Bachmann: Zwicky-Lesung überzeugte

Der Schweizer Dieter Zwicky hat am letzten Lesetag bei den 40. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt die Juroren großteils überzeugt. Die Texte seiner drei „Vor-Leserinnen“ fanden ebenfalls Anklang.

Dieter Zwicky las auf Einladung von Juri Steiner den Text „Los Alamos ist winzig“, eine impressionistische Skizze. Zwickys Protagonist ist Ingenieur, der seinen Zungenkrebs überwunden hat, mit seiner Partnerin in Los Alamos durch diverse Lokale zieht und dabei viel Weißwein konsumiert. Was ihm in dieser fremden Welt fehlt, ist das Sauerkraut.

Diverse Locations werden gezeichnet, Querverweise auf die Entwicklung der Atombombe sind eingebaut. Der Ingenieur geht einkaufen, plaudert auf der Parkbank mit einer alten Dame, nur um festzustellen, dass er ihren Sohn kennt, der Friseur in England ist. Am Ende sitzt er mit seiner Frau beim Abendessen und macht ihr eine Liebeserklärung, die sie mit Tränen quittiert.

Zwischen Idylle, Apokalypse und „Nonsensepoesie“

Jurorin Meike Feßmann sah einen wunderbaren Abschluss für eine „sehr schöne Rondo-Konstruktion“. Der „etwas irre Ich-Erzähler“ sei ein „Verkleinerungskünstler“. Kastberger fand den Text faszinierend, man wisse nie genau, ob es noch Idylle sei oder schon Apokalypse.

Keller stellte fest, dass der Text kein Zentrum habe, er sei labyrinthisch, ja, frenetisch, das sei genau der Trick. Kegel konstatierte: „Dieser Text spricht in Rätseln.“ Das mache aber überhaupt nichts. Steiner bekundete „frenetische Freude“ mit diesem Text. Einzig Hubert Winkels fand keinen Zugang, er sprach von „Nonsenspoesie“, die ihm nicht zusage. Preisverdächtig ist Zwicky allemal - mehr dazu in Jurydiskussion Dieter Zwicky.

TDDL 2016 Dieter Zwicky

ORF/Johannes Puch

Dieter Zwicky

Text über „Neger“ sorgte für Kontroversen

Die Deutsche Astrid Sozio las auf Einladung von Juri Steiner und präsentierte den Romanauszug „Das verlassenste Land“, für den sie teils herbe Kritik einstecken musste. Dabei handelt es sich um eine Geschichte mit gegenwartsbezogenem Thema: Ein einfaches, paranoides Zimmermädchen, dessen Tun von den Geistern der Vergangenheit und der Gewohnheit bestimmt wird, verharrt als letzte Person in einem verlassenen Dorf und kümmert sich wie seit jeher unbeirrt um alle Zimmer des Hotels.

Sie fürchtet sich vor dem Anderen in Gestalt einer „Negerin“, die sie öfters durch das Fenster beobachtet. Als die Flüchtende ins Hotel eindringt, um ihr Handy aufzuladen, lässt die Ich-Erzählerin die Fremde gewähren, zieht sich zurück und wird das Gefühl nicht los, nicht mehr alleine zu sein.

Astrid Sozio

ORF/Johannes Puch

Astrid Sozio

Negatives Feedback vom Großteil der Jury

Klaus Kastberger fragte sich, warum das Wort „Negerin“ so oft vorkam. Juryvorsitzender Hubert Winkels konstatierte, es gebe erneut einen Einbruch des Fremden in die gewohnte Ordnung, dieser sei aber viel zu schematisch gemacht. Sandra Kegel bezeichnete den Text als „Kurzschlussliteratur“, er trivialisiere das Problem. Hildegard Keller zeigte sich nicht überzeugt von der Erzählerin, die einerseits sehr archaisch gezeichnet sei, andererseits plötzlich Englisch könne.

Meike Feßmann befand, der Text sei „völlig missglückt“ in der Behandlung des Themas, man hätte der Autorin von dieser Methode abraten sollen. Auch Stefan Gmünder äußerte starke Bedenken. Juri Steiner, der Sozio vorgeschlagen hatte, sah sehr wohl etwas Aufklärerisches in dem Text, der ihn schon gepackt hätte - mehr dazu in Jurydiskussion Astrid Sozio.

Diskussion: Familiengeheimnisse und Heimatromane

Am Vormittag erhielten Ada Dorian und Sharon Dodua Otoo positives Feedback von den Juroren. Dorian folgte der Einladung von Hildegard E. Keller nach Klagenfurt und las den Romanauszug „Betrunkene Bäume“, einen Text über den Kampf gegen das Altern, Altersheim und die Auseinandersetzung mit lange Zurückliegendem.

