die Sache der Lyrik allgemein bedeuten kann: „Dass das diesmal etwas so etwas Übergreifendes ist, dass jemand, wirklich ein Prosaautor, ein Vorwort zu einem Lyrikbuch schreibt, finde ich wirklich toll.“ Drago Jancar wurde unter anderem mit dem Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur ausgezeichnet. Auch in seinen Büchern geht es um den Menschen und seinen Platz im Leben, um die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden.

Diese Entscheidung bedeutet auch immer wieder einen Abschied. Abschiede, wie sie Cvetka Lipus beschreibt, können fast alles treffen: „Von dem ganz alltäglichen Abschiednehmen, von dem, dass man am Abend zu Bett geht, von dem Abschiednehmen vor einer Reise, dass man einen Ort verlässt und an einen anderen hingeht. Abschiednehmen aber natürlich auch von Personen. Teilweise dreht sich das auch um, in den Texten nehmen auch Orte Abschied von Personen. Und es nehmen hier auch Dinge Abschied, auch Inseln nehmen Abschied. Es ist hier Abschiednehmen in allen Variationen.“

Der Abschied kann aber auch endgültig sein. Cvetka Lipus widmete dem Schriftsteller und Übersetzer Fabjan, der 2016 gestorben ist, ein sehr persönliches Gedicht. „Blind vor Einsamkeit“ steht da – eine Zeile reicht, um alles zu sagen.

Lyrik öffnet sich auch neue Medien

Künstliche Intelligenz, die Texte schreibt, ein Leben, das fast nur noch online stattfindet. Wer liest da noch Gedichte? Cvetka Lipus ist davon überzeugt, dass es immer Menschen geben werde, denen die Lyrik sehr viel bedeute. Es scheinen auch in allen Ländern ungefähr gleich viele zu sein.

Für Lipus passen Gedichte sogar sehr gut in unsere Zeit: „Ist vielleicht die Lyrik ein ganz passendes Genre, das man sehr schnell in kleinen Häppchen lesen kann und sich auch neuen Medien leicht öffnet.“ Ein Gedicht lässt sich sehr einfach im Internet veröffentlichen. Auf der Website Lyricline.org sind derzeit über 14.000 Gedichte als Text und zum Nachhören abrufbar.

Lyrik in Zeiten der Katastrophen

Lipus lebte viele Jahre in den USA, auch 2001, als die Terroranschläge das World Trade Center zerstörten. Ein Ereignis, das die Menschen vor Fragen stellte, auf die sie nur sehr schwer Antworten finden konnten, so Lipus: „Und plötzlich hat Lyrik diese Stellung eingenommen, in einer Art Ratgeber. In einer Situation, wo man weder mit Politik noch mit Wissenschaft noch sonst wie sich das irgendwie erklären konnte. In Momenten, wo sehr viele zu Lyrik zurückkommen, sind das manchmal wirklich solche Schlüsselmomente. Und ich habe mir gedacht, das hat eigentlich etwas mit dem Ratgeber in ganz entfernten Sinnen zu tun.“

Andere Blicke auf das eigene Leben

Einfache Ratschläge wird man im „Weggehen für Anfänger“ nicht finden. Finden lassen sich aber andere Blicke auf das eigene Leben und den Platz in der Welt und auch darauf, wie dieses Leben weitergehen soll: „Du beginnst, zurückzubleiben. Zuerst verstohlen. In den Pausen findest du dich neben dir, über dir wie in einem Comic leere Sprechblasen. Sorgfältig säumst du diese Stille. Durch sie reist man in sich selbst, flüstert jemand, bevor er für immer verstummt. Du bleibst bei den Deinen. Vor dem Bildschirm stimmst du dich ein auf den Pulsschlag der Welt.“

„Abschiede nicht immer dramatisch“

Die Kärntner Slowenin schreibt in ihren Gedichten Zeilen wie: „Mit der Heimwehr sind wir längst fertig. Wir haben der Ewigkeit längst abgesagt. Die Ewigkeit ist mit uns schon längst fertig.“ Es sind nüchterne Momentaufnahmen, verschont wird hier niemand. Eines kann man von Lipus sehr gut lernen: Dass ein Abschied längst nicht immer eine Katastrophe sein muss: „Abschied ist nicht immer dramatisch. Ein Abschied ist auch die Hoffnung auf etwas Neues. Also nicht jeder Abschied ist, so zu sagen, tränenvoll und mit großen Konsequenzen, sondern es sind Abschiede, die man vielleicht schon vorher machen hätte sollen.“

Cvetka Lipus schrieb diese Gedichte auf Slowenisch. Klaus Detlef Oluf übersetzte sie ins Deutsche. Der Otto Müller Verlag brachte eine zweisprachige Ausgabe für Anfänger heraus.

Cvetka Lipus

Geboren wurde Cvetka Lipus 1966 in Eisenkappel, sie absolvierte das Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft und Slawistik in Klagenfurt. Von 1990 bis 2000 war sie neben Maja Haderlap und Fabjan Hafner Mitherausgeberin der Kulturzeitschrift „Mladje“. Ab 1995 lebte sie in den Vereinigten Staaten und absolvierte das Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaften an der Universität Pittsburgh.

Lipus lebt seit 2009 in Salzburg. Bisher verfasste sie acht Gedichtbände. Sie wurde ausgezeichnet mit dem Preis der Preseren-Stiftung 2016, mit dem österreichischen Staatsstipendium für Literatur und mit dem Förderungspreis des Landes Kärnten für Literatur. 2008 und 2015 wurden ihre Gedichte jeweils für den Veronika Preis für den besten Lyrikband Sloweniens des Jahres nominiert (Informationen: Otto Müller Verlag).