Afritz ein Jahr nach der Murenkatastrophe

Vor einem Jahr ist der Tronitzerbach oberhalb von Afritz zur tödlichen Gefahr geworden. Zwei gewaltige Muren brachen binnen weniger Tage über den Ortsteil Kraa herein und führten neben Schlamm und Geröll auch Angst und Verzweiflung mit sich.

Vor einem Jahr herrscht im Gegendtal der Ausnahmezustand. Gleich zwei Mal binnen weniger Tage, am 29. August und am 4. September, müssen die Menschen um ihr Leben und Hab und Gut bangen. Der kleine Tronitzerbach wird nach Gewittern zu einem reißenden Strom.

Mure durch den Ortsteil Kraa

ORF

„Es war gewaltig, ein Jahrhundertereignis“

Schon bei der ersten Mure am 29. August sei es wild hergegangen in Kraa, erinnert sich Altbauer Erich Kaiser. So überraschend wild, wie er es zuvor nie erlebt habe. „Meine Schwiegertochter kam hereingelaufen und rief: Erich! Komm raus, der Bach hinter dem Haus geht über. Ich zog mich an, bin raus, da kam schon alles über die Wiese runter. Es war gewaltig, ein Jahrhundertereignis. Die größten Steine rollten einfach mit dem Wasser mit.“

Unter 70.000 Kubikmeter Geröll begraben

70.000 Kubikmeter Geröll und Schlamm werden nach Afritz geschwemmt. Es besteht Lebensgefahr. „Einmal ausrutschen und man wird mitgerissen, es ist ein Wahnsinn“, sagt Josef Ortner von der Feuerwehr Afritz damals in einem ORF Interview.

Mure durch den Ortsteil Kraa

ORF

Zivilschutzalarm und Evakuierung

Als vor der zweiten Mure Zivilschutzalarm gegeben wird, wissen alle, was auf sie zukommt. 160 Menschen müssen ihre Häuser verlassen und tatenlos zusehen, was passiert. Nur das Notwendigste kann zusammengepackt werden. Es dauert Tage bis klar ist, wie es weitergeht. Bundesheer, Feuerwehr und freiwillige Helfer kommen mit Schaufeln nach Afritz, das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft sind gewaltig.

Arritz Mure

ORF

„Tronitzerbach floss 24 Stunden auf mein Haus ein“

Christian Leitner besitzt ein Elektrounternehmen. Schon die erste Mure brachte viel Schlamm nach Kraa, dann wurde es jedoch noch schlimmer. „Im Hausinneren waren 40 bis 50 Kubikmeter betroffen, das Grundstück hat es mit ca. 2.000 Kubikmeter erwischt, die wieder freigelegt werden mussten.“ Das habe etwa sechs Tage gedauert. Noch heute sei das Mauerwerk feucht. „Mit der zweiten Mure floss der gesamte Tronitzerbach 24 Stunden lang auf mein Gebäude ein, das schlägt sich natürlich im Erdreich nieder. Bis das wieder trocken ist, dauert es seine Zeit.“

Garagentüre „wie Spielzeug“ eingedrückt

Sylvana Rauter versuchte am Tag der zweiten Mure, dem 4. September, zu retten, was noch zu retten ist und das Wasser vom Wohnhaus abzuleiten: „Unser Einfahrt war voll, bis zu den Fensterbänken.“

Afritz nach Schlammlawine

ORF/Florian Lederer

Die Familie baute zuerst noch Rinnen, um das Wasser zum Abfließen zu bringen. „Als wir aber sahen, dass die Mure kommt, sind wir nur noch schnell ins Haus gelaufen.“ Zuzusehen, wie solche Wassermassen auf einen zukommen, sei „kein lustiges Gefühl“, so Rauter. „Wir haben aus dem Fenster zugeschaut, wie die Garagentüre eingedrückt wurde, wie bei einem Spielzeug. Dann sind wir zu den Nachbarn hinüber gelaufen.“

Eingeschlossene von Hubschrauber gerettet

Später musste sie vom Polizeihubschrauber in Sicherheit gebracht werden. Zuerst musste ein Platz zum Landen gefunden werden, oberhalb des Hauses verlaufen Stromleitungen. „Der Hubschrauberflug war irre. Es gab nur einen kleinen freien Fleck, ich weiß bis heute nicht, wie man dort einen Hubschrauber landen kann.“

Bundesheer Afritz Assistenzeinsatz

ORF/Marco Mursteiner

Ausnahmezustand im Gegendtal: Das Bundesheer kommt, um zu helfen

Unfassbar, bis man es selbst erlebt hat

Jeder Bewohner von Afritz hat seine speziellen Erinnerungen an die Ereignisse. Eine Erinnerung ist aber allen gemeinsam. Rauter: „Ich habe mir eigentlich gar nichts gedacht, nur eines: jetzt weiß ich, wie sich die anderen fühlen, wenn eine Mure kommt. Man kann sich erst vorstellen, wie schlimm das ist, wenn man es erlebt hat.“

