Bachmannpreis: Plädoyer für riskantere Texte
Traditionell gibt es bei der Eröffnung des Literaturspektakels die Rede zur Literatur 2016, heuer hielt sie der langjährige Juryvorsitzende Burkhard Spinnen, der Titel seines Textes: „Mythos, Schmerz, Erfolg und Amt“. Spinnen hatte 1992 als Autor in Klagenfurt gelesen und von 2000 bis 2014 - mit einem Jahr Unterbrechung - der Jury angehört, die letzten sieben Jahre als deren Vorsitzender.
Der Mythos besage, in Klagenfurt würden Autoren „vernichtet“. Die einzigen Vernichtungen, die er regelmäßig erlebt habe, seien jedoch jene im Feuilleton gewesen, die den Juroren regelmäßig vorgeworfen hätten, schlechte Arbeit zu leisten. Für die Schwierigkeit der literarischen Urteilsfindung sei die öffentliche Diskussion der Jury aber das richtige Mittel.
Vom Schmerz der Autoren
Demgegenüber finde er es „sehr angemessen, wenn am Ende des Wettbewerbs in Klagenfurt eine unkommentierte Abstimmung steht. Das Ringen um ein Geschmacksurteil mündet in ein demokratisches Verfahren.“ Der „Schmerz, den es einem Autor oder einer Autorin bereitet, wenn ihr Text gerade von denen abgelehnt wird, deren positives Urteil sie erhoffen“, könne jedoch durch Fairness und Angemessenheit nicht gelindert werden. Das Streben nach Erfolg sei das Wesen eines Wettbewerbs wie jenes um den Bachmann-Preis, sagte Spinnen.
“Frei machen von Regeln“
Dessen Gewinn generiere Aufmerksamkeit und könne „die Hoffnung bestärken, auch in Zukunft als Schriftsteller leben zu können. Dazu könne es auch gehören, „sich einmal ganz frei zu machen vom Geschmack, von den Wünschen, Vorstellungen und Regeln der anderen.“ Auch deshalb wünsche er dem Bachmann-Preis "in Zukunft mehr riskante Texte und die Bereitschaft der Jurorinnen und Juroren, deren Risiko mit zu tragen.
Und Spinnen weiter: „Ich weiß sehr gut, wie groß die Versuchung ist, Texte auszuwählen, die das Potenzial zum größten gemeinsamen ästhetischen Nenner haben. Und ich weiß, wie bitter es ist, mit einem riskanten Text dramatisch zu scheitern und damit womöglich die eigene Reputation aufs Spiel zu setzen. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass es auf Dauer die beste Überlebensversicherung des Bachmann-Preises sein wird, wenn er das Risiko der Kunst über jeden Tageserfolg stellt."
Lesestart mit Sargnagel
Die Jury unter dem seit vergangenem Jahr amtierenden Vorsitzenden Hubert Winkels hat von Donnerstag bis Samstag 14 Texte zu bewerten, ehe am Sonntag über die Preise entschieden wird. Am Eröffnungsabend wurde die Lesereihenfolge ausgelost, den Start macht die heuer einzige österreischiche Autorin Stefanie Sargnagel - mehr dazu in Bachmann: Sargnagel als erste am Start.
ORF/Johannes Puch
Wenn es beim Wettlesen nur um die mediale Aufmerksamkeit ginge, wäre die Wienerin Stefanie Sargnagel schon jetzt Preisträgerin. Sie polarisiert gerne, vor allem mit Postings auf Facebook. Vor einem Jahr noch meinte die 1986 Geborene, die Tage der deutschsprachigen Literatur seien wie „Deutschland sucht den Superstar für Streber“. Fortuna wollte es wohl so, dass Sargnagel nun am Donnerstag, dem ersten Lesetag, selbst zwangsläufig zur „Musterschülerin“ werden muss - sie geht um 10.00 Uhr als erste Autorin an den Start.
Teilnehmer aus acht Nationen
Insgesamt treten heuer sieben Autorinnen und sieben Autoren bei der Veranstaltung an, die am Sonntag mit der Preisverleihung abgeschlossen wird. Nach der einzigen Österreichischen Autorin lesen am Donnerstag Sascha Macht und Marko Dinić, am Nachmittag folgen Bastian Schneider und Selim Özdogan.
