Afritz im Ausnahmezustand

Meterhoher betonharter Schlamm. Vermurte Straßen und Helfer, die bis zur Erschöpfung arbeiten. Drei Tage nach dem Murenabgang herrscht in Afritz weiter Ausnahmezustand. 26 Häuser sind vorerst unbewohnbar.

In der Gegendtaler Gemeinde Afritz stehen viele Menschen vor den Trümmern ihrer Existenz. Das Bundesheer konnte Mittwochvormittag erstmals zu allen Häusern vordringen, mit Baggern wurden Schlamm und Geröll vor den Gebäuden weggeräumt, in den Häusern selbst kann nur mit Schaufeln gearbeitet werden. Einige wurden bis zum ersten Stockwerk verschüttet.

Afritz nach Schlammlawine

ORF/Florian Lederer

Katastrophenzug mit 80 Mann im Einsatz

Die betroffene Bevölkerung von Afritz wurde am Mittwoch von den Einsatzkräften der Wildbach- und Lawinenverbauung und dem Bürgermeister darüber informiert, wie es weitergeht und was getan wird: 48 Pioniere des Bundesheeres sind neben der Feuerwehr und anderen Freiwilligen im Einsatz. Am Donnerstag kommt der Katastrophenzug der Landesfeuerwehrverbandes mit 80 Mann hinzu. Der Katastrophenzug hilft überregional und hat spezielles Gerät.

Afritz nach Schlammlawine

ORF/Florian Lederer

Bei vielen liegen die Nerven blank

26 Häuser dürfen weiterhin nicht betreten werden, die Bewohner durften aber erstmals in Begleitung der Feuerwehr in ihr Zuhause, um wichtige Dinge zu holen. Viele der 73 noch immer obdachlosen Menschen sahen ihr Haus seit der Mure nicht mehr. Die Nerven liegen bei vielen blank. Auch Werner Kowatsch und Birgit Karlhofer waren das erste Mal wieder kurz bei ihren Häusern, rundherum und auch in den Häusern liegt meterhoher Schlamm.

Afritz nach Schlammlawine

ORF/Florian Lederer

„Als Mensch bist du machtlos“

Karlhofer: „Meine Emotionen spielen Karussell. Es ist für mich unvorstellbar und unfassbar, wie ich das jemals wieder in gute Bahnen lenken soll. Momentan sehe ich kein Licht, ich bin das erste Mal da. Ich weiß nicht, wie es im Haus aussieht, ich habe mir das ganze Chaos von der anderen Seite des Ortes von einem Hügel aus angesehen und musste zusehen, wie die ganze Flutwelle auf mein Haus zurollt und konnte nichts machen. Als Mensch bíst du machtlos.“

Auch Werner Kowatsch konnte am Mittwoch erstmals kurz zu seinem Haus. „Wir müssen die Katze füttern, sie ist noch oben. Den Hund haben wir am nächsten Tag geholt. Es ist unvorstellbar. Zwei Meter oberhalb des Hauses und eineinhalb Meter unterhalb des Hauses liegt nur Geröll. Ich habe Angst vor dem Druck, dass nicht noch mehr passiert.“

Große Verzweiflung

ORF Kärnten-Redakteur Horst Sattlegger hörte sich unter den Afritzer Bewohnern um.

„Auswärts schlafen macht mir nichts aus, aber ich möchte vor Ort sein, das beruhigt mich.“

„Es ist zwischen Haus und Wirtschaftsgebäude ein Meter hoch Schlamm. Ich komme nicht zu meiner Haustür dazu.“

„Man hat keine Macht, was hier passiert ist lässt sich mit Worten nicht beschreiben.“

Bund bot Wohncontainer an

Das Innenministerium bot den Menschen am Mittwoch vorübergehend Wohncontainer aus Villach an, die für Flüchtlinge gedacht waren. Das Containerdorf sollte im September seiner Bestimmung übergeben werden. „Wir haben angesichts der Situation beschlossen, umzudisponieren und die Wohneinheiten den betroffenen Familien zur Verfügung zu stellen“, sagte der Sprecher des Ministeriums. Es gebe keinen Bedarf, hieß es dazu vom Afritzer Bürgermeister Maximilian Linder (FPÖ) auf ORF-Anfrage. Afritz bedanke sich herzlich für die Hilfsbereitschaft, aber Container zur Unterbringung der Menschen seien nicht nötig. Der Großteil der Bürger sei privat bei Verwandten und Freunden, zwölf Personen in Gasthäusern untergebracht und es seien noch Zimmer frei. Vor dem Angebot habe niemand mit ihm gesprochen, ob Bedarf bestehe, so Linder.

