Frau meditiert vor einem Sonnenuntergang
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Bildung

Forschung: Wie wird man weise

Weltweit gibt es nur um die 20 Weisheitsforscher. Eine davon ist Judith Glück an der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt. Wie man Weisheit definiert ist nicht klar festgelegt. Was dazugehört sind wohl Lebenserfahrung, eine gewisse Haltung dem Leben gegenüber und aus Erlebnissen lernen zu können – ob positiv oder negativ.

Obwohl sie seit 20 Jahren die Weisheit erforscht, habe sie die richtige Definition noch immer nicht gefunden, so Glück im Gespräch mit dem ORF. „Wir glauben derzeit, dass Weisheit zwei große Komponenten hat. Weise Menschen haben viel Lebenswissen, aus eigener Erfahrung oder dem Miterleben. Deswegen ist es eher selten, dass junge Menschen weise sind. Man braucht Erfahrung, auch mit schwierigen Ereignissen im Leben. Das zweite ist, dass eine bestimmte Haltung zum Leben dazugehört.“

Offen bleiben und reflektieren

Das sei der emotionale Aspekt, zu dem Ruhe, Gelassenheit und Offenheit für andere Ideen gehören. Ein gutes Gefühl für die eigenen Emotionen sowie die Bereitschaft, über Dinge nachzudenken und sich selbst zu reflektieren. „Wenn man diese Haltung hat, kann man viel aus dem Leben lernen. Wenn man eine Erfahrung macht und nicht die eigene Rolle verdrängt, sondern nachdenkt, was ist wirklich passiert, was sagt das über mich aus und was kann ich lernen. Daraus entwickelt man Weisheitswissen und wird zu jemandem, dem auch andere Menschen gerne zuhören.“

Weisheit kommt auch aus positiven Dingen

Ist aber nur jemand weise, der große Krisen meistern musste? Man habe zuerst so gedacht, sagte Glück, dass es vor allem die schwierigen Ereignisse seien. Dann habe aber ihr Mitarbeiter Nic Weststrate in seiner Dissertation herausgefunden, dass Menschen bei Befragungen angaben, sie hätten auch aus positiven Dingen gelernt. So zum Beispiel sagten Menschen, ein Kind zu bekommen hätte ihre ganze Perspektive verändert. Dieses Erlebnis bringe wohl viel Erkenntnis. Heute sage man, es seien die Dinge, die bisherige Überzeugungen über den Haufen werfen. Dazu gehöre, dass man erkennen müsse, dass die Kontrolle über das Leben sehr schnell verlieren könne. „Die Erlebnisse müssen einschneidend sein.“

Fragebögen helfen Forschern nur bedingt

Die Forscher versuchen seit 30 Jahren, Weisheit zu messen. Es gebe Fragebögen, in denen es heiße, man sei mit sich selbst im Einklang. Oder: Ich versuche immer, alle Perspektiven zu sehen, wenn ich Konflikte habe. Oder: Ich habe Mitgefühl mit anderen Menschen, so Glück. „Aber da gibt es dann die Leute, die zu allem ja sagen, weil sie gar nicht erkennen, dass sie mit diesen Dingen Schwierigkeiten haben. Wenn man mich fragt, ob ich mit meinen Gefühlen in Einklang bin und ich auf diese Gefühle nicht genau hinschaue, dann werde ich sagen, natürlich bin ich im Einklang. Ich merke gar nicht, dass da Gefühle sind, die ich nicht gerne sehe.“ Ein weiser Mensch würde vielleicht sagen, es gebe auch Gefühle, die ich nicht haben will. „Mit einem einfachen Fragebogen geht das also nicht so gut.“

Bei Entscheidungen spielen Emotionen mit

Was man auch noch mache, sei, dass man Menschen gewisse Lebensprobleme kurz schildere und frage, was sollte diese Person tun: „Das funktioniert besser, weil es auf Wissen zugreift. Es ist aber ein großer Unterschied, ob man theoretisch fragt, was soll man machen, wenn eine 15-Jährige von Zuhause ausziehen will oder ob es sich um mein eigenes Kind handelt. Im einen Fall kann man leicht gescheit daherreden, beim eigenen Kind kommen starke Gefühle ins Spiel. Ein weiser Mensch kann damit wohl gut umgehen.“

Beide dieser Wege der Forschung erfassen einen Teil dessen, was Weisheit sei, aber man versuche auch, Menschen nach eigenen Erlebnissen zu fragen. „Dann ist es so, dass manche gut darin sind, auch die andere Perspektive einzunehmen und andere können das nicht und geben anderen die Schuld.“ Das Zurückschauen habe aber auch seine Tücken.

