Wasserfeen, Zwerge und Liebesorakel
Es gibt viele Plätze zwischen Tolmezzo und Sauris, wo jene, die daran glauben, noch heute sagenumwobene Gestalten vermuten. Die „Grotta dei Pagans“, die Heidengrotte, bei Cavazzo Carnico ist einer dieser sagenumwobenen Orte. Der Legende nach hat hier „Pagan“, ein Beschützer der Heiden, das Sagen.
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Eltern nutzten Wasserfeen als Kinderschreck
Auf der „Pian des Stries“ am Monte Tenchia sollen - der Überlieferung nach - früher einmal Hexen getanzt haben und in der Umgebung von Cercivento sollen die „Agane“ oder „Aganis“, die Wasserfeen, die aus dem Fluss Gladenja aufgestiegen waren, Unterschlupf gesucht haben. Sie charakterisieren ihren nach hinten gerichteten Gänsefüße und ihr langes Haar. Auch wenn sie auf den ersten Blick harmlos aussehen ranken sich um sie auch „Schaudermärchen“. Die Eltern versuchten ihre Kinder mit furchteinflößenden Geschichten von den Wasserfeen zum Bravsein zu motivieren.
Annarita de Conti erinnert sich an eine Sage, die ihr ihre Mutter erzählte. „Giovanin“, ein kleiner Bub aus dem Dorf, soll in die Fänge der Aganis geraten sein, weil er unartig war: "Sie hielten ihn in einem Käfig gefangen und prüften dann immer, ob er schon zugenommen hatte, damit sie ihn verspeisen können. Er war aber schlau und hielt an Stelle seines Fingers einen Stock aus dem Käfig. So ließen sie ihn irgendwann frei.“
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Sagen als Spiegel der Gesellschaft
Auch Domenico Adami liebte es, wenn ihm früher einmal, als er noch ein Kind war, seine Oma vorlas. Das Interesse an den spannenden, meist mündlich überlieferten Geschichten über die Fabelwesen seiner Heimat hat er bis heute bewahrt. Viele von ihnen verschriftlichte er und fasste sie in einem Buch zusammen.
Für ihn beihnhalten die Märchen und Sagen das Wissen, die Traditionen und die Denkweise seiner Heimat. Deshalb hält er eigene Lesungen für Kinder- und Jugendliche, aber auch Erwachsene ab, damit das alte Kulturgut nicht verloren geht.
"Wir aus den kleinen Dörfern hier sind stolz darauf, dass für uns noch Werte wie Respekt, Ehrlichkeit und der Glaube zählen. Durch die alten Geschichten werden diese Werte an die nächste Generation weitergegeben. Auch wenn viele auf den ersten Blick Angst machen - diese Angst wird zu etwas Positivem, weil sie einen wachsam macht. Das ist eine wichtige Lektion fürs Leben“, so Domenico Adami.
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Masken nicht nur für die Faschingszeit
Furchteinflößend sind auch die Masken im Völkerkundemuseum von Tolmezzo. Hinter den Scheiben der Vitrinen positioniert geben sie Aufschluss über das Brauchtum aus der Region. Sie weisen teilweise eine große Ähnlichkeit mit den bei uns bekannten Krampussen und Perchten auf.
In der Carnia wurden diese aus Holz geschnitzten Masken aber auch zum Austreiben des Winters oder im Fasching ausgeführt. Die heute traditionellen organisieren Umzüge gab es früher noch nicht - man zog auch mal spontan von Haus zu Haus, um die Bewohner zu überraschen.
„Tiermasken sind in der Carnia nicht vorherrschend, viel eher sind es hölzerne Konterfeis, die eine große Ähnlichkeit mit den Dorfbewohnern haben - und ihre Charaktereigenschaften - auf überzogene Weise - darstellen; aber auch Krankheiten - einen Kropf zum Beispiel oder Missbildungen. Und es gibt auch klassische Masken, die an den Teufel erinnern; genauso wie Holzmasken mit den Gesichtszügen von verstorbenen oder der Dorfältesten“, erzählt Museumsdirektor Claudio Lorenzini.
Ulderica Da Pozzo & Gian Paolo Gri,
Viele Bräuche mit religiösen Wurzeln
Viele Bräuche der Volkskultur der Carnia steht auch in Verbindung mit religiösen Feiertagen. Eine Woche vor dem Pfingstsonntag wird in der Ortschaft San Pietro zum Beispiel noch heute der „bacio dei croci“, der “Kuss der Kreuze“, praktiziert.
