Erster Weltkrieg: Frontland Kärnten

In keinem Bundesland Österreichs sind die mittelbaren und unmittelbaren Auswirkungen des Ersten Weltkrieges (1914-1918) so stark zu spüren gewesen wie in Kärnten. Ab dem Kriegseintritt Italiens 1915 war Kärnten Frontland.

„Kärnten ist - was das Thema Erster Weltkrieg angeht - ein Sonderfall“, erklärte Wilhelm Wadl, Direktor des Landesarchivs, im Gespräch mit der Austria Presse Agentur. Der Sonderstatus Kärntens äußere sich schon alleine durch die unmittelbare Betroffenheit, weite Strecken der Landesgrenze seien Frontgrenze gewesen. „Von den heutigen Bundesländern Österreichs ist Kärnten gewissermaßen das einzige Frontland. Tirol war auch Frontland, das betraf aber Südtirol, oder genauer gesagt das Trentino“, sagte Wadl.

1. Weltkrieg Grafik Front

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„Krieg allgegenwärtig“

Für die Kärntner Bevölkerung sei der Krieg über Jahre allgegenwärtig gewesen, auch in den Ohren. „Wenn die Windverhältnisse entsprechend waren, hörte man den Schlachtenlärm nicht nur von der karnischen Front und vom Kanaltal herauf, sondern auch vom Isonzo bis nach Klagenfurt“, erklärte Wadl.

Erster Weltkrieg Kärnten Gailtalbahn Baustelle Kriegsgefangene

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Baustelle der Gailtalbahn.

Die Kärntner bekamen die Auswirkungen aber auch auf politischer Ebene zu spüren: Das Land wurde unter Standrecht und Militärverwaltung gestellt, bürgerliche Freiheiten teilweise außer Kraft gesetzt. „Das bedeutet, dass etwa die Todesstrafe für eine ganze Reihe von Delikten wieder eingeführt wurde, hauptsächlich für staatsrechtliche Delikte wie Hochverrat oder Aufruhr, und dass militärische Senate über die politischen Delikte befunden haben“, sagte Wadl. Zudem seien „Personen, die man für gefährlich angesehen hatte“, willkürlich verhaftet, interniert und aus dem Land ausgewiesen worden.

„Klima war vergiftet“

Die „Fülle an Verfolgungshandlungen“ traf Militärpersonen genauso wie Zivilpersonen, denen man „mangelnde Loyalität“ vorwarf. Besonders betroffen seien „exponierte Personen“ aus der slowenischen Volksgruppe gewesen. „Und das hat das Klima in den Jahren 1915 bis 1918 durchaus vergiftet. Es gab eine Reihe von Militärverfahren gegen slowenische Geistliche, die man als jugoslawische - gegen die Integrität der Monarchie gerichtete - Aktivisten gesehen hat“, sagte Wadl.

Dabei sei in Kärnten zu Beginn des Krieges „über alle Nationalitäten hinweg ein allgemeiner Patriotismus“ spürbar gewesen. Der Zerfall der Loyalitäten habe sich erst im Laufe des Krieges verschärft. Dieser Loyalitätsverfall sei jedoch „im Falle der Kärntner Slowenen sicher bis zum Schluss eine Minderheitensituation innerhalb der Volksgruppe“ geblieben. „Was am Ende des Krieges in und um Kärnten passieren sollte, war jedoch schon im Krieg vorgezeichnet“, so Wadl.

Gailtalbahn von Kriegsgefangenen gebaut

Trotz einiger Überlegungen der österreichischen Militärs, die Gebirgsgrenze zu Italien schon vor dem Ersten Weltkrieg besser abzusichern, musste dann bei Ausbruch des Kriegs „verzweifelte Anstrengungen“ unternommen werden, um eine entsprechend Infrastruktur zu errichten. „Ein bleibendes Relikt aus dieser Zeit gibt es bis heute - die Gailtalbahn von Hermagor bis Kötschach“, sagte Wilhelm Wadl. Die Strecke sei „im Eilzugstempo“ - unter Beteiligung vieler russischer Kriegsgefangener - hergestellt worden. „Von dieser Bahnlinie aus führten dann unzählige Seilbahnen oder Transportwege hinauf an die Frontlinie, die ja meist mit dem Gebirgskamm identisch war“, so der Landesarchiv-Direktor.

Kötschach-Mauthen - am Ende der Gailtalbahn - ist auch jene Ortschaft in Kärnten, die unter italienischen Artilleriebeschuss kam und schwer beschädigt wurde. Massiv zerstört wurden auch die „Altkärntner Gebiete“ im Kanaltal (heute Italien, Anm.). „Dieser Landstrich wurde faktisch über Jahre unbewohnbar, weil er ständig unter wechselseitigem Artilleriebeschuss stand. Die Orte waren Ruinenstätten“, sagte Wadl.

