Weihnachtsansprache Superintendent Sauer

Superintendent Manfred Sauer reflektiert in seiner Weihnachtsansprache über die Symbolik des Schlüssels: Für ihn steht er als Zeichen von Schutz, Sicherheit und Macht, aber auch von Grenzerfahrungen, um schließlich die Hoffnung auf ein Weihnachtsfest als Schlüsselerlebnis kundzutun.

Venedig im November 2015. Die letzten Tag, bevor die Pforten der Biennale schließen. Alle zwei Jahre versammeln sich Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt. In ihren Arbeiten konfrontieren sie uns mit ihre Gedanken, Wahrnehmungen, Sehnsüchte, Ängsten, Analysen. Künstler haben meist ein besonders Gespür für das, was in der Zeit vor sich geht, wo’s brodelt, wo’s brennt, wo Veränderung und Umkehr notwendig wäre. Klar, Flucht kam vor – eine riesige Mauer aus zusammengepressten Koffern. Krieg, Gewalt kam vor.

Aber am faszinierendsten war für mich der japanische Pavillon. Tausende Schlüssel an roten Schnüren in einer atemberaubenden Inszenierung. Wie in einen Schlüsselregen, in den man eintaucht. Eine Nebelwand, ein Schiff, das näher kommt, ein Berg, der sich auftut. Wie viele Schlüssel haben Sie an ihrem Schlüsselbund? Haustor, Wohnung, Briefkasten, Fahrrad, Autoschlüssel, Spind usw. Schlüssel geben uns Sicherheit. Jeder von uns kennt die Panikattacke, wenn man plötzlich zu suchen beginnt: zu Hause, oder unterwegs in der Handtasche, im Mantel, im Sakko – er muss doch da sein, das gibt’s doch nicht.

Die Weihnachtsansprache von Superintendent Manfred Sauer zum Nachhören

Schlüssel bedeutet Schutz: In schließe ab, damit ich geschützt bin vor dem ungebetenen Gast, damit ich endlich meine Ruhe finde, meine Privatsphäre geschützt ist.

Schlüssel bedeutet aber auch, Macht zu besitzen. Wer die Schlüsselgewalt hat, hat meist das Sagen, auch am Steuer des Autos. Wir schließen aus, wir schließen ein, wir beschließen, wir bewundern Menschen mit sogenannten Schlüsselqualifikationen. Trotzdem sind wir immer wieder auf der Suche nach dem Schlüssel des Glücks, nach dem Schlüssel für ein Leben, von dem wir sagen können: vieles ist gelungen, die wichtigsten Träume haben sich erfüllt.

Schlüssel ist aber auch Zeichen für Grenzerfahrung: Ausgeschlossen sein, sich dem andern verschließen. Besonders dann, wenn wir diese Erfahrung machen, wünschen wir uns so einen Zauberschlüssel, der das Herz wieder aufschließt und allen Zorn, alle Wut, alle Rachegelüste vertreibt und frischen Wind hereinlässt.

Heute ist Heiliger Abend. Wir erinnern uns und feiern den Geburtstag Jesu. Der Stall in Betlehem hatte sicher kein Schloss und Maria und Josef hatten sicher keinen Schlüssel. Die wunderbare Botschaft dieser Nacht lautet, dass in diesem Kind, in diesem göttlichen Sohn der Schlüssel für unser Leben liegt, der Schlüssel für Trost, der Schlüssel für Hoffnung und Zuversicht. Es ist ein Leben der Hingabe, der Liebe. Ein Leben für andere, ein ständiges Aufschließen von neuen, ungeahnten und ungewohnten Möglichkeiten. Ein Leben, das nicht Gleiches mit Gleichem vergilt, sondern vergibt. Ein Leben, das das Freund-Feind-Denken überwindet. Da wünsche ich mir, dass Weihnachten immer wieder zu einem Schlüsselerlebnis wird, dass diese heilige Nacht und dieses Fest unsere Herzen aufschließt und die Liebe Gottes in unserem Leben und mitten unter uns erfahrbar und spürbar wird.

Frohe und gesegnete Weihnachten!
Manfred Sauer