Jahrzehntelange intensive Forschungsarbeit am pflanzensoziologischen Institut in Klagenfurt steckt in dem Buch „Pflanzenwurzeln“. Es wurden Wurzeln ausgegraben, Wurzelbilder gezeichnet und analysiert, die Wurzeln wurden aber auch mit Bodenverhältnissen in Verbindung gebracht – in Bezug auf die Land- und Forstwirtschaft, Wiesen, Böden und die Kärntner Flora.
Allen Anfang macht die Wurzel
Der Frühling naht und es werden bald die ersten Samen in die Erde geben. Als erstes bilden sich die Wurzeln aus. Roland Eberwein regt einen kleinen Versuch an, am Küchenfenster eine Bohne zum Keimen zu bringen: „Man wird dann bemerken, dass als Erstes die Wurzel aus dem Samen dringt. Sie ist verantwortlich dafür, den Samen entsprechend zu positionieren und mit Nährstoffen zu versorgen.“
Sendungshinweis:
Erlebnis Natur in Radio Kärnten, 8.2.2021
Wurzeln sind für die Pflanzen sehr wichtig, denn Wurzeln können viele verschiedene Aufgaben erfüllen, die wir Menschen auch nutzen können. Als Beispiele nennt er Wurzelgemüse oder Hangbefestigungen mit speziellen Pflanzen, die ganz bestimmte Wurzelsysteme ausbilden: „Wenn wir unsere Autos unter Bäumen parken denken wir meist nicht, dass sich unterhalb der Erdoberfläche ein riesiges System an Wurzeln mit komplexen, hochinteressanten Zusammenhängen ausbreitet.“
Wurzeln sind nicht nur wichtig für die Verankerung für Pflanzen und für die Nährstoffaufnahme, sondern sie sind auch Speichersystem, so der Experte. Sie dienen auch der Kommunikation mit anderen Lebewesen im Boden, zum Beispiel Pilzen und Bakterien.
Facettenreiche Vielfalt
Roland Eberwein setzt sich schon lange mit Wurzelfunktionen und -strukturen auseinander. Diese Art der Forschung ist sehr selten. Es gebe spezielle Ausprägungen, sogenannte Symmetrien, die man im anatomischen Schnitt sieht: „Sie sind für die Wurzel und die Funktion dieser wirklich wichtig.“ Diese Symmetrien kann man bei der Karotte gut sehen. Sie bildet ein längliches Speicherorgan aus.
Es gibt jedoch auch knollenförmige Speicherwurzeln, wie zum Beispiel beim Radieschen. Eberwein: „Es gibt lange, dünne, zähe Wurzeln, die als Verankerungsorgane ausgebildet sind. Ingenieurbiologisch werden sie auch zur Hangsicherung genutzt. Es gibt auch Wurzeln, die an Sprossen gebildet werden, die zum Klettern notwendig sind, zum Beispiel der Efeu macht soetwas. In den Tropen gibt es fallweise auch Pflanzen, die Wurzeln ausbilden, die dornförmig gebildet sind. Sie dienen als Fraßschutz.“
Zugwurzeln als unterirdische „Bewegungskünstler“
Es gibt jedoch auch Wurzeln, die aktiv Bewegungen vollziehen können. Es handelt sich dabei um sogenannte Zugwurzeln. Sie kommen unter den Zwiebelpflanzen, wie beispielsweise der Tulpe, sehr häufig vor: „Wenn ein Tulpensamen keimt, ist er fast an der Oberfläche. Die Zwiebel wird dann im Laufe des Wachstums immer tiefer in den Boden hinuntergezogen – bis sie an der Stelle steht, wo sie für die Pflanze optimal ist.“ Daran würde man oft nicht denken, wenn man sage, eine Pflanze sei „fest verwurzelt“, so Eberwein.
Auch eine Seitwärtsbewegung ist für Zugwurzeln möglich, das kommt bei ein paar Sauerkleearten vor. Die Wurzel der Gladiole kann hingegen eine Kippbewegung machen. „Die Zugwurzeln sind in diesem Fall so dick ausgestaltet, dass sie das Erdreich zur Seite drücken und die Knolle wieder in den Boden hinunterziehen können.“ Es handel sich um ausgeklügelte Systeme, so der Experte.
Luftwurzeln können Funktion der Blätter übernehmen
Bei manchen Pflanzen können die Wurzeln sogar Sonderfunktionen übernehmen, wie zum Beispiel bei den Orchideen die sogenannten Luftwurzeln. Sie nehmen aus der Luft die Feuchtigkeit und die Nährstoffe auf und sind speziell ausgestaltet, erklärt Botaniker Roland Eberwein: „Man sieht das, wenn man sie feucht ansprüht, dass die silbrige Farbe in ein leichtes Grün umschlägt. Das kann soweit gehen, dass bei speziellen Orchideen die Wurzeln sogar die Assimilation, also die Funktion der Blätter vollständig übernehmen. Sie haben dann außer den Blütenblättern keine weiteren Blätter mehr.“
Wasserausgleich über Wurzeln auch im Winter
Für die Wurzeln geht es, je nach Pflanzenart, nicht erst wieder im Frühling los. Wurzeln können auch auch im Winter Wasser aufnehmen, wie zum Beispiel die Nadelbäume. „Wenn der Boden sehr gefroren oder trocken ist und im Winter zum Beispiel die Sonne auf die Nadeln scheint und es warm wird, verliert die Pflanze Wasser. Wenn im Winter von den Wurzeln aus dem Boden kein Wasser nachgeliefert werden kann erfriert die Pflanze und vertrocknet.“
Pionierarbeit mit langer Tradition
Die Forschungsergebnisse zu den Wurzeln wurden über Jahrzehnte bereits in sieben umfangreichen Wurzelatlanten unter Institutsleiterin Lore Kutschera, Professor Lichtenegger und Monika Sobotik veröffentlicht. Diese Werke haben laut Eberwein weltweit Verbreitung gefunden. Aufgrund der intensiven Arbeitsweise gebe es kaum bis wenig vergleichbare Literatur zu diesem Thema. Es handle sich um Pionierarbeiten, so der Leiter der Abteilung Botanik des Kärntner Landesmuseums.
In dem neuen Buch „Pflanzenwurzeln“ wurden die wichtigsten Forschungserkenntnisse zusammengefasst. Es kam im Oktober heraus und ein Drittel der Auflage ist bereits verkauft. Mit Wurzeln verbinde man jedoch nicht immer positive Assoziationen, meint Mitautor Roland Eberwein: „Sie werden oft mit negativen Attributen versehen – Übel, Ausreißen, usw. Wenn jemand die Wurzeln von unten sieht, dann ist es ganz aus.“