Streit um Honorare: Patienten zahlen drauf

Seit 25 Jahren wird im Psychotherapie-Bereich um die Höhe der Stundensätze gestritten. Das Nachsehen haben die Patienten. Lange Wartelisten und hohe Selbstbehalte sind ausgerechnet bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen die Regel.

Nach einem Beinbruch monatelang auf die medizinische Versorgung und einen Gipsverband warten zu müssen, käme den meisten Menschen zu Recht absurd vor. Was angesichts körperlicher Gebrechen undenkbar wäre, gehört bei psychischen Erkrankungen oft zum Alltag. Psychotherapeuten sprechen gerade im Kinder- und Jugendbereich von einer Zweiklassen-Medizin.

„Ich kenne niemanden, der ein gebrochenes Bein hat und sagt, ich kann mir keinen Gips leisten. Oder jemand bekommt einen Herzinfarkt und man sagt zu ihm: Stirb, du hast kein Geld. Das ist schon makaber“, sagt die 16 Jahre alte Nina (Name von der Redaktion geändert). Sie befindet sich seit einer akuten Krise seit einem Jahr in psychotherapeutischer Behandlung am Klinikum Klagenfurt.

Psychotherapie Jugendpsychiatrie

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„Wenn ich nicht gestorben wäre, dann...“

Einmal pro Woche besucht Nina für ihre Therapiestunde die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ohne professionelle Hilfe hätte sie - da ist sich die Schülerin der Oberstufe sicher - zumindest die Schule abbrechen müssen. Wie es ihr wohl ganz ohne Psychotherapie ergangen wäre? „Wenn ich nicht gestorben wäre, dann hätte ich kein Leben, sondern würde einfach existieren. Dann würde jeder Tag an mir vorbeiziehen und ich würde einfach hoffen, dass ich es überlebe, anstatt zu leben.“

Weil Nina aus therapeutischen Gründen nicht aus ihrem gewohnten Lebensumfeld, aus Familie, Schule und Freundeskreis, herausgerissen werden sollte, erhielt sie eine ambulante Psychotherapie auf der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie - was in dieser Form eine Ausnahme am Klinikum darstellt.

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„Bitte Warten“ auf kostenlose Therapie

Ähnlich wie Nina bedürften rund 4.000 Kinder und Jugendliche pro Jahr in Kärnten psychotherapeutischer Hilfe. Diesem jährlich anzunehmenden Bedarf stehe ein Angebot von nur etwa 1.000 kostenfreien Therapieplätzen gegenüber, kritisiert Abteilungsvorstand Wolfgang Wladika. Er spricht von „extremen Versorgungsdefiziten“ im Kinder- und Jugendbereich. Viele Familien könnten sich die Kosten für eine Psychotherapie ihrer Kinder nicht leisten. Zehn Therapieeinheiten kosten rund 700 Euro.

Bis ein kostenloser Therapieplatz frei werde, heiße es oft über mehrere Monate „Bitte warten“, so Wladika: „Ich sehe immer wieder, dass Kinder aufgrund von ökonomischen Unmöglichkeiten keine adäquate Therapie bekommen. Das ist natürlich sehr schambesetzt. Die Familien sagen eher: Ja, wir haben das nicht organisiert, keinen gefunden, als: Wir können uns das eigentlich nicht leisten. Das kann ich gut nachvollziehen und es braucht aus meiner Sicht für Kinder aller sozialen Schichten die entsprechenden Angebote.“

Ohne rasche Hilfe wird aus „akut“ oft „chronisch“

Gerade leichte und mittelschwere Fälle würden ohne Therapie eine Symptom-Verschlechterung zeigen, Krankheiten würden chronisch. Die Folge seien längere Krankenhausaufenthalte. Eigentlich wären, so Wladika, gemessen an der Einwohnerzahl zumindest vier bis fünf Fachärzte für Psychotherapie vonnöten. Dahingehend laute die Empfehlung des österreichischen Strukturplans Gesundheit. Zum Vergleich: Laut GKK gibt es in Villach und in Klagenfurt je einen Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, diese würden auch Psychotherapie anbieten - mehr dazu in Zu wenig Psychotherapieangebote für Kinder.

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„Das ist keine Lebensqualität, kein Leben“

Als Nina realisierte, dass es ihr nicht mehr gelang, ihren Alltag zu meistern, entschloss sie sich zur Therapie. Ein Schritt, den viele gar nicht erst wagen. „Du wachst auf und weißt: Dieser Tag wird so schwer werden, wird noch schwerer werden als der letzte und morgen wird es noch schwerer. Das kann man nicht aushalten, und das sollte auch niemand aushalten müssen. Das ist keine Lebensqualität, kein Leben. Man freut sich auf nichts mehr.“

Patienten oder deren Angehörige, die keine Wartezeiten in Kauf nehmen wollen, müssen die Therapie selbst bezahlen und mit einer Kostenrückerstattung vorlieb nehmen. Diese beträgt pro Therapieeinheit nur 21,80 Euro - für viele Familien schlichtweg nicht leistbar.

