Kinder werden motorisch immer ungeschickter

Jedes zweite Kind hat bereits motorische Probleme vom Schuhe-Zubinden bis zum Ausschneiden von Figuren. Kinder sollen wieder mehr matschen, im Sand spielen, beim Kochen und Schneiden helfen, Kekse ausstechen und basteln, sagen Werklehrerinnen und Ergotherapeutinnen.

„Was macht die Hand im Hirn“ lautete ein Vortrag an der Pädagogischen Hochschule. Es wurde hervorgehoben, dass Kinder nicht nur digital zukunftsfit gemacht werden sollen, sondern dringend auch Schulstunden mit Basteln und Werken verbringen sollen. Ergotherapeutin Heidi Weger hat immer mehr junge Patienten und Patientinnen, an denen sie feinmotorische Defizite beobachtet.

Viele Kindheitserinnerungen haben mit Basteln und Werken zu tun, ob es Kastanientiere, Weihnachtsengerln oder Herzkarten für den Muttertag sind. Doch viele Kinder machen das heute kaum noch, das führt zu einem Verlust der Fingerfertigkeiten. Andrea Reiter ist Fachkoordinatorin für Werken am Landesschulrat: „Viele Kinder können mit einer Schere nicht umgehen, sie können keinen Knoten, geschweige denn eine Masche machen. Da merken wir als Lehrerinnen ein hohes Defizit.“

Stricken Teddybären Handarbeit Wolle

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Handarbeiten, Werken, Basteln fördern das motorische Geschick

Handwerk wird immer weniger

Laut Ergotherapeutin Weger zeigt eine deutsche Bildungsstudie, dass 70 Prozent erhebliche Defizite im motorischen Bereich haben und dass eine Förderung in Vor- und Grundschulalter wichtig wäre. „In unserer Gesellschaft verliert das feinmotorisch Tätigsein an Bedeutung. Dadurch, dass Erwachsene weniger handwerken, schlägt sich das bei Kindern nieder.“ Bei Tests sieht man, dass ein Viertel des Hirns bei Arbeiten mit der Hand aktiv ist.

Für Werklehrerin Reiter ist daher das Werken extrem wichtig: „Die Kinder werden beim Werken mit vielen Kompetenzen ausgestattet, von der Mathematik bis zur sprachlichen Kompetenz. Sie er- und begreifen Dinge besser als auf einem zweidimensionalen Papier.“

„Gehirn kann nicht downloaden“

Weger sagt, ein Gehirn könne nichts downloaden und brauche die aktive Auseinandersetzung mit der dinglichen Umwelt. Studien hätten gezeigt, dass das Mitschreiben mit der Hand besser sei als das Eintippen auf eine Tastatur: „Mehr Gehirnareale werden aktiviert, Inhalte werden besser verknüpft und verstanden. Die Kinder merken sich das besser als über die Eingabe in einen Computer.“

Reiter ergänzt, es gebe eine Studie in Deutschland, wo eine Klasse in zwei Gruppen eingeteilt worden sei. Eine Gruppe habe vor dem Mathematikunterricht Werken gehabt, also mit der Hand gearbeitet. Die Vergleichsgruppe nicht. Am Ende des Jahres habe sich herausgestellt, dass die Gruppe, die kein Werken vor dem Rechnen hatte, schlechter abgeschnitten habe.

Kekse Backen Kinder Weihnachten

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Kinder einfach im Haushalt mitmachen lassen, das fördert auch das Selbstbewusstsein

„Keine klassischen Feinmotorikstörungen“

Viele Kinder haben laut Weger keine klassische medizinische Feinmotorikstörung, viele haben im Alltag einfach nicht die Möglichkeit, ausreichend zu matschen, im Sand zu spielen, Oberflächen zu ertasten und Erfahrungen mit Maßen und Gewichten zu sammeln.

In ihre Praxis kommen immer wieder Kinder, die ein großes Übungsdefizit haben: „Sie haben Probleme, mit dem Stift umzugehen, eine Schere zu halten, die Schuhe zuzubinden, sich anzuziehen, Knöpfe und Reißverschlüsse zu schließen und solche alltäglichen Fähigkeiten.“ Eltern können hier vieles tun: „Beim Kochen helfen, einen Obstsalat schneiden, Teig kneten und rollen, Kekse ausstechen. Der Alltag bietet viele Möglichkeiten, wo man Kinder einbinden kann. Das bietet viel feinmotorische Möglichkeiten.“

„Etwas herzustellen hebt den Selbstwert“

Werklehrerin Reiter sieht täglich, wie wichtig es für den Selbstwert der Kinder sei, selbst etwas zu produzieren, zu sägen und zu kleben. „Kinder kommen mit viel Material und Werkzeug in Berührung, mit dem sie gestalten können.“ Sie erhalten auch soziale Kompetenz, wenn sie einander helfen. Es sei zu befürchten, dass Gegenstände wie Werken gekürzt werden sollen, und man habe Sorge, dass das technische und textile Werken zu kurz komme. Eineinhalb bis zwei Stunden Werken pro Woche seien zu wenig, um Kindern feinmotorische Kompetenzen zu vermitteln.