Hunderte Menschen aus ganz Österreich kamen in das Katastrophengebiet nach Afritz, um ihre Hilfe anzubieten. Die Ortschaft Kraa war in Schlamm und Geröll untergegangen. Bundesheer, Katastrophenzüge der freiwilligen Feuerwehren aber auch Privatpersonen nahmen die Schaufel in die Hand, um ihr Mitgefühl tatkräftig zu zeigen.

Afritz Aufräumen Mure

APA/Gert Eggenberger

Zivilschutzalarm als Bewährungsprobe für Feuerwehr

Mit der Auslösung des Zivilschutzalarms wurde auch für die Feuerwehrleute eine bis dahin ungekannte Dimension erreicht, so Zugskommandant Josef Ortner. „Man muss binnen kürzester Zeit so vieles bedenken. Wir wären heute viel besser darauf vorbereitet, als wir es damals waren.“

Der Zivilschutzalarm sei davor noch nie notwendig gewesen: Wo müsse evakuiert werden, wer übernehme die Verantwortung und wie könne der Rundfunk für die Durchsagen im Radio informiert werden? seien damals die drängendsten Fragen gewesen. „Das war alles nur in der Theorie vorhanden, nicht in der Praxis“, so Ortner. Als die zweite Mure kam, sei man bereits eine Woche lang ein „eingespieltes Team“ gewesen. „Aber ein Zivilschutzalarm ist trotzdem noch eine Dimension größer.“

Afritz Aufräumarbeiten Murenabgang

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„Dass der ganze Berg noch einmal kommt...“

Alle Feuerwehren des Abschnitts waren im Einsatz. Auch das Bundesheer sei sehr schnell zu Hilfe gekommen. Nach einer Woche habe man die schwersten Schäden schon beseitigt gehabt, dann kam alles anders. „Wir haben schon gewusst, dass es diesen Sonntag schlechtes Wetter geben wird. Wir haben mit Unterstützung des Bundesheeres einen Evakuierungsplan gehabt. Nur dass der ganze Berg noch einmal kommt, damit haben wir nicht gerechnet.“

Die KAT-Züge der Feuerwehr aus den verschiedensten Bezirken seien zu Hilfe gekommen. Die Aufräumarbeiten seien nur händisch zu bewältigen gewesen. „Es war eine große Unterstützung und man muss allen recht herzlich danken, die da waren“, so Ortner.

Junge Afritzer wollen zur Feuerwehr

Der Zusammenhalt in der Mannschaft sei durch die Katastrophe und die schiere Länge des Einsatzes über vier Wochen viel größer, als zuvor. „Bei der heurigen Jahreshauptversammmlung sind zwölf junge Leute zur Feuerwehr gekommen. Sie sagten uns, was ihr macht, gefällt uns, wir möchten euch helfen. Nachwuchssorgen bei der Feuerwehr müssen wir in Afritz keine haben.“

Verbauung Arbeiten Afritz

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Schutzmauer soll weitere Muren abhalten

Ein Jahr danach sind die Wunden noch nicht ganz verheilt. Um zwölf Millionen Euro wurde eine Schutzmauer aus Beton errichtet, die den Ortsteil Kraa vor weiteren Muren schützen soll. Die Stützmauer ist 250 Meter lang und 14 Meter hoch.

Verbauung Arbeiten Afritz

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Bürgermeister: Ereignisse sind großteils verarbeitet

Gras wächst dort, wo vor einem Jahr meterhoch nur Schlamm war. Der damalige Einsatzleiter war Bürgermeister Maximilian Linder. „Ich glaube, die Leute haben es zum Großteil verarbeitet“, sagt er. Bei der zweiten Mure löste Linder Zivilschutzalarm aus. Keine leichte Entscheidung, heute ist er dennoch froh, dass keine Menschen und Tiere zu Schaden kamen. Dankbar ist der Bürgermeister noch heute für die große Hilfsbereitschaft, auch von den 6.200 Spendern.

Unwetter Mure Afritz Kraa Bundesheereinsatz

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Auch Erinnerung an Hilfe und Mitgefühl bleibt

Viele Spuren sind beseitigt, ein Haus ist aber weiter unbewohnbar. Jedes Gewitter, jeder angekündigte Starkregen bringt nicht nur die Erinnerung an die Tage vor einem Jahr zurück - sondern auch an das große Mitgefühl und die Hilfe für Afritz und seine Menschen.