Novemberpogrom: Mob ohne Gnade

Die Novemberpogrome haben vor 80 Jahren fürchterliche, menschenverachtende Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung mit sich gebracht. Auch in Kärnten ließ der Mob keine Gnade walten. Davon berichteten auch Zeitzeugen.

Die vom nationalsozialistischen Regime organisierten und gelenkten Gewaltmaßnahmen an Juden Anfang November 1938 spielten sich in Österreich nicht nur in Wien ab. Mit einem Tag Verspätung, am 10. November, ging es in Kärnten los, sagt Nadja Danglmaier. Sie ist Lehrbeauftragte für historische und politische Bildung an der Universität Klagenfurt. Einer ihrer Schwerpunkte ist der Nationalsozialismus.

Judenverfolgung begann

Vor 80 Jahren läutete das Novemberpogrom quasi den offiziellen Startschuss für die Verfolgung und letztendlich auch für die Vernichtung der Juden ein. Rund sechs Millionen Juden wurden bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Konzentrationslagern ermordert.

Alles begann mit großen Kundgebungen am Neuen Platz in Klagenfurt, erzählt Danglmaier: „Dort stachelten unterschiedliche Redner die Bevölkerung auf, ihren aufgestauten Hass auf die Juden, der ja schon Jahre zuvor geschürt worden war und das ganz gezielt von deutschnationaler Seite, freien Lauf zu lassen, eigenhändig vorzugehen und handgreiflich etwas zu tun.“

Zahlreiche Randale in Wohnungen

Dann zog der Mob los, vielerorts begleitet vom Applaus der Kärntner Bevölkerung, so die Historikerin: „Es zogen dann Trupps von hauptsächlich SA-Mitgliedern durch die Straßen – vor allem in Klagenfurt und Villach. Sie randalierten in den Wohnungen und Häusern, wo jüdische Familien gewohnt haben, und schüchterten die Leute ein. Sie zerstörten auch das Mobiliar. Es gab ja auch jüdische Bürger in den kleinen Landgemeinden, aber da ist mir nichts von Ausschreitungen bekannt.“

Der sogenannte „Mob“ habe hauptsächlich aus Mitgliedern der SA und Gruppen von Bürgern oder Einzelbürgern bestanden, die sich anschlossen und sich zum Beispiel als Schaulustige beteiligten und zuschauten: „Wir haben zum Beispiel aus Villach einen Bericht, dass Schaulustige am Hauptplatz klatschten, als Möbelstücke aus den Fenstern einer jüdischen Wohnung flogen.“ Erna Zeichners Erfahrung zufolge seien die Beteiligten immer gut gekleidet gewesen: „Vielleicht waren es Studenten. Sie erledigten alles ruhig und wie eine Arbeit. Ihren Erlebnissen zufolge war es keine wilde Horde.“

„Reichskristallnacht“

„Reichskristallnacht“ nannte der Volksmund den Gewaltausbruch in den November-Tagen 1938. Als Sarkasmus der Betroffenen erklären den Begriff die einen, als Verharmlosung kritisieren ihn andere. Faktisch falsch ist er auf jeden Fall. Denn mit Tagesbeginn endete der Terror nicht, seine Intensität nahm sogar noch zu. „Entscheidend losgegangen“ sei die Gewalt erst nach dem Ende der Nacht, sagt der Wiener Historiker Gerhard Botz im Gespräch mit ORF.at. „Die Pogromzustände haben am Tag stattgefunden. Das war alles sichtbar “ - mehr dazu in Medien als willfährige Helfer des Terrors (orf.at; 9.11.18)-

Erste größere Gruppe deportiert

Eine große Sache im Zuge des Novemberpogroms war die erste Deportation von 17 Männern in Kärnten. Sie wurden bereits davor in Klagenfurt verhaftet und es gab einen ersten Transport ins KZ Dachau, so Danglmaier: "Das heißt, nach dem Novemberpogrom waren nur mehr jüdische Frauen und Kinder in Kärnten. Die jüdischen Männer waren ab dem Zeitpunkt weg. Dies sei nicht die erste Deportation von Einzelpersonen gewesen, aber die erste große Gruppe, die deportiert wurde.

„Man wusste, wer ein Jude war“

Wie viele jüdische Familien durch die Novemberpogrome betroffen waren sei unklar. Laut einer Volkszählung von 1910 gab es in Kärnten 341 Menschen jüdischen Glaubens; nach dem zweiten Weltkrieg offiziell keinen mehr.

Danglmaier: „Die jüdischen Familien waren durchaus bekannt. Die Klagenfurter wussten, wo sie wohnen. Auch wenn es in Kärnten nicht etwas Vergleichbares gab, wie man es aus dem Fernsehen von anderswo kennt. Man erkannte vor allem die orthodoxen Juden an ihrer Tracht, ihrem Kaftan und den Schläfenlocken. Soetwas gab es in Kärnten nicht. Nichtsdestotrotz: obwohl die jüdischen Bürger in Kärnten sehr assimiliert und angepasst waren und viele nicht sehr religiös waren wusste man, wer ein Jude war.“