Tag 3 Ada Dorian

Johannes Puch

Ada Dorian

Stefan Gmünder fand den Text „fein geknüpft“, wie Jurykollege Hubert Winkels habe er am Anfang Unsicherheiten gespürt. Sandra Kegel meint, der Text sei funktional wie ein IKEA-Regal und wolle auch keine Avantgarde sein. Gmünder sah den Text „motivisch fein gearbeitet“, ein Text über das Wachsen, der auch selbst wächst. Sandra Kegel fühlte sie sich an einen Heimatroman aus den 1950er-Jahren erinnert, Meike Feßmann glaubte, Indizien für ein Familiengeheimnis im Text entdeckt zu haben - mehr dazu in Jurydiskussion Ada Dorian.

„Herr Gröttrup setzt sich hin“ gefiel

Nach Dorian war die in London geborene Sharon Dodua Otoo an der Reihe, die ihren Text „Herr Gröttrup setzt sich hin“ - von Sandra Kegel vorgeschlagen - mitbrachte.

Sharon Dodoua Otoo

ORF/Johannes Puch

Sharon Dodua Otoo

Kastberger fühlt sich an Thomas Bernhard erinnert

Laut Hubert Winkels ein Text, der langsam beginne. Am Frühstückstisch mit einem falsch gekochten Ei. Er steigere sich zur Farce, plötzlich erzählt ein Ei und weitet sich dann in zwei Richtungen. Man bekomme die gesamte Vorgeschichte von zwei Eheleuten, der Text konterkariere zum langsamen Beginn, er fand sie „besonders“. Klaus Kastberger sagte, er sei vom Genre nicht zu unterschätzen. Der Text von Thomas Bernhard anlässlich einer Bundespräsidenten-Wahl in Deutschland „Der deutsche Mittagstisch“ dröhne in Otoos Text mit - mehr dazu in Jurydiskussion Sharon Dodua Otoo.

Kritik am zweiten Lesevormittag

Am zweiten Lesevormittag kristallisierten sich Julia Wolf und Isabelle Lehn als Favoritinnen heraus, die restlichen Autoren mussten großteils Kritik einstecken. Der zweite Lesenachmittag bot Deutsch in zwei sehr unterschiedlichen Färbungen. Zunächst las der in Tel Aviv lebende Israeli Tomer Gardi einen Text, in dem der Ich-Erzähler mit seiner Mutter mit dem Flugzeug in Berlin-Schönefeld ankommt und fremde Koffer vom Gepäck-Laufband nimmt. Danach erinnerte sich die in Frankreich geborene Sylvie Schenk an ihre Kindheit. Gardis nächstes Buch, das im Grazer Droschl Verlag erscheinen wird, heißt „Broken German“ - mehr dazu in Bachmann: Zwei Favoritinnen an Tag zwei.

14 Autoren aus acht Nationen am Start

Insgesamt traten heuer sieben Autorinnen und sieben Autoren aus acht Nationen bei der Veranstaltung an. Bis jetzt gibt es mehrere Autoren, die sich die Chance auf einen Preis ausrechnen dürfen.

Der erste Lesetag regte die Juroren zu teils heftigen Diskussionen an: Die Texte von Stefanie Sargnagel (AUT), Marko Dinić (SBR) und Selim Özdogan (TUR) stachen besonders hervor - mehr dazu in TDDL: Nudeln, Hasen und Kriegserinnerungen. Sargnagel, die einzige Österreicherin im heurigen Bewerb, präsentierte ihren Text „Penne vom Kika“, er begleitet die Ich-Erzählerin durch einen Wintertag, den sie unter anderem am Eislaufplatz, in einem Beisl und beim Bachmann-Text-Schreiben verbringt.

Preisverleihung

Am Sonntag ab 11.00 Uhr werden die vier Preise vergeben. Danach stellen sich die Gewinner der Presse. Preisverleihung und Pressekonferenz werden live übertragen und sind danach on demand im Internet abrufbar.

Zuschauer stimmten für Publikumspreis ab

Insgesamt werden am Sonntag vier Preise vergeben: Der Ingeborg-Bachmann-Preis, der Kelag-Preis, der 3sat-Preis und der BKS-Bank-Publikumspreis. Dafür konnte ausschließlich am Samstag, dem 2. Juli zwischen 15.00 und 20.00 Uhr über das Internet - über die Webseiten von 3sat, BKS, Stadt Klagenfurt und Musilmuseum - abgestimmt werden.