Pflege-Zukunft im Brennpunkt

Um die Zukunft des Pflegesystems in Kärnten ist es am Dienstag bei einer Enquete des Landtages gegangen. Unter anderem werden eine Pflegelehre und eine Pflegeversicherung von politischer Seite diskutiert.

Zur Pflegeenquete des Kärntner Landtages unter dem Titel „Zukunft des Pflegesystems in Kärnten“ waren Experten in das Landesarchiv geladen. Unter den Zuhörern waren unter anderen Landesrat Martin Gruber, die Klubobmänner der im Landtag vertretenen Parteien und zahlreiche Landtagsabgeordnete.

Als zuständige Referentin gab LHStv.in Beate Prettner (SPÖ) einleitend „eine kurze Übersicht zum großen Ganzen“: „Für mich ist Pflege ein Thema schon lange bevor Pflege zum allgemeinen Thema gemacht wurde. Ich habe daher bereits im Jahr 2016 den Auftrag erteilt, eine Bedarfs- und Entwicklungsstudie zu erstellen – mit detaillierten Prognosen bis ins Jahr 2030. Diese Studie ist für mich Grundlage aller unserer Pflegemaßnahmen, Pflegeprojekte und Pflegeschwerpunkte“, hielt sie fest.

Alter und Pflegebedarf der Kärntner steigen

Der Pflegebedarf steigt, weil die Menschen immer älter werden. Nie zuvor im Laufe der Geschichte konnten Menschen ein so hohes durchschnittliches Lebensalter, von 80 bis 85 Jahren, erreichen wie heute. In Kärnten wird die Zahl der über 75-Jährigen bis 2030 auf 13,3 Prozent steigen. Dies bedeutet ein Plus von 35 Prozent. Gleichzeitig steigt die Zahl der Pflegegeldbezieher von 6,3 auf 7,7 Prozent, ein Plus von 22 Prozent. Damit verbunden sind Herausforderungen, nicht nur für den Pflegebereich per se, sondern für die Gesellschaft in Summe.

Grafik Pflege Betreuung

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Diese Grafik zeigt die unterschiedlichen Pflege- und Betreuungsformen, die 2017 in Österreich gewählt wurden

Prettner zeigte sich überzeugt davon, dass die „Pflege der Zukunft“ bei der Prävention beginne – „sprich bei jenen Maßnahmen und Vorkehrungen, die Pflege so lange wie möglich hinauszögern bzw. auf einem niederschwelligen Niveau halten. Ziel müsse es also sein, älteren Menschen ein Leben in den eigenen vier Wänden so lange es geht zu ermöglichen.“

Ziel: Individuelle Pflegeangebote schaffen

Damit einher gehe ihre zweite Überzeugung: jedem Menschen die für ihn richtige Pflege zur Verfügung zu stellen. „Für den einen ist das ein betreutes Wohnen, für den anderen sind es mobile Dienste. Für den nächsten eine Tagesstätte. Ein anderer benötigt das Pflegeheim. Wieder ein anderer einen Alternativen Lebensraum. Ja, Pflege ist ein vielschichtiges Themenfeld. Genauso vielschichtig müssen die Angebote sein.“

Laut Prettner betrage das Pflegebudget des Landes Kärnten im heurigen Jahr 330 Millionen Euro. Damit finanziert Kärnten unter anderem 76 Pflegeheime plus ein Demenzzentrum mit etwas mehr als 5.600 Plätzen und 2.900 Mitarbeitern, 22 Alternative Lebensräume mit 108 Plätzen und 36 Mitarbeitern, 13 Tageszentren mit 163 Plätzen und 25 Mitarbeitern, zwölf Träger für mobile Dienste mit 10.000 Klienten und 1.900 Mitarbeitern, die pro Jahr eine Million Stunden leisten – bis 2030 werden es 1,3 Millionen Stunden sein, zehn Gesundheits-Pflege-Service-Stellen mit im Schnitt 1.800 Klienten pro Jahr.

Pflegeenquete Land Kärnten

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Pflegeenquete

Ziel: Mobile Pflege ausbauen

Zudem wies die Gesundheitsreferentin darauf hin, dass Kärnten zahlreiche Punkte, die die Bundesregierung als Vision für die Zukunft fordert, bereits umgesetzt habe. Dazu zählen eine tägliche und kostenlose Pflegehotline, Pflegeberatung, Entlastungsmaßnahmen für pflegende Angehörige wie 28 Tage pro Jahr Kurzzeitpflege oder eine kostenlose Urlaubswoche sowie eine Offensive in der Ausbildung von Pflegefachkräften. „Wir brauchen die Pflege nicht neu zu erfinden. Kärnten ist gerade im Bereich der Pflege sehr gut aufgestellt. Wir nehmen in vielerlei Hinsicht eine österreichweite Vorbildrolle ein. Das alles heißt aber nicht, dass wir uns auf den Erfolgen ausruhen werden. Wir machen konsequent weiter, denn es gibt nach wie vor einiges zu tun“, betonte Prettner. Sie verwies dabei auf zwei Pilotprojekte, die gerade an den Start gegangen sind: Zum einen die Weiterentwicklung der mobilen Dienste zu mehrstündigen Betreuungsangeboten.