80. obljetnica Novembarskih pogromov

AFP

Beschmierte Fassade eines jüdischen Geschäfts

Nur Juden in Mischehen überlebten NS-Zeit

Das Ziel der Nationalsozialisten sei ganz klar gewesen, Kärnten judenfrei zu machen. Anfang 1939 ließ das der Gauleiter auch schon in den regionalen Zeitungen verkünden, sagt Danglmaier: „Wir haben nur einige jüdische Bürger in Kärnten den gesamten Nationalsozialismus überdauert, die in sogenannten ‘Mischehen‘ gelebt haben, also die mit einem nichtjüdischen Partner verheiratet waren. Die sind zwar schikaniert und beruflich sabotiert worden usw. aber sie haben in Kärnten den Nationalsozialismus überlebt. Alle anderen Personen flüchteten entweder bzw. machen gelang die Flucht, oder sie bauten sich in anderen Ländern eine neue Existenz auf. Andere Fluchtversuche scheiterten und die Menschen wurden in unterschiedlichen Todeslagern zu Tode gebracht. Der erste Schritt war die Vertreibung aus Kärnten nach Wien.“

Zeitzeugin: In Speisekammer eingesperrt

Betroffen war auch die Familie von Elvira Friedländer. Sie war damals zehn Jahre alt und wohnte in der Gabelsbergerstraße: „Sie war mit ihrer Mutter alleine zu Hause, ihr Vater war schon vorher im KZ Dachau. Sie erinnert sich bis heute daran, dass eine Randalierergruppe in die Wohnung kam und sie in die dunkle Speisekammer gesperrt wurde. Sie konnte nicht sehen, was draußen in der Küche passierte. Sie hörte nur, wie die Leute herum schrien und ihre Mutter bedrohten. Sie hatte schreckliche Angst um sie und konnte nicht eingreifen. Erst als Ruhe einkehrte wurde sie aus der Speisekammer herausgelassen und sah, dass die Küche beschädigt worden war. Familienfotos waren zerrissen und ähnliche Dinge.“

Sie hatte oft die Möglichkeit, Elvira Friedländer persönlich zu treffen, obwohl sie heute in Tel Aviv lebt. Sie sagte dabei immer, dass ihr der Gesichtsausdruck ihrer Mutter heute noch präsent sei. Sie habe nach diesem Ereignis total verstört ausgesehen.

Betroffene erzählen: „Novemberpogrome“ 1938

„Sie taten als würden sie Auftrag erledigen“

Es gebe auch noch die Erzählung von der Familie Zeichner aus der Adlergasse, erinnert sich Denglmaier: „Da war auch die damals 17 Jahre alte Tochter Erna mit der Mutter alleine zu Hause. Auch hier war der Vater Moriz Zeichner bereits in Dachau. Er war im Juni 1938 auf dem Weg zum Briefkasten von der GESTAPO aufgegriffen worden. Sie erinnert sich, dass es an der Türe geläutet hatte: "Eine Gruppe von Männern trat ein und sie erinnert sich, dass diese so vorgingen, als würden sie einen Job erledigen. Sie hat gesagt, es war alles ganz ruhig und keine wilde Ausartung. Die Leute sind durch die Wohnung gegangen, haben unterschiedliche Dinge auf den Boden geworfen.“

Besonders sei ihr eine Person in Erinnerung geblieben, die sich nicht an der Zerstörung beteiligt habe: „Sie war zwar Teil dieser Gruppe, aber es war sehr auffällig, dass er mit dem Kanarienvogel gespielt und gesprochen habe. Er hat ansonsten nicht mitgemacht.“ Erna Zeichner starb vor ungefähr zwei Jahren in Israel. Auch ihr sei damals die Flucht gelungen, so die Historikerin: „Ihre Mutter und ihr Bruder wurden aber beide von den Nazis ermordet.“

Arisierung Geschäft

ORF

Werbung belegt Arisierung von ursprünglich jüdischen Geschäften.

Wenige Familien blieben wirklich komplett

Typisch für die jüdischen Familien in Klagenfurt sei, dass wenige von ihnen wirklich komplett blieben: „In den meisten Familien gab es einzelne Todesopfer und nur einem Teil der Familie gelang die Flucht.“

Schon nach dem Anschluss war es zu einer Arisierung und schrittweisen Entrechtung gekommen: „Die Juden durften gewisse Dinge nicht mehr tun. Es gab in den Zeitungen ständig neue Kundgebungen, was sie nicht mehr dürfen. Die durften zum Beispiel keine Fahrräder mehr besitzen oder nur zu bestimmten Uhrzeiten auf die Straße gehen. Sie durften keine Haustiere mehr besitzen und keine kulturellen Veranstaltungen mehr besuchen – zum Beispiel Theater und Kino.“ Den Betreibern wurden Konsequenzen angedroht, sollten sie – trotz des Verbotes – Juden Einlass gewähren.

Geschäfte und Firmen seien sehr rasch arisiert worden, sagt Danglmaier, Familien blieben zunächst noch in ihren privaten Häusern wohnhaft. Später wurde dann jüdischen Kindern der Schulbesuch untersagt und ab dem Frühling 1938 gab es erste Deportationen.

Gedenkveranstaltungen am Freitag und Samstag

Es gibt einige Gedenkveranstaltungen, zum Beispiel eine Mahnwache der jungen SPÖ in Klagenfurt ab 17.30 Uhr, an der auch LH Peter Kaiser teilnehmen wird. Am Samstagabend gibt es um 19.30 Uhr ein Gedenkkonzert im Klagenfurter Konzerthaus auf Basis der Texte des Tagebuches der Anne Frank mit dem Klagenfurter Madrigalchor.