Marjan Sturm: Vom Radikalen zum Versöhner

Mehr als 27 Jahre lang war Marjan Sturm Obmann des slowenischen Zentralverbandes. Am 23. Februar machte er Platz für seinen Nachfolger. Jahrzehntelang engagierte er sich für die slowenische Volksgruppe und war auch an der Ortstafellösung maßgeblich beteiligt.

Borut Marjan Sturm ist promovierter Historiker und war in seiner Jugend durchaus radikaler Kämpfer für die Rechte der Volksgruppe, insbesondere für die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln. Seine slowenischsprachige Familie wurde 1942 aus der Gemeinde Magdalensberg vertrieben und zur Zwangsarbeit deportiert, eine Schwester kam ums Leben.

„Bis zum Zweiten Weltkrieg hat es in St. Thomas am Zeiselsberg einen Kulturverein gegeben und eine slowenische Bank. Meine Eltern waren da führend dabei. Nach 1945 waren alle diese Familien vertrieben, traumatisiert und nicht mehr in der Lage, das wieder aufzubauen. Wir lebten nur einige Kilometer von Klagenfurt entfernt, waren immer an Klagenfurt angebunden, die Kommunikation mit der Stadt war intensiver. Dort ist der Assimilationsprozess schneller vor sich gegangen.“

„Ich komme ja aus einer Opferfamilie“

Als er Mittelschüler war, sei ihm bewusst geworden, dass er aus einer Opferfamilie stamme und habe sich gefragt, warum ihm keiner etwas erzählt: „Es war ein Schweigen in der Familie darüber, dass die Schwester in der Vertreibung ums Leben gekommen ist. Das war ein Grund, warum ich Geschichte studiert habe, um mich damit auseinanderzusetzen. Und ich fand auch, dass man radikaler auftreten muss.“

Die Eltern seien nie darüber hinweggekommen und hätten nie darüber gesprochen. Die Geschwister hätten aber schon darüber geredet, was passiert sei, so Sturm. In den 70er Jahren engagierte sich Sturm als Student bereits politisch und beschmierte eine Ortstafel mit dem slowenischen Ortsnamen. Das trage man ihm aber nicht nach, so Sturm: „Ich glaube deswegen, weil ich nie etwas verschwiegen habe, ich bin immer zu meiner Geschichte gestanden. Ich habe immer gesagt, jawohl, ich habe eine Ortstafel beschmiert und ich sage auch, warum ich das gemacht habe. Heute sind wir in einer Situation, wo solche Aktionen nicht mehr nötig sind.“

Absurder Prozess nach Ortstafelbeschmierung

Es sei damals aber ein großer Skandal gewesen, es habe 1972 in Leoben auch einen Prozess gegeben - man wollte den Prozess nicht in Kärnten abhalten - und dort sei die ganze Absurdität hochgekommen, sagte Sturm. Als der Richter den Experten nach dem Sachschaden auf der Hermagorer Ortstafel gefragt habe, sagte dieser, 110 Schilling: „50 Schilling fürs Hinfahren, 50 Schilling eine Stunde Arbeit, fünf Schilling für den Fetzen und fünf Schilling für den Nitrolack. Mein Anwalt hat dann gefragt, wird die Ortstafel nicht jedes Jahr gereinigt, da hieß es ja. In diesem Jahr war sie noch nicht gereinigt worden, daraufhin sagte mein Anwalt, wir erkennen die 50 Schilling für die Hinfahrt nicht an, denn man hätte sowieso hinfahren müssen, um die Tafel zu reinigen. Man erkenne nur die zehn Schilling für Nitrolack und Reinigungstuch an. Daraufhin hat der Richter gefragt, ob wir alle spinnen und hat den Akt geschlossen.“ Sogar außenpolitisch habe es Kreise gezogen, in Ljubljana habe man für ihn demonstriert.

„Es ist nie zu spät, gescheiter zu werden“

Seine Mutter habe ihm vor seinem Engagement gewarnt und gesagt, er würde nur draufzahlen. Das habe ihn aber nicht abgehalten. Er habe auch nie verschwiegen, dass er zwei Jahre lang in einer maoistischen Organisation gewesen sei, er habe viel dort gelernt, so Sturm. Nämlich, wie verführerisch totalitäre Ideologien sind: „Es hat nie die Gefahr bestanden, dass wir an die Macht kommen, aber wenn doch, wäre das wohl auch sehr blutrünstig geworden. Ich bin froh über diese Erfahrung.“ Man müsse aus der Geschichte lernen. „Es geht darum, neugierig zu bleiben und sich weiterzuentwickeln. Es ist nie zu spät, um gescheiter zu werden.“

Der Weg zur Versöhnung

In den 80er Jahren war er in Nordirland und habe dieses angespannte Klima erlebt. „Da habe ich gedacht, in Kärnten ist vieles nicht OK, aber meine Fenster muss ich nicht vergittern. Die Straßen sind auch nicht durch Gitter versperrt. Dann habe ich mich mehr mit Versöhnung beschäftigt und ein Studium zur Konfliktbewältigung gemacht. Was mich noch fasziniert hat, waren Franzosen und Deutsche, die so viele Kriege gegeneinander geführt haben und sich doch versöhnt haben. Und drittens war da Nelson Mandela, der nach 25 Jahren Kerker herauskommt und sich mit Willem de Klerk zusammensetzt, um einen neuen Weg zu finden.“ Erzbischof Desmond Tutu habe gesagt, in Europa hätten immer die Sieger die Geschichte geschrieben, das habe man in Südafrika nicht wollen. Es gehe um Versöhnung und Wahrheit.

Marjan Sturm Fellner Konsensgruppe großes silbernes Ehrenzeichen

APA/Georg Hochmuth

Marjan Sturm und Josef Feldner bekamen als Vertreter der Konsensgruppe das große silberne Ehrenzeichen der Republik 2012

Gemeinsam mit Josef Feldner vom Kärntner Heimatdienst gründete Sturm die Konsensgruppe und war maßgeblich an der Lösung der Ortstafelfrage beteiligt. „Ich habe mit Feldner auf persönlicher Ebene diskutiert und von meiner Familie erzählt. Er sagte mir, seine Tante sei von den Partisanen umgebracht worden. Ich habe ihm gesagt, das tut mir leid und er hat ein Recht auf Trauer.“ Immer noch mache man gemeinsame Projekte, so Sturm. „Ohne Versöhnung können wir nicht weiterkommen.“ Gerade für den Dialog und das freundschaftliche Verhältnis zum Obmann des Kärntner Heimatdienstes erntete Marjan Sturm in der Volksgruppe viel Kritik.

Jeder trägt etwas vom Anderen in sich

Sturm ist derzeit noch Obmann des Volkgruppenbeirats im Bundeskanzleramt: "Da war ich 24 Jahre Vorsitzender und bin noch einmal ernannt worden, es hängt aber jetzt vom neuen Vorstand im Zentralverband ab, welche Vorschläge sie machen. Zur Situation der slowenischen Volksgruppe in Kärnten sagte Sturm: „Wir haben das Problem, dass die Zeit, in der Slowenisch Kommunikationssprache Nummer Eins war, so wie bei mir damals, vorbei ist. Es gibt keine Familie, die nur mehr Slowenisch spricht, auch die Medien tragen dazu bei. Das führt zu einer Akkulturation - die Kulturen nähern sich an, überschneiden sich, das betrifft aber auch die Mehrheitsbevölkerung.“

Andererseits merken die Menschen, dass Mehrsprachigkeit wichtig sei. Die Zahlen des zweisprachigen Unterrichts steigen, die Mehrheit sind davon Deutschsprachige, die Slowenische lernen. Die ökonomische Bedeutung der Sprache steigt und erhöht Jobchancen, so Sturm. Man müsse sich fragen, was sei das Alleinstellungsmerkmal in diesem Land: „Und meiner Meinung nach ist das die sprachlich-kulturelle Vielfalt. Jeder von uns trage auch etwas vom Anderen in sich.“

Interview mit Marjan Sturm on demand

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