„Wurzerhof“ - eine Pionierstätte wird 100

Der Wurzerhof am Fuße des Taggenbrunner Burgberges ist in vielerlei Hinsicht eine Pionierstätte. 1912 begann die Geschichte des ersten biologisch-dynamischen Agrarbetriebs Österreichs, der am Samstag sein 100-jähriges Bestehen feiert.

Als es das Wort „biologisch-dynamisch“ noch gar nicht gab, war der Wurzerhof bei Taggenbrunn schon ein Biobetrieb. Als es sozialtherapeutische Einrichtungen für Menschen mit Beeinträchtigung noch nicht gab, startete man am Wurzerhof ein solches Projekt. 1912 erwarb der Gurktaler Bauer Wolfgang Wurzer drei kleinere Bauernhöfe und führte sie zum großen Wurzerhof zusammen, der heute - idyllisch gelegen - mit 100 Hektar ein staatliches Anwesen darstellt. Ein Grund für den Kauf war, dass Wolfgang Wurzer im Kärntner Zentralraum für seine Töchter bessere Bildungschancen sah.

„Mein Großvater war ein fortschrittlicher Mann“

Johanna Bartsch, die Enkelin des Gründers, sagt zu den Anfängen des Wurzerhofes: „Mein Großvater war ein sehr moderner, fortschrittlicher Mann. Er hat sich sogar Guano-Dünger aus Südamerika kommen lassen und hätte sicher bald auch Kunstdünger gestreut, wenn seine Töchter ihm nicht in die Quere gekommen wären“. Inspiriert von Rudolf Steiners antroposophischen Ideen machten die Wurzertöchter aus dem Hof den ersten biologisch-dynamischen Agrarbetrieb Österreichs.

Wurzerhof

ORF

Sozialtherapeutisches Projekt für Behinderte

1960 kam eine weitere Komponente hinzu: Erhart Bartsch, der Vater der jetzigen Leiterin, wollte analog zu der ganzheitlichen Weltsicht der Antroposophen etwas für Menschen mit Beeinträchtigung tun. Deshalb wurde das sozialtherapeutische Projekt Wurzerhof gestartet. Johanna Bartsch: „Die Idee ist meinem Vater ganz sicherlich gekommen, als er während des Nationalsozialismus in Berlin Alexanderplatz bei den politischen Häftlingen eingesperrt war und dort fürchterliche Erlebnisse hatte und sah, wie mit Menschen mit Behinderung umgegangen wurde. Nach dem Krieg, als er wieder frei war, war es für ihn nicht mehr die größte Notwendigkeit, die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise zu verbreiten, denn das hatten inzwischen auch andere, jüngere Menschen, aufgegriffen. Aber es war ihm ein Anliegen, für Menschen mit Behinderungen und Krankheiten etwas zu tun“.

„Für mich ist es einfach mein Leben“

Derzeit leben 30 Menschen mit Beeinträchtigungen am Hof. Leben, Lernen, Arbeiten und sich entwickeln - das will man den Betreuten bieten. Dazu kommt ein Waldorf-Kindergarten. Jeden Freitag gibt es im Hofladen Bioprodukte aus der Landwirtschaft zu kaufen. Kommerz und gesellschaftliches Engagement schließen sich nicht aus, sagt Johanna Bartsch: „Man muss mit dem heutigen, normalen wirtschaftlichen Denken ganz sicher umdenken: Was kommt bei der Sache heraus und wie viel muss ein Mensch in welcher Zeit leisten – dann ist man hier falsch. Das kann auch kein normaler Job sein, sondern wir betrachten diese Arbeit als unsere Aufgabe. Und für mich ist es einfach mein Leben“.

Link