Manche reden weise über das eine Erlebnis, über ein anderes aber nicht. „Um es noch komplizierter zu machen, wechselt Weisheit auch. Wir alle sind manchmal weise und dann wieder gar nicht.“ Kombiniere man diese Methoden, mache das Sinn, aber die optimale Weisheitsmessung gebe es noch nicht.

Weise Menschen sind oft dankbar

Macht Weisheit glücklich? „Eine meiner Mitarbeiterinnen, Susanne König, hat in ihrer Dissertation das Thema Weisheit und Dankbarkeit untersucht. Sie ist darauf gekommen, dass die weiseren Menschen in Interview gesagt haben, sie sind dankbar. Sie hat sich das genauer angeschaut und die Interviews systematisch ausgewertet. Die weisen Menschen sagten häufiger, sie sind für ihren Partner oder Partnerin dankbar. Viele davon ältere Menschen, die jahrzehntelang zusammen sind. Da gehört eine Haltung von Wertschätzung dazu und den anderen so zu nehmen, wie er ist.“ Man könne Grundeigenschaften von Menschen ja nicht ändern, man könne nur sagen, man könne lernen, damit zu leben, oder man könne es nicht.

Fünf Prinzipien, um weise zu werden

Judith Glück brachte die Weisheitsforschung an die Uni Klagenfurt und schrieb auch das Buch „Weisheit – fünf Prinzipien für ein gelingendes Leben“. „Die fünf Prinzipien sind Aspekte der Haltung zum Leben. Das Offen sein für Menschen, das Neugierig sein und keine Angst haben vor Neuem. Wenn ich diese Haltung habe, kann ich auf ein schwieriges Erlebnis in meinem Leben schauen und darüber nachdenken und mit Menschen darüber sprechen, welche Rolle ich selbst dabei gespielt habe. Es gehört auch die Sensibilität für Gefühle dazu, für die eigenen und für die anderer Menschen.“

Wenn man komischen Gefühlen im Bauch nachgebe und darüber nachdenke, warum einen jemand aggressiv machen. Was sage das über einen selbst aus. Man sollte es auch wichtig finden, wie es anderen geht und dass man sie nicht verletzten will. Auch die Reflektivität gehöre dazu, über Dinge und Gefühle nachzudenken. „Ein typisches Gefühl, das keiner haben will, ist Neid. Ein weiser Mensch gibt das zu, das darf ja auch sein. Weise Menschen sind selbstkritisch, selbsthinterfragend, aber sie akzeptieren auch das kleine Kind in sich, das starke, unerwünschte Gefühle hat. Dann kann man damit auch umgehen. Da komme die Emotionsregulation ins Spiel.“

Unkontrollierbarkeit akzeptieren

Das letzte Prinzip der Weisheit sei das Akzeptieren, wie begrenzt die Kontrolle über das Leben sei. Kinder haben sei ein gutes Korrektiv, man stoße da schnell an seine Grenzen. Viele glauben, sie können ihr Kind formen und dann kommt man drauf, auch das kleine Kind ist schon ziemlich geformt. „Ein Teilnehmer einer Studie hat gesagt, ein Kind ist ein eigenständiges Wesen, das anders ist als ich und in einer anderen Welt als ich lebe. Das zu akzeptieren ist eine Fähigkeit, die Unkontrollierbarkeit zu akzeptieren.“ Wenn man all diese Haltungen habe, könne man ein Ereignis im Leben versuchen, zu verstehen und daraus weiser werden, so die Weisheitsforscherin.