Amphitryon oder: Im Zweifel für den Zweifel

Am Stadttheater Klagenfurt hatte das Schauspiel „Amphitryon“ von Heinrich von Kleist Premiere. Die Geschichte rund um die Bewältigung von Identitätskrisen spielt im Biedermeier - in der Interpretation von Regisseur Michael Sturminger hat der Stoff aber auch heute höchste Brisanz.

Kleists Schauspiel liegt ein antiker Stoff zugrunde: Die Zeugung des Sohnes Herkules von Jupiter und Alkmene. In der Klagenfurter Inszenierung steht ein Verwirrspiel um die Bewältigung von Identitäten und die Infragestellung des Selbstbewusstseins im Vordergrund.

Sendungshinweis:

Kärnten heute, 3.10.2014

Regisseur Michael Sturminger: „Ich glaube, auch wir haben das Grundproblem, dass man nicht mehr weiß, ob man sich seiner selbst gewiss sein kann. Und ob man der ist, der man vor den anderen und vor sich selbst zu scheinen versucht – das ist ein Thema, das alle Menschen zu jeder Zeit immer betreffen wird“.

Szenenausschnitt Amphitryon

ORF

Eine ewige Ambivalenz - in jedem von uns

Vorgeführt wird dem Zuschauer dieser Konflikt sowohl auf Herrscher-Ebene als auch auf jener der Dienerschaft. „Was ist ein Feldherr zur Zeit von Kleist? Napoleon. Was ist ein Diener? Es kommt ein Leporello heraus. Man hat auch hier das Vexierspiel zwischen der Komödie und dem absolut psychologischen, ernsten Problemstück, das zwischen den verschiedenen Paaren hin und herwechselt. Das Stück hat viele Referenzpunkte in der Literatur und wir haben versucht, das auch mit der Ausstattung sichtbar zu machen", so der Regisseur.

Szenenausschnitt Amphitryon

ORF

Verwechslungskomödie mit ernstem Hintergrund

Wie in einer Verwechslungskomödie können wir über die durch göttliche Spiegelbilder Gefoppten lachen. Aber gleichzeitig bleibt uns das Lachen im Halse stecken, wenn wir Identitätskrisen und vermeintlich göttliche wie auch niedrige Gefühlsregungen vorgeführt bekommen. Sturminger: „Wir wollen die Leute von heute erreichen, spielen aber gleichzeitig mit der Zeit von Kleist und dem Biedermeier – und damit dem Rückzug der Menschen aus dem Politischen nach den Wirren der Revolution in das Private. Dieser Übergang zwischen Klassik und Romantik ist da, wo Kleist zu finden ist.“

Szenenausschnitt Amphitryon

ORF

Was ist Wirklichkeit, was ist Täuschung?

Gerade bei Kleist gehe es „im Traum, im Schlaf, in Ungewissheiten“ um jene Dinge, die aus dem Unterbewusstsein hervorkommen, und die dann gleichzeitig Psychoanalyse und heutige Zeiterscheinungen der Selbstreflexion mit sich bringen. Die Frage: Was ist Wirklichkeit, was Täuschung bleibt dabei keinem erspart und verweist auch auf die Orientierungslosigkeit im 21. Jahrhundert.

Szenenausschnitt Amphitryon

ORF

Ohne Gott müssen wir uns selbst Grenzen setzen

Sturminger: „Ich schmeiße gern viele Fragen hin, Antworten möchte ich eigentlich gar nicht geben. Die Frage, woran wir uns orientieren können, ist sicher enthalten. Es geht auch hier um den Verlust von Gott, um den Menschen, der selbst der Gott sein muss, wie bei Schubert in der Winterreise, wo es im Text von Müller heißt: ‚Will kein Gott im Himmel sein, sind wir selber Götter.‘ Das heißt, wenn wir keinen Gott haben, zu dem wir beten können, müssen wir uns selber unsere Grenzen setzen, müssen wir uns selber unsere Regeln aufstellen und diese Verantwortung ist natürlich eine große Schwierigkeit. Die Freiheit, die wir uns nehmen, macht uns das Leben nicht leicht und ist auch eine große Verantwortung – dieser Konflikt ist im Stück sehr präsent."

Szenenausschnitt Amphitryon

ORF

Information

Amphitryon: Ein Stück, das in einer Zeit des Wertewandels, der Orientierungslosigkeit und Politikverdrossenheit Denkanstöße gibt. Mehr Informationen zum Programm und dem Spielplan auf der Homepage des Stadttheaters Klagenfurt unter: