Kultur

Erste Favoriten am zweiten Lesetag

Am zweiten Lesetag der 44. Tage der deutschsprachigen Literatur berührte der erste Text von Helga Schubert die Jury großteils. Sie etablierte sich als erste Favoritin; genauso wie Hanna Herbst. Wohlwollende Kommentare gab es zu den Texten von Egon Christian Leitner und Levin Westermann.

Den letzten Lesetermin des zweiten Tages hatte Levin Westermann inne. Er wurde von Hubert Winkels nach Klagenfurt geholt, um hier seinen Text „und dann“ vorzustellen – mehr dazu in TEXT Levin Westermann,. Der Vortrag in einer Art Litanei gefiel nicht allen Juroren, allen voran Philipp Tingler – mehr dazu in Jurydiskussion Levin Westermann.

Lesung Levin Westermann
ORF/Johannes Puch
Videoporträt von Levi Westermann

Senkel-Text ambivalent aufgenommen

Nach der Pause war Matthias Senkel am Start. Er war bereits 2012 beim Bachmannpreis eingeladen. Heuer brachte ihn Juryvorsitzender Hubert Winkels nach Klagenfurt. Sein Text trägt den Titel „Warenz“ – mehr dazu in TEXT Matthias Senkel, D.

TDDL 2020: Lesung Matthias Senkel
ORF/Johannes Puch
Matthias Senkel

Er führte – wieder einmal in diesem Bewerb – zur Diskussion über die Kriterien, nach der man Literatur bewerte. Manchen gefiel der Text, manchen nicht, wie Philipp Tingler – mehr dazu in Jurydiskussion Matthias Senkel.

Leitner spaltete mit Sozialkritik

Den Schlusspunkt des Vormittags hatte der Autor Egon Christian Leitner inne. Der Grazer las den Text „Immer im Krieg“. Er wurde von Klaus Kastberger eingeladen – mehr dazu in TEXT Egon Christian Leitner.

Bei der anschließenden Analyse sprach Leitner Juror Tingler selbst an, „weil Sie mich für literaturblöd halten“, und brachte in seinem Statement ein lateinisches Zitat, sowie Verweise auf die Antike, auf Meister Eckhart und Erich Fromm unter. Wichtig sei die Bereitschaft, „Menschen und Sachverhalte nicht zu entstellen“.

TDDL 2020 Egon Christian Leitner bei der Lesung
ORF/Johannes Puch
Egon Christian Leitner

Leitner absolvierte ein Studium der Philosophie und Klassischen Philologie und war in der Kranken- und Altenpflege sowie Flüchtlingshilfe tätig. Einen sozialkritischen Ansatz wählte er auch für seinen Text, der die Juroren in zwei Lager spaltete – mehr dazu in Jurydiskussion Egon Christian Leitner.

Michael Wiederstein und Egon Christian Leitner
ORF/Johannes Puch
Juror Michael Wiederstein und Egon Christian Leitner

Herbst: „Es wird einmal“

Die deutsch-österreichische Journalistin und Autorin Hanna Herbst, die seit Juni 2020 auch als Chefin vom Dienst verantwortlich ist für die journalistischen Inhalte in Jan Böhmermanns neuer Sendung, las auf Einladung von Insa Wilke den Text „Es wird einmal“ – mehr dazu in TEXT Hanna Herbst, D/A, der u.a. von Wendungen wie „Du hast erzählt die Geschichte von…“ , „Ich habe dir erzählt von…“ oder „Ich habe gefragt, ob du dich erinnerst an die Geschichte, die…“ strukturiert wird.

Es geht um Geschichten, aber gelegentlich auch um Pointen: „Deine Lieblingszeit war das Futur II. Wir werden glücklich gewesen sein. Und deine andere Lieblingszeit war morgens um halb sechs.“ Vor allem aber geht es um das angesprochene Du, ein Maler und offenbar der Vater der Erzählperson (was Kastberger bestritt), der am Ende des Textes stirbt: „Das Letzte, das du gesagt hast: ‚Gleich weiß ich mehr als du.‘“

TDDL 2020 Videoporträt Hanna Herbst
ORF/Johannes Puch
Hanna Herbst

Die Juroren waren zunächst uneins darüber, worüber es eigentlich im Text gehe – ob sie vorgeführt werden, ob die Autorin ein Experiment mit dem Text bezweckte. Es war ihnen auch unklar, in welchem Verhältnis die beiden Figuren zueinander stehen- mehr dazu in Jurydiskussion Hanna Herbst.

