Ausschnitt Film " „Verschwinden/Izginjanje“
ORF
ORF
Kultur

Erhängtes Pferd und verschwundene Sprache

Im Oktober jährt sich der Kärntner Ortstafelsturm zum 50. Mal. Ab 7. Oktober ist der Dokumentarfilm „Verschwinden/Izginjanje“ im Kino zu sehen. Andrina Mracnikar geht darin der Frage nach, warum ihre Muttersprache Slowenisch im Alltag immer mehr verschwindet und berichtet über ein erhängte Pferd im Stall ihrer Familie.

Der Ortstafelsturm ging als gewalttätiger Protest gegen die im Staatsvertrag festgelegten zweisprachigen Ortstafeln in die Geschichte ein.

In dem Film „Verschwinden/Izginjanje“ geht es um die slowenische Volksgruppe in Kärnten und deren Geschichte in den vergangenen hundert Jahren, seit der Volksabstimmung. „Ich wollte den Film aber auch bewusst in der Gegenwart spielen lassen und fragen, wie ist das Leben heute?“, sagt Andrina Mracnikar. Sie begebe sich daher in dem Film auch auf eine ganz persönliche Spurensuche, da der Inhalt auch ihre eigene Familiengeschichte betreffe, denn sie ist zweisprachig aufgewachsen.

Neuer Film von Andrina Mracnikar

Anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums des Ortstafelturms geht Andrina Mracnikar in ihrem neuen Film „Verschwinden/Izginjanje“ der Frage nach, warum ihre Muttersprache Slowenisch im Alltag immer mehr verschwindet. Am Freitag feiert der Film Kinopremiere.

„Zweisprachigkeit als Bereicherung sehen“

Sie gehe auch den Fragen nach, wie sehr die slowenische Sprache noch verwendet werde, sowie was der Begriff Muttersprache eigentlich bedeute und was es bewirke, wenn man diese nicht mehr aktiv spreche, so die 41-Jährige, die für Drehbuch und Regie verantwortlich zeichnet: „Wie sehr sind Sprache und Erinnerung verbunden?“

Ihrer Erfahrung nach nutze die Sprache, ohne gesprochen zu werden, wenig, weil der Sinn einer Sprache darin liege, mit anderen zu kommunizieren, sich mitzuteilen und auszutauschen: „Es wäre wichtig, dass mehr gegen das Verschwinden der slowenischen Sprache in Kärnten getan wird. Es könnte eine Bereicherung für uns alle sein. Auch für die Einsprachigen ist Zweisprachigkeit eine große Bereicherung.“

Ausschnitt Film " „Verschwinden/Izginjanje“
ORF
Andrina Mracnikar ist zweisprachig aufgewachsen

Volksgruppe begründete Karantanien

Auch der Schulunterricht könne für mehr Offenheit sorgen. „Man merkt, dass es oft kein Bewusstsein dafür gibt, dass es die slowenische Volksgruppe und die Minderheit in Kärnten gibt, obwohl sie schon seit dem 6. Jahrhundert hier lebe und im 7. Jahrhundert das Fürstentum Karantanien gegründet hat.“

Auch was die Deportationen während des Zweiten Weltkrieges betreffen herrsche oft Unwissenheit. Ein Grundbewusstsein hingegen würde vieles erleichtern, ist die Filmemacherin überzeugt: „Dann würde man sich auch hier mehr zu Hause fühlen.“

„Kein typischer Erklär- oder Schulfilm“

Der Film „Verschwinden/Izginjanje“ wurde bei der Diagonale mit dem Publikumspreis ausgezeichnet. Sie sei erfreut, dass ihre Bemühungen darum, nicht einen typischen Erklär- oder Schulfilm zu machen, der nur trockene Fakten liefert, geglückt seien: „Ich wollte auf eine berührende Art und Weise vermitteln, was Sprache ist. Gerade einen Publikumspreis zu bekommen ist eine Bestätigung dafür, dass der Film berührt, packt und etwas verständlich macht.“

