Polli: Geheimdienste, Terror und Sicherheit

Der gebürtige Kärntner Gert Rene Polli war jahrelang Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung in Österreich. In den letzten Jahren war er als Sicherheitsberater tätig und schrieb ein Buch über die EU-Sicherheitspolitik im Wandel.

In den Zeiten rund um den Amtsantritt des neuen amerikanischen Präsidenten wird weltweit überlegt, wie es um die Sicherheit zwischen Ost und West, zwischen Supermächten und dem Rest der Welt bestellt ist und welche Rolle die verschiedenen Geheimdienste spielen. Einer, der sich mit diesen Themen seit Jahren auseinandersetzt, ist der gebürtige St. Pauler Gert Rene Polli. Vom Militär führte ihn sein Weg ins Innenministerium, wo er sieben Jahre lang das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung leitete, vergleichbar mit einem Geheimdienst.

Aufgrund seiner Erfahrung ist er der Ansicht, dass wir alles andere als sicheren Zeiten entgegen gehen würden. „Es hat kaum ein Zeitalter gegeben, das so unsicher war“, meint Polli. Das gelte in vielerlei Hinsicht - die Integration in der Europäischen Union oder die Flüchtlingskrise betreffend, aber auch rund um das Thema Sicherheit sei enorm viel in Bewegung.

Sendungshinweis:

„Radio Kärnten“, 15.1.17

„Befinden uns am Weg bergab“

Die Gründe dafür sieht Polli einerseits in der Zeit an sich: „Wir erreichen einen Höhepunkt und gehen dann in einer Kurve wieder abwärts. Derzeit befinden wir uns in genauso einer Kurve nach unten.“ Österreich stehe dabei aber nicht isoliert da, gibt Polli zu bedenken: „Wir stehen in Österreich so da wie in Deutschland, zum Beispiel in Hinblick auf die Bedrohungsaspekte. Wir können heute nicht mehr davon ausgehen, dass wir uns auf einer Insel der Seligen befinden. Auch die Argumentation: ‚Bei uns ist alles anders‘ als in Europa, das ist schon lange nicht mehr der Fall, spätestens seit wir Mitglied der Europäischen Union sind.“

Sicherheit als „großes Ganzes“ betrachten

Integration funktioniere auf verschiedenen Ebenen, so der Verfassungsschutzexperte: „Wir diskutieren über Themen wie Sicherheit, Datenaustausch zwischen Nachrichtendiensten und Polizei, sowie zwischen verschiedenen Ländern. Italien und Deutschland waren vor Kurzem ein Thema. Das alles hat etwas mit Integration im Sicherheitsbereich zu tun. Da sind wir Teil eines größeren Ganzen. Daher muss man auch das Ganze betrachten und nicht einen kleinen Teil davon.“

Als „großes Ganzes“ sehe er die Illusion, dass die Europäische Idee einer der Werte sei. „So hat es eigentlich begonnen, denn die Europäische Union ist ja ein Friedensprojekt. Was wir jetzt erleben sind Partikularinteressen. Das geht bis hin zur Möglichkeit, dass sich die Europäische Union in der uns bekannten Form auflösen wird in den nächsten Jahren bzw. dass es Teilbereiche gibt, die sich herauslösen werden, mit Deutschland im Mittelpunkt beispielsweise.“

„Es geht immer irgendwie weiter“

In europäischen Foren würden derzeit diese und ähnliche Szenarien diskutiert. Es sei davon auszugehen, dass es immer etwas Neues geben und immer irgendwie weitergehen werde: „Es gibt eine bestimmte Dynamik rund um Staaten und um Ideen – ob das jetzt der Euro oder das Thema Sicherheit ist. Nie, zu keinem Zeitpunkt, bleibt Zeitgeschichte einfach stehen. Es geht immer irgendwie weiter. Manchmal verschlechtern sich die Situationen, aber es wird dann auch wieder besser.“

Auch im Verhältnis zwischen Ost und West sei davon auszugehen, dass etwas Neues daherkommen werde, sagt Polli - alleine wenn man bedenke, wie sich die russische Föderation in den vergangenen Jahren entwickelt habe: „Ich kann mich noch erinnern, wie wir in den 1990er Jahren Angst davor hatten, dass die Atomwaffen, die Russland von der Sowjetunion geerbt hat, in Hände gelangen könnten, die für die europäische und die weltweite Sicherheit fatal wären.“

Heute sei eigentlich genau das Gegenteil der Fall: „Wir erleben eine Konsolidierung Osteuropas mit dem Zentrum der russischen Föderation. Russland hat in den letzten Jahren sehr viel Profil gezeigt – sowohl nach innen, als auch nach außen. Denken Sie an das Engagement in Syrien. Wir haben mit einem Russland zu tun, dass eine sicherheitspolitische neue Bewertung unserer eigenen Situation erforderlich machen wird.“

