Wie man Kinder zu guten Nazis machte

Der Kärntner Historiker Alexander Verdnik beschäftigt sich in seinem neuen Buch mit der Jugend im Nationalsozialismus. Der Staat erfasste Kinder und Jugendliche in Organisationen, die Manipulation im Sinne des Regimes reichte tief hinein in die Familien.

Die Kinder und Jugendlichen waren für das Naziregime und dessen Strategen künftige Wähler und Soldaten für den Krieg. Laut Verdnik kam es in einem bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten Ausmaß zu einer Politisierung der Kindheit. NS-Jugendorganisationen für alle, Propagandamaterial sowie Tausende Ratgeber und Wegweiser für ein „erfolgreiches nationalsozialistisches Leben“ waren im Umlauf.

Vorbereitung für Dienst im Heer

Das Jahrbuch der Staatlichen Wirtschaftsoberschule in Graz für das Schuljahr 1939/40 ist für den Wolfsberger Historiker ein besonders interessantes Beispiel: „Dieser Jahresbericht ist ein erschreckendes Propagandaheft, es wurde für fast kriegsdiensttaugliche Jugendliche verfasst. Sie sollten so rasch wie möglich ein Jahr in den Reichsarbeitsdienst und dann in den Krieg.“ Das Heft ist auch gespickt von Rassenideologie. Man könne nicht mehr gelten lassen, dass „keiner etwas gewusst“ habe.

Erziehung legte Grundstein für Gehorsam

Organisationen wie die Hitler-Jugend oder der „Bund deutscher Mädel“ waren für die Kinder auch interessant, weil es damals nicht die Möglichkeit gab, einfach einem Verein beizutreten. Freizeit und gemeinsamer Sport, das Wahrgenommen werden, ein Sich-Wichtig-Fühlen waren durchaus etwas Neues. Zuhause mussten die Kinder einfach mitarbeiten, egal ob im Haushalt oder im elterlichen Betrieb.

Man sollte laut Verdnik nicht vergessen, dass es den Organisationen durch die elterliche Vorarbeit leicht gemacht worden sei, den Drill fortzusetzen. Es sei kritiklos angenommen worden, was dort gemacht wurde. Die Gewaltmärsche, die auch die Kleinen schon machen mussten, führten nur langsam zu Protesten der Eltern. Es ist der Kern der Schwarzen Pädagogik.

Alexander Verdnik Jugend im Nationalsozialismus

Kitab Verlag

Mutter enttäuscht vom „undeutschen“ Sohn

Schwarze Pädagogik beschreibt die Schweizer Psychologin Alice Miller ganz einfach: Jeder Respekt für die Eltern, keiner für die Kinder. Am 20. November 1944 schreibt eine Mutter ihrem Sohn einen Brief. Sie war empört, dass ihr Sohn aus der Eliteschule NAPOLA (Nationalpolitische Erziehungsanstalt) in Spanheim hinausgeworfen wurde. „Ach und ich war immer so stolz auf Dich, so glücklich, weil immer glaubte, die Mutter eines braven deutschen Jungen zu sein. (...) Hast Du denn kein Ehrgefühl im Leibe? Dir gebührt links und rechts eine ordentliche Ohrfeige.“

Alexander Verdnik sagte dazu, den Brief habe ihm sein ehemaliger Biologielehrer vom Gymnasium St. Paul gegeben. Er habe ihn zwischen Büchern gefunden. Die Wurzeln für diese Haltung und Weltanschauung, eine Erziehung der Kinder zum Funktionieren und Erfüllen von Erwartungen sieht der Historiker aber schon viel früher. Das Fundament hätten schon die Wandervogel-Bewegung und die zahlreichen Turnvereine gelegt. In der Festschrift des „Turnkreises Steiermark-Kärnten“ ist schon 1921 die Rede von „deutschen Jungen und Mädchen“.

Präsentation am Freitag

Alexander Verdniks Buch „Jugend im Nationalsozialismus“ ist bei kitab erschienen. Buchpräsentation: Freitag, 24. Februar Container 25 Hattendorf bei Wolfsberg.

Kindliche Erfahrungen prägen ein Leben lang

„An vielem in der Kindheit Erlernten, halten Menschen aufgrund eines unabänderlichen Wertekanons und Erfahrungsrepertoires ein Leben lang fest.“ Dieser Satz steht im Vorwort zu Alexander Verdniks Buch. Der Historiker schreibt weiter, viele hätten die als Kinder erlernten Irrlehren an ihre Nachkommen weitergegeben.

Sein Fazit ist, dass zurzeit keine optimistische Prognose gestellt werden könne: "Das Interessante ist, dass die Menschen auch dann anfällig werden, wenn es gar keinen Grund gebe, sich klein zu fühlen. Aber schneller geht es bei Menschen, die dauern unter einem Diktat leben. Da entstehen auch psychische Probleme. Wer als Kind schlecht behandelt wurde, sieht sich auch als Erwachsener schlecht behandelt.

Die eigenartige Rolle der Frau

Auch bei den Frauen zieht sich für den Historiker eine Entwicklungslinie weiter. Ein Paradebeispiel ist für ihn Dora Zipelius-Horn. Sie sprach sich 1914 in einem deutschen Jugendgeleitbuch vehement gegen das Wahlrecht für Frauen aus, denn es gebe bei den Frauen noch mehr „unfertiges Menschtum“ als bei den Männern. „Weil in der Tat die Erziehung der Frau an Ernst und Tiefe hinter der des Mannes noch zurücksteht.“

Später machte die 1876 in Karlsruhe Geborene Karriere als NS-Propagandaleiterin und Gauschulungsleiterin der NS-Frauenschaft in Baden, so Verdnik: „Anscheinend wurde ihr in der Kindheit mitgegeben, was die Rolle der Frau zu sein hat. Sie kann sich daher hinstellen und sagen, ich bin die deutsche Frau. Als Frau zählt sie nichts, aber sie ist die ‚deutsche‘ Frau, was die vermeintliche Minderwertigkeit aufhebt.“ Das sei die Propaganda der Nazis für Frauen.

„Antisemitismus ist Hass auf Weichheit“

Wenn Verdnik Berichte über die Frauen der deutschen Skinheads von heute sieht frage er sich auch, was sei mit diesen jungen Mädchen los, die jede Möglichkeit hätten und sich trotzdem den deutschen Männern unterordnen. Die moderne Form sei es dann, sich höher zu stellen, indem sie sagen, die Flüchtlingsfrau steht unter mir. Verdnik schrieb bewusst ein Buch, in dem viele Zitate aus Kinderbüchern, Schulbüchern, Literatur, Werbebroschüren aber auch Zitate von Psychologen wie Alice Miller oder Arno Gruen vorkommen.

Gruen untersuchte die Kindheit von Nationalsozialisten. Sein Fazit: „Bei Antisemitismus (..) geht es ja immer um einen Hass auf Weichheit, auf Berührung und Bedürftigkeit. All das muss man aus sich herausreißen, weil es einen an die eigene Not mit Vater und Mutter erinnert.“