Isabella Scheiflinger Behindertenanwältin
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Kämpferin für Menschen mit Behinderung

Isabella Scheiflinger war 15 Jahre lang die Kärntner Anwältin für Menschen mit Behinderung. Mit Ende März legt sie ihre Funktion aus gesundheitlichen Gründen zurück. Man kennt sie als bedingungslose Kämpferin für die Rechte von Menschen mit Behinderung, unermüdlich setzte sich die 58-Jährige für Bewusstseinsbildung, Inklusion und Gleichstellung ein.

„Ich habe vor 15 Jahren alleine angefangen und mittlerweile sind wir ein Team von neun Personen aus unterschiedlichen Berufszweigen von Juristen, Psychologen, Sozialarbeitern, Krankenschwestern, Wirtschaftlern, NUEVA-Absolventen und Sekretariat. Wir sind ein Team mit überwiegend Kollegen und Kolleginnen mit eigenen Behinderungen. Das heißt, neben unserer fachlichen Kompetenz haben wir auch eigene Erfahrungen mit Behinderung, zumindest der Großteil meines Teams. Und das sehen wir als zusätzliche Fachkompetenz in der Arbeit für und mit Menschen mit Behinderung“, so Scheiflinger im Gespräch mit Ute Pichler.

Beratung mit eigener Erfahrung

Es war Scheiflinger immer ein großes Anliegen, selbst mit dem Team vorzuleben, wie Inklusion in der Gesellschaft gelingen könne: „Ich denke mir auch im Beratungsalltag, wer kann besser beraten als jemand, der selbst Erfahrungen in bestimmten Bereichen hat.“

Sendungshinweis:

Kaffee und Kuchen, 3.3.2024

Es sei recht und schön, wenn man über Gesetze und Unterstützungsleistungen informiere. Aber was es heiße, von heute auf morgen mit einer anderen gesundheitlichen Situation konfrontiert zu sein oder mit einer eigenen Behinderung den Lebensalltag bestreiten zu müssen, wisse nur, wer davon betroffen sei.

Viele Verbesserungen erreicht

Auf die Frage, was ihr gelungen sei, sagte Scheiflinger: „Wir sind heute in einer Zeit, wo wir sagen können, es hat noch nie so viele Gesetze gegeben, die die Rechte der Menschen mit Behinderungen sicherstellen sollen. Es hat noch nie so viele Unterstützungsleistungen gegeben und auch noch nie so viele Stellen, die Unterstützung anbieten für Menschen mit Behinderungen. Es hat auch noch nie in den Einrichtungen so viel Kontrolle gegeben wie heute, damit die Rechte, Unterstützungen und Hilfeleistungen für die Menschen, die Unterstützung brauchen, gewahrt werden.“

Isabella Scheiflinger Anwältin für Menschen mit Behinderung
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Ende März legt Isabella Scheiflinger die Leitung der Anwaltschaft zurück

Das sei alles positiv. In ihrer 36-jährigen sozialen Berufslaufbahn habe sie so Vieles noch anders erlebt und es freue sie sehr, diese Entwicklung ein Stück des Weges begleitet zu haben. Dass sie die Leitung der Anwaltschaft zurücklegt erfolge aus gesundheitlichen Gründen. Der Abschied falle schwer, so Scheiflinger: „Sehr schwer. Auch wenn mein Kopf weiß, dass es jetzt Zeit ist, auf meine eigene Gesundheit zu schauen und mein Körper schon seit längerer Zeit sehr viele Signale von sich gibt, dass ich nun auf mich schauen muss, so sind mein Herz und mein Gefühl noch nicht soweit, das zuzulassen. Ich bin mit großer Freude für die Menschen da.“ Sie habe immer gerne mit ihrem Team für die Menschen gekämpft. Deswegen sei der Abschied nicht leicht.

Kärnten Vorreiter mit Anwaltschaft

Kärnten war österreichweit Vorreiter mit der Schaffung der Anwaltschaft für Menschen mit Behinderung. Sie ist eine weisungsfreie Ombudsstelle für Menschen mit Behinderung und für ihre Angehörigen: „Ich habe einen schwerbehinderten jüngeren Bruder. Und ich habe selbst erlebt, wie es ist, wenn man keine Frühförderung hat. Auch, dass mein schwerbehinderter Bruder nicht zur Schule gehen hat dürfen, dass meine Eltern keine Entlastung bekommen haben, dass es noch keine Tagesstruktur gegeben hat, wo man zumindest tagsüber meinen behinderten Bruder gut integrieren hätte können.“

Sie habe erlebt, wie der Familienkontakt abgebrochen sei, weil der Bruder mit sechs Jahren außerhalb von Kärnten in eine große Einrichtung gekommen war. Der Vater sei im Ausland tätig gewesen, die Mutter habe keinen Führerschein gehabt. Außerdem habe es eine Landwirtschaft zu Hause gegeben und die Schwiegereltern waren kränklich. So sei der Kontakt zum Bruder abgebrochen: „Den habe ich dann erst bei Volljährigkeit wieder selbst aufgenommen, weil er mir nie aus dem Kopf gegangen ist. Aber ich denke mir oft, wie wäre der Lebensweg von meinem Bruder gewesen, wenn es diese Leistungen, die es heute gibt, damals schon gegeben hätte. So wie meinem Bruder ist es sicherlich auch vielen anderen gegangen.“

Schon als Kind zum Helfen entschlossen

Das sei ihre Motivation gewesen. Schon als Kind habe sie gewusst und gespürt, dass sie sich für Menschen mit Behinderungen einsetzen wolle. „Ich war als Kind schon diejenige, die meinen Bruder in vielen Belangen verteidigt hat und auch ein Auge drauf gehabt hat, dass es ihm, solange er zu Hause war, auch gut gegangen ist. Ich verdanke meinem Bruder sehr viel und wir haben heute noch eine sehr, sehr innige Beziehung zueinander.“

Sie habe immer versucht, diese Liebe für die Menschen mit Behinderung auch im Berufsalltag weiterzugeben. „Wir haben auch sehr, sehr viel zurückbekommen. Es war eine Bereicherung, hoffentlich für beide Seiten.“

Viele Veränderungen auch bei Gesetzen

Auf gesetzlicher Ebene habe sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr viel getan, es gehe aber auch um Bewusstseinsbildung: „Eine meiner ersten Interviewfragen als Behindertenanwältin war, was ich ändern möchte. Ich habe damals schon gesagt, ich möchte dieses negative Stigma der Behinderung ändern, weil wir alle Menschen mit Stärken und Schwächen sind – egal, ob ich nun eine Behinderung habe oder nicht.“

Menschen mit Behinderung können heute wirklich ein glückliches, erfülltes Leben trotz schwerer Behinderung leben, wenn sie die notwendigen Unterstützungsleistungen bekommen, so Scheiflinger. „Die werden zwar nicht immer gewährt, dafür kämpfen wir nach wie vor, aber ich weiß noch, als ich angefangen habe in der Fachabteilung im Amt der Kärntner Landesregierung, wo man auch diskutiert hat, dass Personen mit einer hohen Pflegestufe Pflegefälle sind. Heute kenne ich selber Menschen mit einer hohen Pflegestufe, die ein Studium abgeschlossen haben oder eine andere gute Berufsausbildung haben, die super im beruflichen Alltag integriert sind und bezahlte Arbeit haben.“ Es gebe technische Hilfsmittel aber auch persönliche Assistenz, die dabei unterstützen.

Noch viele Hausaufgaben für Politik

Es sei aber trotzdem noch viel zu tun bei Gleichbehandlung, Gleichberechtigung oder Chancengleichheit. Noch werden nicht alle Menschen gleich behandelt: „Die Politik hat noch große Hausaufgaben zu erledigen, und es gibt noch Umsetzungsbedarf, den alleine die UN-Behindertenrechtskonvention schon einfordert, zu der sich Österreich ja verpflichtet hat.“ Sie sei vor 15 Jahren unterzeichnet worden, aber in vielen Dingen sei man noch nicht so weit: „Wenn ich die Menschen mit Behinderungen in Beschäftigungswerkstätten herannehme, die arbeiten für 35 Euro, wenn überhaupt, im Monat. Sie sind nicht selbst versichert, bekommen keine eigene Pension und haben andere Nachteile aufgrund dieser Klassifizierung zwischen arbeitsfähig und nicht arbeitsfähig.“

Inklusion von Kindern wichtig

Auch bei der Kindergarteninklusion bedürfte es dringender Verbesserungen, damit auch Kinder mit schwereren Behinderungen im klassischen Regelkindergarten teilhaben und dort gefördert werden und nicht in speziellen Sonder- oder Förderkindergärten, sagte Scheiflinger. „Oder am Arbeitsmarkt. Warum doch ca. 70 Prozent aller gesetzlich verpflichtenden Betriebe nicht ausreichend Menschen mit Behinderungen anstellen, sondern lieber die Ausgleichstaxe zahlen? Auch das muss man sich anschauen.“ Es sei noch viel zu tun.