Eröffnung „on demand“
Das Video der Eröffnung der 40. Tage der deutschsprachigen Literatur im ORF Landesstudio Kärnten in Klagenfurt „on demand“
Am Freitag macht Julia Wolf den Auftakt. Nach ihr lesen Jan Snela und Isabelle Lehn. Tomer Gardi und Sylvie Schenk sind am zweiten Lesenachmittag an der Reihe. Am der dritten und letzten Lesetag werden Ada Dorian und Sharon Dodua Otoo, sowie Astrid Sozio und Dieter Zwicky ihre Texte vor Jury und Publikum präsentieren. 3sat überträgt erstmals in HD.
ORF/Johannes Puch
„Gemeinsame Formation“ von Jury und Autoren
Die Jury besteht heuer aus Stefan Gmünder, Klaus Kastberger, Sandra Kegel, Meike Feßmann, Hildegard E. Keller und Juri Steiner. Den Vorsitz übernimmt wieder Hubert Winkels - mehr dazu in Bachmannpreis: Jury.
ORF/Johannes Puch
Autoren und Juroren würden eine „gemeinsamen Formation“ bilden, sagte Winkels. In den vergangenen 40 Jahren habe sich das Verhältnis der beiden Seiten zueinander verändert. Er habe den Eindruck, dass im Laufe der Zeit die Spannung zwischen Jury und Autoren weniger wichtig geworden sei als der sorgfältige Umgang mit den präsentierten Texten.
Rede zur Literatur
Bezug zu Bachmanns Tage in Rom
„Hausherrin“, Landesdirektorin Karin Bernhard, zitierte in ihrer Eröffnungsrede aus Bachmanns Essay „Was ich in Rom sah und hörte“: "‚Ich hörte, dass es in der Welt mehr Zeit als Verstand gibt, aber dass uns die Augen zum Sehen gegeben sind.‘ Für diesen Bachmannpreis zum 90. Geburtstag von Ingeborg Bachmann und zum 40. Bewerb wünsche sie dieser Veranstaltung, „dass wir mehr Verstand als Zeit erleben können“.
ORF/Johannes Puch
Klagenfurts Bürgermeisterin, Marie Luise Mathiaschitz (SPÖ), unterstrich nach einem Rückblick auf die vergangenen 40 Jahre Bachmannpreis die Bedeutung des „Wettlesens“ für die Landeshauptstadt. Diese habe sich von einem „Dichtermarkt“ zur „Literaturstadt“ entwickelt.
Musikalisch wurde der Abend vom „Carinthia Saxophonquartett“ mit der Volkswaise „Jå griaß enk Gott“ eröffnet. Der neue Büchner-Preisträger Marcel Beyer las ebenfalls bei der Eröffnung. 1977 riefen Humbert Fink und Ernst Willner den Bewerb im Gedenken an die große Klagenfurter Schriftstellerin Ingeborg Bachmann ins Leben. Viele der Teilnehmer sind heute große Literaturstars - mehr dazu in Der Bachmannpreis als Karriereschub.
„Slow-TV in Reinkultur“
Petra Gruber, ORF-Koordinatorin von 3sat, machte Lust auf „Entschleunigung“ in den kommenden Tagen der Berichterstattung, die „Slow-TV in Reinkultur“ biete. Zum Jubiläumsbewerb wird der Sender auch zwei Dokumentationen ausstrahlen. Am Sonntag etwa wird in „Tabula Rasa“ ein Blick hinter die Kulissen der „Tage der deutschsprachigen Literatur“ geworfen - mehr dazu in „Tabula rasa“ - Ingeborg Bachmann.
„Wordrap“ statt Eröffnungsreden
Anstatt wie üblich auf Fragen zu antworten, bekamen die weiteren Eröffnungsredner von Moderator Christian Ankowitsch die Aufgabe, Sätze mit fünf vorgegebenen „Reizworten“ - wie zum Beispiel Kulturlandschaft, Vernetzung, Mehrwert und Finanzierungszusage - zu Sätzen auszuformulieren.
Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) und die Kooperationspartner Herta Stockbauer, Vorstandsdirektorin der BKS Bank, und KELAG-Vorstand Manfred Freitag fanden sichtbar Gefallen an dem eingeforderten „Wortspiel“ und bekamen für ihre Kreativität Applaus.