Auch Langzeitpflege in Ausbildung berücksichtigen

82 Prozent der pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause betreut. Doch es mangelt massiv an Pflegern. Die Ausbildung müsse überdacht werden, sagt Elisabeth Anselm, die Geschäftsführerin vom Hilfswerk Österreich: „Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie in der Berufsbiografie stehen. Das heißt, dass wir zum Beispiel Pflichtschüler, die eher praktisch orientiert sind, abholen müssen. Wir müssen Menschen abholen, die eine Berufsausbildung mit Matura verbinden wollen und wir müssen Menschen abholen, die sich terziär ausbilden wollen. Wir dürfen auch die Umschuler nicht vergessen - Frauen, aber auch Männer, die im Laufe ihrer Berufsausbildung sagen, sie möchten etwas anderes machen. Da muss uns auch etwas einfallen. Wir müssen überlegen, ob man nicht für sämtliche Ausbildungen in dem Bereich auch Kosten freistellen oder ein Stück weit bei Verdienstentgängen während der Schulung unterstützen.“ So könnten beispielsweise Frauen, die Alleinerzieherinnen sind, keine Ausbildung machen, würden sie nicht die Chance bekommen, das Haushaltseinkommen weiterhin zu bestreiten.

Die Statistik besage, dass jeder dritte die Ausbildung wieder abbreche. Um diese Quote zu verringern müssten laut Anselm die jungen Menschen in der Ausbildung und auch die Umgeschulten ein Stückchen mehr auf die Langzeitpflege vorbereitet werden: „Die Ausbildungen sind oft sehr krankenhauslastig und haben die Akutpflege im Auge. Wir müssen darauf eingehen, dass die Pflege, die die Menschen im Alltag oft jahrelang begleitet, oft etwas sehr Schönes und Sinnstiftendes ist. Aber man muss den Weg dorthin auch einmal schaffen. Das muss stärker im Fokus der Ausbildung sein.“

Pflegeenquete Land Kärnten

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Vortragende bei der Pflegeenquete

Neue Projekte zur Pflegenahversorgung

Ein weiterer wichtiger Punkt betreffe die Pflegenahversorgung. Sie stellte auch Gesundheitsexperte Wolfgang Habacher in den Mittelpunkt seines Vortrages: „Je früher man zu den Menschen hinkommt, desto mehr kann man steuern und desto maßgeschneiderter kann das Angebot für die Betroffenen sein. Mit der Pflegenahversorgung setzt die Pflege erstmals vor dem tatsächlichen Pflegbedarf an – und das vor Ort durch einen Pflegekoordinator“, erläuterte Habacher. Dieses Modell würde mithelfen, die wohl größte Herausforderung im Pflegebereich zu bewältigen: Die Tatsache, dass es künftig mehr Menschen mit Pflegebedarf geben wird, aber weniger Pflegepersonal. Das Weniger an Personal hänge schlichtweg mit dem Rückgang der Menschen im arbeitsfähigen Alter zusammen.

Beate Wanke, Direktorin der Kärntner Gesundheits- und Krankenpflegeschule Kärnten, erläuterte die Möglichkeiten der Ausbildungswege, um im Pflegewesen beruflich tätig zu werden. „Mit Pflegeassistent, Pflegefachassistent und dem Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger haben wir drei Berufsgruppen. Abgesehen von den bundesweit geregelten Ausbildungslehrgängen bieten wir in Kärnten verkürzte Aufschulungsprogramme vom Pflegeassistenten zum Pflegefachassistenten bzw. vom Fachassistenten zur diplomierten Fachkraft an.“

Mobile Pflege

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Pflegerin beim Blutdruckmessen

Wanke zu Pflegelehre: Ausbildung erst ab 18

Das Team Kärnten hatte zuletzt die Einführung einer Pflegelehre und einer Pflegeversicherung gefordert. Das stößt nicht bei allen Parteien auf Gegenliebe. Auch Wanke erteilte dieser Überlegung eine Absage. „Es gibt ein europäisches Übereinkommen, wonach die praktische Unterweisung am Krankenbett erst nach Vollendung des 17. Lebensjahres erfolgen darf. Und das aus gutem Grund: Der Umgang mit schwer kranken, multimorbiden und sterbenden Menschen führt zu enormen Belastungen. Belastungen, die nichts für einen 15-jährigen Teenager sind.“ Daher sei auch die immer wieder zitierte Pflegelehre in Vorarlberg alles andere als eine Pflegelehre: „Auch in Vorarlberg ist eine derartige Ausbildung erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres erlaubt.“

Zur Pflegefinanzierung richtete die Gesundheitsreferentin zwei Forderungen an die Bundesregierung: „Die Erhöhung des Pflegegeldes in allen Pflegestufen ist genauso unerlässlich wie eine staatlich garantierte Pflegeversorgung. Das heißt vice versa: Hände weg von einer Pflegeversicherung“, appellierte Prettner.

Reaktionen

Als „vertane Chance Probleme in der Pflege zu analysieren“, wertete FPÖ-Landesparteiobmann Klubobmann Gernot Darmann die Pflege-Enquete des Kärntner Landtages. Die FPÖ fordere, der Kostenbeitrag für mobile Hilfe sollte mit der Höhe der Pflegestufe sinken. Für jeden Pflegebedürftigen sei eine ihm finanziell zumutbare Kostenhöchstgrenze zu ermitteln und das Land sollte seinen Zuschuss für die 24-Stunden-Betreuung erhöhen, so die Forderung der FPÖ.

Die Volkspartei werd sich im heurigen Jahr intensiv mit dem Ausbau der mobilen Pflegeangeboten und der Unterstützung pflegender Angehöriger auseinandersetzen und Lösungen präsentieren, teilte Silvia Häusl-Benz, Sozialsprecherin der ÖVP, mit.

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