Das Dorf in den Fluten des „Lago di Sauris“

Vor einigen Wochen wurde der „Lago di Sauris“ entleert, um Wartungsarbeiten an der 65 Jahre alten Staumauer durchzuführen. Als diese in den 40er Jahren gebaut wurde, wurde ein ganzer Ortsteil geflutet und die Bewohner umgesiedelt. Ein Besuch bei der letzten Überlebenden von „La Maina“.

Beim Anblick des Stausees in Sauris - smaragdgrün schimmernd und idyllisch eingebettet zwischen den Bergen - legt auf den ersten Blick nichts die Vermutung nahe, dass er von Menschenhand erschaffen wurde. Seit 65 Jahren gibt es ihn - so lange, wie es auch die riesige Staumauer, die „Diga del Torrente Lumiei“, gibt.

Stausee Sauris

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300 Kriegsgefangene beim Bau involviert

Zwischen 1941 und 1948 wurden das Wasserkraftwerk für das Lumiei-Tal und die dazugehörige Staumauer erbaut. Weil zu dieser Zeit gerade Krieg herrschte und heimische Arbeitskräfte fehlten, wurden bei dem Bau rund 300 neuseeländische Kriegsgefangene involviert.

Stausee

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Einst höchste Staumauer Italiens

Für damalige Verhältnisse wurde sie in einer Rekordbauzeit von sieben Jahren erbaut. Die „Diga del Torrente Lumiei“ galt zum Zeitpunkt ihrer Errichtung als die höchste Italiens und die zweithöchste Staumauer in Europa. Sie brachte Arbeit für viele Menschen in der Carnia und den Tourismus nach Sauris.

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Stausee-Wasser komplett abgelassen

Noch heute gilt der Stausee als Anziehungspunkt für Besucher aus Nah und Fern. In den vergangenen Wochen musste der See jedoch komplett abgelassen werden, um Wartungsarbeiten in einem der Auffangbecken der Staumauer durchführen zu können. Dass gleich der ganze Stausee abgelassen wird, passiert nicht oft - zuletzt 1992.

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„La Maina“ - versunken, aber nicht vergessen

Ganz ohne Wasser werden die Überreste des kleinen Dorfes „La Maina“ wieder sichtbar, das geflutet werden musste, nachdem die Staumauer 1948 fertiggestellt war.

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15 Familien und rund 60 Personen, vorwiegend Bauerm, verloren damals Haus und Hof. Sie wurden umgesiedelt - weiter hinauf, auf einem Hang - mit Blick auf ihren Heimatort, der fortan vom Wasser bedeckt sein sollte.

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Giuseppina Trojero, letzte Bewohnerin „La Mainas“

„Ein bedrückender Anblick“

Giuseppina Trojero ist die letzte Überlebende des kleinen Ortes „La Maina". Auch wenn dieser Tage der Schnee die wenigen Mauerreste ihres Elternhauses, die noch übrig sind, bedeckt - für Giuseppina ist es ein bewegender Anblick: „Es ist jedes Mal bedrückend, wenn sie den See ablassen. Nichts ist mehr so, wie es einmal war - aber man kann auch nicht nur von der Erinnerung leben.“

Dennoch denkt sie gerne daran zurück, wie das Leben in „La Maina" einmal war. „Wir hatten hier alles, was wir brauchten -Wald, Felder, Ställe, Heuschuppen, zwei Mühlen, ein kleines Geschäft, ein Gasthaus und eine Schule. Dann wurde die Staumauer gebaut und eines Tages mussten dann auch wir unser Haus verlassen, obwohl wir das bis zum letzten Moment hinausgezögert hatten.“

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Der Vater nahm Steine mit, um Haus wieder aufzubauen

Trojero: „So etwas begreift man zuerst nur schwer. Mein Bruder und ich, wir waren ja noch klein - aber es war auch für uns sehr traurig, vor allem weil wir sahen, wie sehr meine Eltern darunter litten. Mein Vater hat sogar einige der Steine, aus denen unser Haus gebaut war, mitgenommen - um es später einmal wieder aufbauen zu können“, erzählt die Zeitzeugin Giuseppina Trojero.

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Kirche samt Fresken wieder aufgebaut

Bis es soweit war, kam sie gemeinsam mit ihrem Bruder und ihren Eltern bei Verwandten unter - in einer kleinen Baracke, in der auch das gesamte Hab und Gut der Familie Platz finden musste. So wie die meisten Häuser wurde auch die Kirche von „La Maina" an einem anderen Ort, weiter oben im Dorf, wieder aufgebaut.

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Sogar die Deckenfresken wurden übertragen. Heute erinnert eine Gedenktafel in der Kappele an die 20 Arbeiter, die beim Bau der Staumauer ums Leben kamen.

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Erinnerungsarbeit: Originaldokumente und Fotos

Lucia Protto vom Ethnografischen Museum in Sauris hat über die Jahre unzählige Originaldokumente und Fotos zusammengetragen und Zeitzeugen befragt und in einem Buch zusammengefasst - um die Erinnerung an „La Maina“ zu bewahren.

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„Mein Herz ist noch da unten“

Lucia Protto: „Mich hat beeindruckt, wie sehr die ehemaligen Einwohner von ‚La Maina‘ mit ihrem Heimatort verbunden waren - nicht in materieller Hinsicht, aber vielmehr was die Erinnerung daran betrifft. Meine verstorbene Großtante zum Beispiel hat immer gesagt: Mein Herz ist noch da unten - unter dem Wasser des Sees, bei meinem Haus“.

Sendungshinweis:

Servus, Srečno, Ciao, 16.3.2013

Die Wartungsarbeiten an der Staumauer wurden mittlerweile beendet - ebenfalls in Rekordzeit. Aber auch wenn bald wieder das Wasser die letzten Überreste der Siedlung „La Maina" bedeckt - die Erinnerung an diesen Ortsteil von Sauris wird immer bestehen bleiben.

Ausstellung im „Centro Etnografico di Sauris di Sopra“

Dazu trägt auch eine kleine Ausstellung bei, die noch bis 2. Juni im „Centro Etnografico di Sauris di Sopra“ besichtigt werden kann. Neben vielen imposanten Originalfotografien, die die verschiedenen Phasen des Staumauerbaus zeigen, gibt es dort auch Bilder von dem versunkenen Dorf „La Maina“, wie es früher einmal war.

Information

Ausstellung im „Museo Etnografico in Sauris“ - Öffnungszeiten: Donnerstag und Freitag von 10.00 bis 12.00 und von 16.00 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag von 10.00 bis 12.00 und von 15.00 bis 18.00 Uhr, Führungen gibt es auch auf Deutsch von Lucia Protto.