Hanna Herbst beantwortete die Frage, ob der Text als Experiment gedacht war, mit einer besonderen Antwort – in einem Video, das noch am Abend des Lesetags online ging:

Aus Jurorin wurde Autorin

Helga Schubert präsentierte als erste Autorin am zweiten Lesetag
ihren Text „Vorm Aufstehen“ – mehr dazu in TEXT Helga Schubert, D. Es handelt sich um eine Geschichte über das Leben und Sterben ihrer hartherzigen Mutter und ihre Beziehung zu ihr, Erinnerungen an den Krieg und die DDR und was es aus Menschen machte. Sie schaffe es damit fast so etwas wie Harmonie in die Jury zu bringen: die Mitglieder zeigten sich berührt. Sie mache aus einer großen Grausamkeit ein großes Verzeihen, hieß es etwa vom Juryvorsitzenden Winkels. Schubert zeigte sich darüber zu Tränen gerührt – Jurydiskussion Helga Schubert.

Für die 1940 geborene Autorin war es der zweite Anlauf zum Bewerb: 1980 scheiterte die Ausreise aus der DDR. Von 1987-1990 saß sie dann selbst in der Jury der Tage der deutschsprachigen Literatur.

Jury 1987
Eggenberger
Helga Schubert bei den TddL 1987
Helga Schubert
ZDF/SRF/ORF/3sat
Helga Schubert 2020

Autoren können mitdiskutieren

Die siebenköpfige Jury unter Vorsitz von Hubert Winkels diskutiert im Anschluss an jede Lesung live. Ihre Mitglieder sind neben Winkels Nora Gomringer, Klaus Kastberger, Michael Wiederstein, Insa Wilke und die beiden Neuzugänge Brigitte Schwens-Harrant und Philipp Tingler. Letzterer führte mit seinen Aussagen am ersten Lesetag gleich eine zu einer neuen Front in der Jury, die noch viel Unterhaltungswert verspricht. Die Autoren sind dabei zugeschaltet und können sich an der Diskussion beteiligen.

Rückblick: Der erste Lesetag

Den Auftakt am ersten Tag machten machte die Hamburger Autorin Jasmin Ramadan, Lisa Krusche und Leonhard Hieronymi. Den ersten Lesenachmittag bestritten die beiden Österreicher Carolina Schutti und Jörg Piringer.

TDDL 2020 Public Viewing Lendhafen
ORF/Johannes Puch
Public Viewing im Lendhafen

Autoren und Juroren nehmen virtuell teil

Das ORF Theater, wie auch der Funkhausgarten, müssen in diesem Jahr leer bleiben. Das Publikum darf coronavirusbedingt ja nicht bei der Sonderausgabe dabei sein. Als Ausweiche im kleinen Rahmen dient die Public Viewing-Zone im Lendhafen, unweit des ORF Theaters.

TDDL 2020 Jurydiskussion Tag 2
ORF/Johannes Puch
Die Jurydiskussion im Internet

Die Lesungen der 14 Autorinnen und Autoren wurden bereits vor Tagen aufgenommen und werden zu den festgelegten Zeiten eingespielt. Die Jury-Diskussionen finden daran anschließend jeweils live statt, allerdings nicht im ORF-Theater in Klagenfurt, sondern per Liveschaltung aus Berlin, Zürich, Wien, Graz und Bamberg. 3sat überträgt wie jedes Jahr die Lesungen und Diskussionen sowie die Preisverleihung live. Der Bewerb wird auch im Internet gestreamt.

Insgesamt werden aus dem Landesstudio Kärnten also trotz der digitalen Sonderausgabe wieder 16 Stunden Literatur live im Fernsehen übertragen. Der Bachmann-Preis, den im Vorjahr die Salzburgerin Birgit Birnbacher gewann, ist mit 25.000 Euro dotiert.