Großes Flüchtlingsproblem

Durch die Kampfhandlungen wurde Kärnten in der Folge von „massiven Flüchtlingsströmen“ aus dem Kanaltal, dem Isonzo sowie dem küstenländischen Kampfbereich erfasst. Aber auch Flüchtlinge aus dem Osten des Habsburgerreiches kamen ins Land. „Es gab im Lavanttal eine große Flüchtlingsstadt mit mehreren Tausend galizischen Zivilflüchtlingen, die Stadt Wolfsberg hat im Weltkrieg ihre Einwohnerzahl schlagartig verdoppelt“, erzählte der Historiker.

Wirtschaftlich kam Kärnten durch den Wegfall des Handelspartners Italien - nunmehr Kriegsgegner - in eine „prekäre“ Situation. Zudem wurde die Versorgung mit Nahrungsmitteln problematisch, weil das Land ja selbst in Friedenszeiten ein Importland war. „Nun musste sich Kärnten weitgehend selbst versorgen. Es war für die Bevölkerung sicher nicht leicht über den Krieg zu kommen“, so Wadl. Wobei zu dieser Zeit noch zwei Drittel der Bevölkerung im agrarischen Sektor, und damit an der Urproduktion, angesiedelt waren. „Dem Landarbeiter ging es sicher besser als dem Industriearbeiter“, stellte der Historiker fest.

Versorgung der Isonzofront

Gleichzeitig war Kärnten sehr wichtig für die Versorgung der Isonzofront. Diese erfolgte etwa durch das Raiblertal und den Raiblerstollen (heute Italien, Anm.) und auch über die eigens gebaute Passstraße über den Vrsic (Slowenien, Anm.). „Nur durch diese Wege war es möglich, diese abgeschnittene Front im hinteren Talkessel halten zu können“, erzählte Wadl.

In Kärnten wird der Erste Weltkrieg auch eng mit den „Kärntner freiwilligen Schützen“ verbunden. Da bei Ausbruch des Krieges mit Italien 1915 alle verfügbaren Truppen an anderen Frontabschnitten im Einsatz waren wurde zunächst diese - laut Landesarchiv-Direktor Wilhelm Wadl - „Verlegenheitstruppe“ mobil gemacht. Ihr Ziel: Die Italiener so lange aufzuhalten, bis andere Truppenteile anrücken. „Das ist an den Kärntner Frontabschnitten auch ganz gut gelungen“, sagte der Historiker. An einzelnen Frontabschnitten blieb die Situation aber noch lange Zeit danach militärisch prekär. „Der Feind saß am Kamm, die Österreicher mussten sich auf halber Höhe eingraben“, erklärte Wadl.

Bürgerwehren bildeten sich

Bei Kriegsende im Herbst 1918 bildeten sich in Kärnten - wie anderswo auch - aus heimkehrenden Soldaten sogenannten Heim- bzw. Bürgerwehren. „Sie sollten den Übergang in geregelte Bahnen ermöglichen und Plünderungen und Ähnliches verhindern“, erläuterte Wadl. Anders als in anderen Ländern ergab sich in Kärnten jedoch rasch die Notwendigkeit, aus diesen - ursprünglich für innere Sicherheit bestimmten Einheiten - Truppeneinheiten zur Sicherung der Landesgrenze zu bilden.

„Unmittelbar nach Kriegsende prallen die verschiedenen nationalen Ansprüche aneinander und die Wunschgrenzen der einzelnen Nachfolgestaaten sind bei weitem nicht deckungsgleich - ganz besonders nicht in Kärnten“, sagte Wadl. Ursprünglich habe der südslawische Nationalrat in Laibach ganz Kärnten beansprucht. „Später dann auch noch ein Gebiet, das weit über das spätere Abstimmungsgebiet bei der Volksabstimmung von 1920 hinausgeht“, so Wadl.

Die Rolle der späteren Bundesländer am Ende des Krieges ist für Wadl eine besondere, da sie als „fast selbstständige Ländergebilde“ agieren. Die Republik Deutsch-Österreich konstituiert sich ja erst durch den Beitritt der Länder zu ihr. „Man kann also sagen: Die Habsburgermonarchie ist untergegangen, nicht jedoch die Länder, die das Heft in die Hand nehmen und dann durch Zusammenschluss das neue Staatswesen entstehen lassen“, erläuterte Wadl.

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