Gert R. Polli

http://www.gertpolli.com/de/

Gratwanderung zwischen Wirklichkeit und Schein

Der ehemalige Chef des österreichischen Verfassungsschutzes und Sicherheitsexperte sagt, heute würden wir zwar in einem Informationszeitalter leben: „Man hat den Eindruck, dass jeder zu sämtlichen Informationen Zugang hat. Wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass das Internet, die sozialen Netzwerke, aber auch die Medien derart transparent geworden sind, dass die Informationen, die über diese Kanäle transportiert werden, meistens oder sehr oft nichts mehr mit der Realität zu tun haben.“

In Deutschland etwa werde gerade darüber diskutiert, eine Gesetzeslage zu schaffen, um falsche Nachrichten, die öffentlich verbreitet werden, sogar unter Strafe stellen zu können. Soweit sei es in Österreich zwar noch nicht, aber die Vielzahl an Informationen, die den Menschen zur Verfügung stehen, würden zu einer Art „Halb-Bildung“ führen: „Man kann heute mit jedem über alles reden. Tatsächlich ist der Informationsstand jedoch wesentlich diffuser geworden als in den letzten Jahren. Es gibt nur einen eingeschränkten Kreis, der wirklich in der Lage ist, zu differenzieren, was Wirklichkeit und was Schein sei.“

„Überwachungsstaat“: Fluch oder Segen?

In den vergangenen zehn Jahren seien die „Krallen des Überwachungsstaates“ – vor allem in Amerika - immer mehr spürbar geworden, so der Lavanttaler. Die wenigsten Bürger wissen, dass die amerikanische Gesetzeslage – genau genommen der patriot act – Firmen wie Facebook, aber auch Oracle oder andere amerikanische Internetprovider die Hände bindet. Polli: “Das heißt, wenn amerikanische Nachrichtendienste oder Sicherheitsbehörden Informationen haben wollen sind diese Provider verpflichtet, ihnen diese zur Verfügung zu stellen, ohne dass der Betroffene darüber informiert wird.“

Die Europäer seien technologisch noch weit hinter der amerikanischen „National Security Agency“, also jene Organisation, die die elektronische Überwachung von Informationen und Personen weltweit betreibt. In Europa hätten entsprechende Dienste nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Die NSA habe vor allem die deutschen Dienste, explizit den BND, sukzessive dazu benutzt, auch die eigenen Bürger auszuspionieren, um die deutsche und europäische Interessenslage nach Amerika zu verkaufen. Dies seien bedenkliche Entwicklungen, so Polli.

Es sei schwierig, dem entgegenzuwirken: „Man steht vor der Situation, auf der einen Seite den Überwachungsstaat in Frage zu stellen und auf der anderen Seite gerade diese Instrumente für die Terrorismusbekämpfung zu nutzen.“ Die meisten Informationen würden weltweit über den Internetknoten Frankfurt laufen. „Dort beginnt Spionage, die ja heutzutage überwiegend elektronisch abläuft“, so der Experte.

Vom Geheimdienstler zum kritischen Betrachter

2002 gründete Polli den Österreichischen Verfassungsschutz. Bis 2008 war er auch der letzte Leiter der Österreichischen Staatspolizei. „Das war ein völliger Kulturwandel von der Polizei in Richtung eines Nachrichtendienstes, der auch nach meinem Abgang kontinuierlich abgesetzt worden ist.“ Seine Ablöse entspreche der normalen „Halbwertszeit“ in diesem Metier. Nach einer äußerst intensiven Zeit habe er – nach der „Hofübergabe“ in erster Linie aufgeatmet. Er sei dankbar für die Erfahrungen, die er gemacht habe, aber auch dafür, jetzt die Situation von außen betrachten zu können.

Buchcover zwischen den Fronten Gert Polli

https://www.m-vg.de

„In gewisser Weise bin ich wie ein weißer Elefant. Ich bin zwar Angehöriger des Innenministeriums, aber ich habe die Möglichkeit, Dinge in einer Art und Weise zu kommentieren, die jemand nicht hat, der innerhalb dieses System steht oder der Verantwortung für die Sicherheit der Republik tragen muss. Deshalb darf ich jetzt kritischer und pointierter sein als meine Kollegen.“ Dennoch sei er nach wie vor an das Amtsgeheimnis gebunden „und das ist auch gut so“, sagt Polli.

EU-Sicherheitspolitik im Visier

In den vergangenen Jahren war der gebürtige St. Pauler als Sicherheitsberater tätig und ist gerade dabei, ins Innenministerium zurückzukehren. Nebenbei hat er auch ein Buch mit dem Titel „Deutschland zwischen den Fronten“ geschrieben, das im März erscheinen wird. Im Mittelpunkt stehen Deutschland, die Europäische Sicherheitspolitik und die Snowden-Affäre, sagt Polli: „Das Verhältnis zwischen der Regierung von Merkel und den USA wird in einer sehr kritischen Art und Weise beleuchtet."

Seiner Ansicht nach werde das Dreiecksverhältnis Europa-Russland und USA eine der größten Herausforderungen für die künftige Gestaltung der europäischen und der nationalen Sicherheitspolitik sein.

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