Don Angelo Zanello, Archdiakon der Region Carnia, sagt, im achten Jahrhundert wurden durch die karolingischen Patriarchen die Hoheitsgebiete der Kirche neu aufgeteilt. Das Gebiet wurde in Pfarren unterteilt. Jeder Mutterpfarre wurden mehrere kleinere Filialkirchen zugeordnet. Einmal im Jahr bringen die Gläubigen aus den einzelnen Pfarren ihre Kreuze zur Mutterkirche. Durch den symbolischen Kuss der Kreuze bekennen sie sich erneut zu ihrem Glauben.“ Das Prozessionskreuz wird - als Hommage an die Mutterkirche - mit bunten Bändern geschmückt.
Ausstellung im Dorf der Sagen
In Cercivento, dem „Dorf der Sagen“, warten auf die Besucher nicht nur Beispiele der typisch karnischen Architektur. In einer Ausstellung in der „Cjase Cjandin“ stehen derzeit friulanische Mythen und Legenden im Mittelpunkt. 80 Mitglieder der Kunst- und Handwerksschule „Giovanni da Udine“ zeigen in ihren Werken ihre Vorstellung der Sagengestalten ihrer Heimat.
Drachen und Hexen machen in der Carnia den gleichen Job wie in unseren Breiten. Dann gibt es da noch weitere finstere Gesellen, wie den „wilden Mann“, der in der Gegend von Enemonzo sein Unwesen treiben soll.
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In den dunklen Höhlen der Carnia soll der „Sbilf“ hausen - ein Zwerg, der mit seinen langen Klauen nur Böses im Sinn hat. Der „Guriuts“ ist ein Bewohner des Untergrundes.
In den Wäldern der Carnia haust der „Braul“. Ihm sollte man aus dem Weg gehen, wenn man ihn sieht. Gleiches gilt für den „Orcul“, einen Riesen, der sich gerne auf Berge und Häuser setzt.
Öffnungszeiten:
Die Ausstellung ist bis 9. Juli zu sehen: montags bis freitags von 16.00 bis 18.00 Uhr; samstags und sonntags von 10.00 bis 12.00 und 16.00 bis 18.00 Uhr. Nähere Informationen erhalten Sie unter der Telefonnummer 0039/328/0355003.
Dann wäre da noch der „Maciarot“. Maximal 80 Zentimeter wird er groß. Er ist rot gekleidet und ärgert am liebsten Menschen, Kühe und Pferde.
Scheibenschlagen als Liebes-Orakel
Auch der Feuerkult keltischen Ursprungs ist in der Carnia ein wesentlicher Bestandteil der Tradition. Während er mancherorts im Winter praktiziert wird, findet in Cercivento der „tir dellas cidules“, das Scheibenschlagen, jedes Jahr zur Zeit der Sommersonnenwende statt. Bei diesem Brauch will der Werfer der Holzscheiben feststellen, wie es um die Beziehung eines befreundeten Pärchens bestellt ist oder ob es das Schicksal in seiner eigenen Partnerschaft gut mit ihm meint, erklärt Annarita de Conti.
Ulderica Da Pozzo & Gian Paolo Gri,
„Die Jugendlichen aus dem Dorf kommen zusammen und schneiden Holzscheiben zu, die sie dann anzünden und einen Hang hinunterwerfen. Dabei sagen sie einen Spruch auf, der Glück bringen soll. Und je nachdem, wie die Holzscheiben fallen, lässt sich voraussagen, ob ein Pärchen zusammenkommt, ob es eine Verlobung oder Hochzeit gibt. Es kann sein, dass die Scheibe eine gerade Bahn zieht, oder sich dann irgendwo verliert. So kann man dann etwas über den Ausgang einer Liebesgeschichte sagen.“
Sendungshinweis:
Servus, Srečno, Ciao; 24. Juni 2017
Die Trockenheit macht dem Brauchtum immer wieder einen Strich durch die Rechnung. Heuer haben die cirubits, die Einwohner von Cercivento, aber Glück, denn ihr „tir dellas cidules“ kann wie geplant stattfinden: die ganze kommende Woche über, bis zum 29. Juni. Treffpunkt ist beim „plan das cidules“, einer Wiese mit einem Abhang, etwas außerhalb von Cercivento, immer bei Anbruch der Dunkelheit.