Deponiefrage harrt der Lösung

Im engen Gegendtal wird es immer mehr zu einem Problem, den Schlamm und das Geröll zu entsorgen, die bestehende Deponie ist schon zu klein. Sie muss jetzt erweitert werden, sagte Volkmar Ertl vom Bundesheer: „Wir müssen Schlägerungsarbeiten und Schüttarbeiten durchführen und eine Straße hinbauen, damit wir mit den schweren Lkws zur Deponie hinkommen. Wir suchen aber auch Ersatzflächen - hier gibt es Schwierigkeiten, vor allem in der Gesetzeslage. Es ist eine Herausforderung, die vor allem der Einsatzleiter, der Herr Bürgermeister, zu meistern hat. Die Hürden sind fast nicht zu schaffen.“

Afritz nach Schlammlawine

ORF/Florian Lederer

Rechtliche Probleme müssen gelöst werden

Der freiheitliche Afritzer Bürgermeister Maximilian Linder hofft auf die Unterstützung der Bundesregierung, um die strengen Deponieauflagen für diese Naturkatastrophe zu lockern. „Es gibt bei der zweiten Deponie noch ein paar rechtliche Probleme, die aber jetzt auf direktem Weg mit dem Ministerium abgeklärt werden." Er hoffe jedenfalls, dass die Lösung so unbürokratisch wie möglich vonstattengehe.

Afritz nach Schlammlawine

ORF/Florian Lederer

Wohin mit den Geröll- und Schlamm-Massen? lautet jetzt in Afritz die Frage.

Dämme bieten nur unzureichend Schutz

Seit Mittwoch laufen die Planungen für die Schutzbauten entlang des Bärenbaches. Laut der Wildbach- und Lawinenverbauung bieten die provisorisch errichteten Dämme keinen Vollschutz. Bei neuerlichen Regenfällen sei die Gefahr wieder als groß einzuschätzen. Experten machen sich nun beim oberen Teil des Bärenbaches ein Bild von der Lage. In vier Wochen sollen die Pläne für die Schutzbauten dem Ministerium zur Genehmigung vorgelegt werden. Noch im Herbst soll mit der Wildbachverbauung begonnen werden.

Afritz nach Schlammlawine

ORF/Florian Lederer

Betroffene: „Man fragt sich: Schaffen wir es?“

Unter den Betroffenen ist der Ärger und Unmut nach wie vor groß, dass bisher – trotz Warnungen – nichts passiert ist. Die meisten sind aber froh, mit dem Leben davongekommen zu sein. Eine Frau erzählte: "Ich musste das Haus fluchtartig mit meiner Mutter im letzten Moment verlassen. Diese bangen Minuten - man kann sich das nicht vorstellen. Wenn Nachbarn von der oberen Seite des Hauses auf einen zu eilen, mit nackten Füßen, im Schlamm tretende alte Damen. Man fragt sich: Schaffen wir es, oder nicht? Wir haben einfach nur geschaut, unser Leib und Leben zu retten.“

Afritz nach Schlammlawine

ORF/Florian Lederer

Versicherungen zahlen nicht

Viele Versicherungen wollen nicht zahlen, auch hier kommt noch viel auf die Betroffenen zu. Eine zusätzliche nervliche und menschliche Belastung. Ein Afritzer dazu: „Wahnsinn. Ich habe das Gefühl, nicht mehr derselbe Mensch zu sein.“

Afritz nach Schlammlawine

ORF/Florian Lederer

Krisenintervention rund um die Uhr im Einsatz

Auch hier sind die Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams des Roten Kreuzes rund um die Uhr im Einsatz. Angesichts des verheerenden Ausmaßes der Vermurungen startet der ORF Kärnten gemeinsam mit Licht ins Dunkel eine Spendenaktion für die betroffenen Menschen – mehr dazu in Radio-Kärnten-Aktionstag „Soforthilfe für Afritz“.

Unterdessen hat auch die Kärntner Arbeiterkammer das zinsenlose Wohnbaudarlehen von 5.000 auf 20.000 Euro aufgestockt. „Die Soforthilfe kann nur ein erster Tropfen auf dem heißen Stein sein, eine langfristige Unterstützung für die Betroffenen ist nötig“, sagte AK-Präsident Günther Goach.

Links: