Eine Frau liest ein Buch
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Kultur

Neues Buch: Gefühle in der Arbeitslosigkeit

Der Kärntner Autor Stefan Feinig verarbeitet in seinem Buch „374“ eigene Erfahrungen mit Arbeitslosigkeit, mit dem Gefühl, die Nummer zu sein, die man am Arbeitsamt zieht. Die Sprache ist oft deftig, wenn er darüber nachdenkt, wie Selbstwert mit Arbeit zusammenhängt und wie man sich neu definieren muss.

Im Poem 374, einer lyrischen Schilderung, heißt es: "Am Anfang muss man erst einmal eine Nummer ziehen. Eine Nummer. Aus einer kleinen elektronischen Plastikschachtel an der Wand neben dem Eingang muss man erst einmal eine Nummer ziehen. Eine Nummer. Kaum zu glauben, ich bin eine Nummer, weiter nichts, eine beschissene Nummer.

Eine Nummer, nicht mehr, so sieht sich der Mensch, der auf dem Arbeitsamt steht. Es sind Sätze, die unter die Haut gehen: „Wir sind arbeitslos. Und vermutlich ist das die gefährlichste Störung, an der man so leiden kann.“ Der Titel des Buches spricht schon Bände: „374“ wie die Nummer auf dem Arbeitsamt.

Trotz mehrerer Abschlüsse arbeitslos

Frustration, Angstzustände und Wut artikuliert Feinig in seinem Buch. Arbeitslosigkeit führt zu einem großen Gefühl der Ohnmacht und der Abhängigkeit von einem System, das den Betroffenen helfen soll. Feinig versucht immer noch, diplomatisch zu sein, auch wenn er von seinen eigenen Erfahrungen mit der Arbeitslosigkeit erzählt. Der Schriftsteller ist Geisteswissenschaftler mit mehreren Abschlüssen. Er arbeitete schon in den verschiedensten Brotjobs.

Cover von Stefan Feings Buch 374
Hermagoras Verlag

Zweisprachige, deutsch-slowenische Ausgabe, 120 Seiten, broschiert, ISBN: 978-3-7086-1142-6, Verlag: Hermagoras Verlag, 2021

Der Lockdown machte alles noch einmal viel schlimmer: „Es war immer so ein Selbstverständnis, dass die schlechter bezahlten Jobs für mich problemlos erreichbar sind, vor allem auch in der Gastronomie, was ich immer gemacht habe. Diese Selbstverständlichkeit dieser Jobs fällt jetzt weg. Es ist schwierig in der Gastronomie. Ich wurde im März gekündigt und bin die ganze Zeit konsequent auf der Suche. Es ist nichts da draußen.“

Kritik am System

Feinig geht die eigene Arbeitslosigkeit an die Substanz. Er versucht alles nur Mögliche, um wieder Arbeit zu finden. Mit dem neuen Buch will er aber nicht erreichen, dass er als Repräsentant für gescheiterte Existenzen angesehen wird. Dass sein Poem dem AMS, aber auch der österreichischen Gesellschaft gegenüber kritisch ist, versteht sich von selbst: „Sehr interessant ist auch, dass man Tage vor dem AMS-Termin das Gefühl hat, man muss dort etwas bringen, etwas zeigen oder beweisen, sonst nehmen sie einem das Geld weg. Die Leute waren meistens zwar nett, aber man ist so aufgewühlt.“ Es gehe auch um Selbstwert, so Feinig. Menschen definieren sich über Jobs und wenn das wegfalle, ist die Frage, wo bekommt man den Selbstwert her.

Die STW-Vorstände Dipl.-Ing. Erwin Smole und Mag. Harald Tschurnig mit Mag. Dominik Srienc Sieger  Arnulf Ploder Stefan Feinig   und Unternehmenssprecher  Harald Raffer.
Thomas Hude
Stefan Feinig, zweiter von rechts bei der Verleihung des Stadtwerke Lyrikpreises 2019

Wie definiert sich Selbstwert?

Feinig stammt aus Suetschach. Der Schriftsteller lebt aber schon seit vielen Jahren in Wien. Zuletzt wurde er mit dem Förderpreis für Literatur des Landes Kärnten ausgezeichnet. Er sagte, er wolle sich nicht als verkanntes Genie oder als jammernden Kunsttyp darstellen. Es sei als Autor ziemlich schwierig, davon leben zu können.

Dass sich der Arbeitsmarkt durch die Technologisierung und Digitalisierung nachhaltig verändert, ist Feinig auch klar. Immer weniger Menschen werden gebraucht, um alles am Laufen zu halten. Damit wird dann auch die Frage „wie definiere ich meinen Selbstwert“ noch einmal neu gestellt.

Vom Gefühl des Versagens

Der Mensch im Buch steht auf dem Arbeitsamt und hat das Gefühl, nichts mehr wert zu sein, versagt zu haben. Dazu kommt noch all das, was man an Werten innerhalb der Familie gelernt hat. In dem Poem 374 ging es dem Dichter darum, wie in der Arbeitslosigkeit mit Gefühlen wie Frust umgegangen wird und wie sie artikuliert werden: „Was ich vermeiden will ist, dass ich einer bin, der sich aufregt.“ Man sehe später, was man hätte anderes machen können. Die Herkunft aus der Arbeiterklasse sei ihm karrieretechnisch in die Quere gekommen.

Schreiben war für Feinig eine Möglichkeit, mit dem Gefühl der Ohnmacht produktiv umzugehen. Die Sprache, die er dabei verwendet, ist immer wieder deftig. Es gibt ja auch nichts zu beschönigen. Am Anfang des Buches steht ein Zitat von Alain Badiou: „Entwerfen wir die poetische Nacktheit der Gegenwart.“ Besonders hart ist die Konkurrenz, wenn es darum geht, wer einen Job bekommt. Von denen, die es schaffen, ist viel öfter die Rede als von all den anderen, die noch immer arbeitslos sind.

Leser sollen mehr über Gefühle nachdenken

Stefan Feinig würde sich wünschen, dass die Leserinnen und Leser mehr über ihre Gefühle nachdenken, sie mehr reflektieren: „Es hat einen aggressiven Ton und ist knallhart. Ich hoffe nicht, dass es den Frust der Menschen steigert. Vielleicht will ich zuviel, vielleicht wird das Gegenteil bewirkt. Ich meine aber, dass es ein versöhnliches Ende hat, ein sehr ergreifendes Ende.“ Zitat; „Ich bin nichts weiter als ein Seelenkrüppel, das ist alles. Ein emotional gelähmtes Arschloch, das nicht in der Lage ist, einen Moment der wahren Empfindung zu entwickeln. Es geht einfach nicht. Das einzige, was ich zustande bringe, ist, dass ich die Hand auf seine Schulter lege, während er weiter weint, und sein massiger Körper auf und ab wippt.“

„374“ ist eine zweisprachige Ausgabe, links steht der deutsche Text, rechts der slowenische. Aus dem Slowenischen übersetzte Feinig selbst. Erschienen im Hermagoras/Mohorjeva Verlag.