„Ich werde nicht leiser“

Leiser werde sie aber auch jetzt nicht werden, so Scheiflinger, denn das was sie tue, sei nicht nur ein Beruf sondern ihr Menschenbild. Ein großer Wunsch sei eine behördenübergreifende Zusammenarbeit, damit der Weg für Antragstellungen für Menschen mit Behinderungen einfacher werde: „Ich glaube nach wie vor, wir brauchen dringend eine behördenübergreifende Case-Management-Stelle. Wenn man weiß, an wie vielen Stellen ein Mensch mit Behinderungen vorsprechen muss, Unterlagen einbringen muss, die neuen Richtlinien zu beachten hat, um etwaige Förderungen zu kriegen, dann ist das in Zeiten der EDV und Technologie nicht nachvollziehbar, warum es nicht möglich ist, dass man den Menschen mit Behinderungen alles an einer Stelle einbringen lässt und dann der elektronische Akt zu den verschiedenen Stellen weitergeleitet wird.“

„38 Stellen für notwendige Förderungen“

Auch seien ja nicht alle Menschen mit Behinderung computeraffin. Wenn man sich die Formulare anschaue, sei Vieles nicht in einfacher Sprache ausgeführt. Es sei auch nicht einsehbar, dass jemand bis zu 38 verschiedene Stellen kontaktieren müsse: „Wir haben das einmal erhoben für einen Menschen mit Behinderung bis zur Volljährigkeit, wo man sich bis zu 38 Stellen hinwenden muss, um bestimmte Förderungen zu kriegen. Das kann es in Zeiten der Technologie und in diesem Zeitalter einfach nicht sein.“

Verein MENA gegen die Einsamkeit

Neben ihrem Beruf hat Scheiflinger noch ein Herzensanliegen, ihren Verein MENA, den sie vor 14 Jahren gemeinsam mit Freunden gründete. Es geht hier vor allem um das Thema Einsamkeit, die krank machen könne: „Wir haben erkannt, dass es nicht nur alte Menschen betrifft, sondern sehr wohl auch Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Menschen, die im Berufsleben stehen, Menschen, die nach außen hin ein scheinbar gutes soziales Netzwerk haben, aber sich im Herzen sehr oft einsam fühlen.“

Der Verein MENA bringe Menschen zusammen, das Konzept sei einfach: „Wir bringen Menschen mit ähnlichen Interessen und Bedürfnissen zusammen, egal ob behindert oder nicht behindert, jung oder alt, aber mit ähnlichen Interessen. Wir bieten Begegnungsmöglichkeiten, wir veranstalten Ausflüge oder Veranstaltungen.“ Am 25. Mai gebe es eine Motorradsternfahrt mit Rockbands. Teilnehmende seien natürlich auch Motorradfahrer mit Behinderung. Einsamkeit dürfe nicht mit Alleinsein verwechselt werden, einsam könne jemand sein, der mitten im Leben stehe.

Der Verein wurde mehrfach ausgezeichnet, auch mit dem Menschenrechtspreis, er arbeite seit 2010 ohne öffentliche Gelder. Nach 13 Jahren gab Scheiflinger die Leitung an Sandra Wilding ab, die die Arbeit weiterführen werde. Scheiflinger werde dem Verein aber nach ihren Möglichkeiten erhalten bleiben.

Große Fußstapfen zu füllen

Wer auch immer Scheiflinger in der Leitungsfunktion der Behindertenanwaltschaft nachfolgen wird, hat große Fußstapfen zu füllen: „Das Land Kärnten hat sehr rasch reagiert, damit die Ausschreibung für diese Behindertenanwalt-Tätigkeit nachbesetzt wird. Ich denke mir, wir sind im Laufe der 15 Jahre sicherlich zu einer wichtigen Institution geworden. Und ich weiß, die Menschen, die Hilfe brauchen und sich an die Anwaltschaft wenden, werden auch weiterhin sehr gut beraten und unterstützt werden.“