Als er fertiggestellt worden sei habe sie das Endprodukt durchaus überrascht, so Andrina Mracnikar: „Ich gehe meine Dokumentarfilme meistens eher offen an. Es gibt am Anfang natürlich ein Konzept und Recherche, aber es ist nicht so fixiert, dass es wie ein fertiges Drehbuch da ist. Vieles entwickelt sich während des Drehs und beim Schnitt.“ Im aktuellen Fall habe sich nicht abschätzen lassen, wie sich die persönliche und die politische Ebene miteinander verbinden lasse. Es habe aber tatsächlich funktioniert.

Von der ersten Idee bis zum Finanzierungsprozess habe es lange gedauert, so Mracnikar. Zwar nicht, weil es Absagen gegeben habe, sondern weil Förderentscheidungen lange gedauert hatten. Der Film sei zudem in einer Koproduktion mit Slowenien entstanden.

Ausschnitt Film " „Verschwinden/Izginjanje“
ORF

Großmutter fand erhängtes Pferd im Stall

Zurück zu einer sehr berührenden Stelle im Film. Sie thematisiert ein Pferd, das beim Ortstafelsturm vor 50 Jahren erhängt wurde. Es habe sich dabei um das Tier ihrer Großmutter, erzählt die Kärntner Slowenin: „Da wurden die zweisprachigen Ortstafeln niedergerissen. Autokolonnen fuhren durch die Dörfer. Meine Oma wurde als Kind selbst in ein Arbeitslager deportiert. Sie hatte sich zu Hause mit der Familie aus Angst eingesperrt. Es wurde die Milchhütte in den Bach geschmissen und ‚Staatsverräter‘ vor die Türe geschrieben. Als sie dann in der Früh in den Stall kam fand sie dort ihr erhängtes Pferd vor.“

Feindselige Stimmung oft noch heute spürbar

Mracnikar selbst wurde fast ein Jahrzehnt nach dem Ortstafelsturm geboren. Dennoch beeinflussten die Geschehnisse von damals auch ihr eigenes Leben: „Man sagt immer, dass traumatische Erfahrungen auch über Generationen wirken. Ich bin in einer Generation aufgewachsen, die in Klagenfurt beschimpft wurde, wenn man Slowenisch sprach. ‚Redet deutsch‘, ‚Geht zurück‘ oder ‚Kann das Kind kein Deutsch?‘. Das habe ich selbst noch oft gehört. Ich habe auch jetzt beim Dreh erlebt, dass die Stimmung dem Slowenischen gegenüber immer noch unfreundlich und feindselig ist.“

Ausschnitt Film " „Verschwinden/Izginjanje“
ORF
Andrina Mracnikar

„Wenig Interesse an Dialog“

Sie habe auch bei manchen deutsch-nationalen Veranstaltungen, die sie während der Dreharbeiten besucht habe, ein ungutes Gefühl gehabt, so Mracnikar: „Zunächst war es schön, dass wir überhaupt dort drehen durften. Es gab eine gewisse Skepsis, aber auch sehr wenige Gegenfragen, was mich gewundert hat. Wenn ich Fragen gestellt habe wurde sehr wenig gegengefragt wer ich bin, wie ich dazu komme oder was mich interessiert. Das hat mich erstaunt.“ In diesem Zusammenhang hätte sie sich erwartet, dass ihre Gegenüber auch mehr über sie und ihre Arbeit erfahren wollen: „Ich wollte ja nichts geheim halten oder verstecken, aber es gab sehr wenig Interesse an der anderen Haltung oder an einem Dialog.“

Andrina Mrachnikar sagt, es wäre schön, irgendwann in einem Land zu leben, in dem man stolz auf die zweite Landessprache sei, das bewusst mit seiner Geschichte umgehe und wo Geschichte nicht verheimlicht werde. Nach der Premiere in Villach wird der Film auch in Wien, Graz bzw. später in ausgewählten Kinos in ganz Österreich gezeigt.