Auch Land und GKK sehen Handlungsbedarf

Sowohl beim Land als auch bei der Kärntner Gebietskrankenkasse wird die Versorgung für Kinder und Jugendliche im psychotherapeutischen Bereich als „bei weitem nicht ausreichend“ bezeichnet. Kinder und Jugendliche blieben bei der derzeitigen Lage „auf der Strecke“.

In puncto Wartezeiten räumt auch der Direktor der GKK, Johann Lintner, einen „starken Aufholbedarf“ ein. Im Durchschnitt betrage die Wartezeit für Psychotherapie drei Monate. Die Kontingente seien deshalb bereits erhöht worden. Kärnten läge damit österreichweit im Mittelfeld. Von den Psychotherapeuten heißt es hingegen, die Wartezeiten für Jugendliche würden sechs bis acht Monate betragen.

Kein österreichweiter Kassenvertrag

Georg Ratschiller vom Kärntner Gesundheitsfonds erstellt im Rahmen einer im März diesen Jahres neu geschaffenen Psychiatriekoordinationsstelle ein Konzept, um die Versorgung im gesamten psychiatrischen Bereich in Kärnten zu verbessern, ab 2018 soll es wirksam werden. Er sieht das Problem im Fehlen eines österreichweit gültigen Kassenvertrags mit den Psychotherapeuten. Die seit 25 Jahren nicht wertangepasste Kostenrückerstattung - von derzeit 21,80 Euro - sei da nur ein Randproblem.

Höherer Kostenersatz „nicht Lösung des Problems“

Ratschiller: „Grundsätzlich ist eine Erhöhung des Kostenzuschuss nicht die Lösung des Problems. Man sollte das Problem ursächlich in der Tiefe angehen und idealerweise zu einem Gesamtvertrag kommen. Kommt man nicht zu einem Gesamtvertrag, dann zu einer Erweiterung des bestehenden Angebotes. Man muss aber auch dazusagen, wenn man sich die Psychotherapeutenlandschaft ansieht: Etwa 80 Prozent der niedergelassenen Therapeuten befinden sich im Zentralraum. Der Bereich der Peripherie - insbesondere der Bezirke Spittal und Hermagor - ist in dem Rahmen sicher nicht ausreichend versorgt.“

Ein Umstand, der sich im Umkehrschluss wohl auch aus den fehlenden Kassenverträgen im niedergelassenen Bereich ergibt.

Kein Ende im Streit um Stundensätze in Sicht

Tatsächlich wurde die Tätigkeit ausgebildeter Psychotherapeuten im Jahr 1992 den Ärzten gleichgestellt und auch in den Leistungskatalog der österreichischen Krankenkassen übernommen. Es sollte ein Gesamtvertrag für kassenfinanzierte Psychotherapie ausverhandelt werden, eine Einigung wurde aber nie erzielt. Es spießt sich bis heute an den Stundensätzen: 56,70 Euro wurden zwar ausverhandelt, aber nie beschlossen. Ratschiller: „Es hat zwei Anläufe gegeben, diese sind an unterschiedlichen finanziellen Vorstellungen gescheitert. Es zeichnet sich kein Ergebnis ab.“

Keine Kassenverträge für niedergelassene Ärzte

Seither gibt es eben in jedem Bundesland eigene Versorgungs-Lösungen. In Kärnten wird die Therapie auf Krankenschein über Vereine wie die Caritas oder Pro Mente, vor allem aber auch durch die AVS abgewickelt. Kassenverträge mit niedergelassenen Psychotherapeuten existieren - eben aufgrund eines fehlenden Gesamtvertrags - keine. Die Berufsgruppe der Psychotherapeuten sei in sich „nicht stimmig“, heißt es dazu in vom GKK-Direktor. Zusätzliche Planstellen wären auch nicht die Lösung, man setze vielmehr auf „multiprofessionelle Einrichtungen“, um die Versorgung in Zukunft auch im dezentralen Bereich zu gewährleisten.

Einig sind sich alle Seiten darin, dass es Psychotherapie als Sachleistung auf Krankenschein auch im dezentralen Bereich geben muss. Auch, weil der Bedarf an Psychotherapie bei Kindern- und Jugendlichen im Steigen begriffen ist.

Etwas Licht am Horizont zeichnet sich in Form eines neuen „Modells“ ab. Der GKK zufolge wird gerade an einem Konzept für ein Pilotprojekt für Jugendliche gearbeitet. Mittels bestehender Strukturen soll eine Anlaufstelle für Familien und Ärzte - eventuell in Völkermarkt - geschaffen werden.

„Das sollte sich niemand leisten müssen“

Für die 16-jährige Nina ist die Sache mit den Kosten recht eindeutig: „Seit dem letzten Jahr bin ich mindestens ein Mal die Woche (zur Therapie, Anm.) gekommen. Wenn man das jetzt privat machen würde und dafür zahlen müsste - das sollte sich niemand leisten müssen. Es ist viel Geld für etwas, das eigentlich selbstverständlich ist.“

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