Hirnforscher: Die digitale Welt macht krank

Der Kärntner Neurobiologe Bernd Hufnagl, gefragter Führungskräftetrainer und Berater, warnt vor der „digitalen Welt“. Sie sei nicht „hirngerecht“, das hormonelle Belohnungssystem funktioniere nicht mehr. Das führe zu Frustration bis hin zum Burn-out. Man kann aber gegensteuern.

Das menschliche Gehirn befindet sich durch die technische Entwicklung in einem evolutionären Entwicklungsprozess, es muss sich von der analogen Welt auf eine digitale Hightech-Welt umstellen. Die rasante technische Entwicklung ist dem Hirn aber zu schnell, so entstehen sogenannte „Hirnfallen“.

Mit diesen Hirnfallen beschäftigt sich der Kärntner Neurobiologe Hufnagl, seit 2001 führt er ein Beratungsunternehmen: „Wir versuchen zu verstehen, wie die Arbeitswelt funktioniert und wie das Hirn in der Arbeitswelt funktioniert. Wir unterstützen Menschen, die dort funktionieren müssen, wo andere Ziele vorgeben. Sie verfolgen also Ziele, die nicht ihre eigenen sind und das ist gar nicht so einfach.“

Hufnagl berät Manager und Mitarbeiter internationaler Konzerne. Die Dynamik in solchen Konzernen durch Druck, Konkurrenz und Digitalisierung habe zugenommen, sagt er. „Hier läuft vieles, was nicht hirngerecht läuft.“

Befriedigung nach der Arbeit fehlt

Problematisch kann die technische Arbeitswelt auch für das Belohnungssystem des Hirns sein. „Manchmal fühlt man sich nach einem Arbeitstag gut, weil man das Gefühl hat, etwas geleistet zu haben, oder man bekommt Lob und Anerkennung.“ Dann passiert im Körper seit Hunderten Millionen Jahren das Gleiche - das „Glückshormon“ Dopamin wird ausgeschüttet.

Lebenslauf Bernd Hufnagl

Studien der Biologie und Medizin, langjähriger Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Zehn Jahre Hirnforschung an der Universität Wien und an der Universitätsklinik für Neurologie am Allgemeinen Krankenhaus Wien (Schwerpunkt: Emotionen und Gedächtnis). 15 Jahre Erfahrung in der Beratung, Implementierung, Organisation und Evaluierung professionellen betrieblichen Gesundheitsmanagements in national- und international tätigen Organisationen.

Wer, wie ein Handwerker, zeitnah erlebt, was er geleistet hat, erfährt ein Gefühl der Befriedigung. In der digitalen Welt sei das Geleistete aber nicht so offensichtlich, sagt Hufnagl: „Wenn man in Zahlen denkt und Tabellen lebt, das Handwerk nicht mehr kennt und kein Werkstück fühlt, der produziert weniger Dopamin.“ Das führe zu Frustration und Demotivation. Perfektionisten, die auch vom Lob andere abhängig sind, können sogar krank werden. Komme noch Kontrollzwang zur Persönlichkeit dazu, rede man von Burn-out. „Das entsteht durch Fallen im Belohnungssystem.“

„Dinge für sich selbst sichtbar machen“

Für die Hirnfallen der modernen Welt gibt es, so der Neurobiologe, „Lösungen, aber keine Patentrezepte“. Aufgrund der biologischen Grundausstattung des Menschen könne man den Fallen entkommen: „Man muss sich Dinge sichtbar und transparenter machen. Zum Beispiel Zettel zerknüllen, Dinge zu- oder aufmachen, was man eigentlich nicht mehr müsste. Aber dadurch gibt es wieder mehr Dopamin.“

Auch das Arbeitsprozesse ständig unterbrochen werden, etwa durch Mails, Anrufe und Meeting, sei Gift für das Belohnungssystem: „Laut einer deutschen Studie passiert es 57 Prozent der Arbeitnehmer mit Computerarbeitsplätzen, dass sie Arbeiten einfach vergessen. Sie finden noch geöffnete Files am PC, bevor sie nach Hause gehen, die sie vergessen haben, weiterzubearbeiten. Man wurde unterbrochen, abgelenkt, es kam ein Anruf oder ein Meeting dazwischen. Die Arbeitswelt wird fragmentiert.“

„Multitasking ist Gift“

Das „Gegengift“ sei Aufmachen und Zumachen. Wenn man unterbrochen werde, müsse man alle Dokumente wieder schließen und nicht offen lassen. „Ich vergleiche das mit Menschen, deren Leben aussieht wie eine große Kommode mit ganz vielen Schubladen, kleinen und großen. Da gibt es Menschen, die haben immer alle Schubladen aus Ängsten heraus offen und besuchen alle Baustellen. Andere machen es anders, immer wenn sie sich um etwas kümmern, schließen sie alle, die noch offen sind.“

Permanentes Multitasking führe jedenfalls zu Frustration, Jammern und Zynismus. In der „postfaktischen Jammerkultur“ drehe sich alles darum, dass einem - im Internet - jemand zustimme und dadurch das Liebes- und Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet werde.

Das eigene Leben von außen betrachten

Ein weiteres Rezept gegen die Fallen der digitalen Welt ist altbewährt: „Wir alle brauchen Muße. Wer hat während der Arbeit nicht schon taggeträumt, denn das sollte man tun.“ Viele Menschen würden nur noch „funktionieren“. Deswegen sei es ratsam manchmal „von außen“ auf sein Leben zu schauen und zu „hinterfragen, warum man tut, was man tut“. Der Klassiker der Fehler: Im Urlaub am Strand die Firmenmails checken.

Manche Menschen seien gefangen in ihrem Leben und hätten keine Außenperspektive, dadurch könne man sich nicht mehr anpassen. Das sei aber nötig, denn die Welt werde immer agiler und komplexer. Gar keine leichte Aufgabe, vielen Menschen falle es schwer, über sich und ihr Leben nachzudenken.

Faszination schon als Teenager

Schon im Teenageralter begann sich Hufnagl für das menschliche Gehirn zu interessieren. Letztlich sei es auch das Interesse, sich selbst besser kennenzulernen, das betreffe nicht nur Hirnforscher, sondern auch Ärzte und besonders Psychologen. „Wenn man lernt, zu verstehen, macht das alles noch spannender. Denn jede Antwort wirft fünf neue Fragen auf.“ Nur der Laie denke, man nähere sich einem objektiven Ist-Zustand. Das sei das Spannende an der Forschung: „Die Wirklichkeit wird man nie ganz begreifen.“ Trotzdem lerne man immer mehr und erlange neue Erkenntnisse.

In den 90er Jahren habe er dann das riesige Privileg gehabt, einen der ersten Hirnscanner am AKH Wien zur Verfügung zu haben: „Man konnte damals in die tiefen Hirnstrukturen hineinschauen, um ein bisschen zu verstehen, wie Emotionen und Gedächtnis funktionieren.“ Letztlich entschied sich Hufnagel dann, aus der Forschung auszuscheiden und sein Wissen weiterzugeben.

Gegenthesen - der Motor der Wissenschaft

Ziel brauche man in der Wissenschaft keines, meint Hufnagl, schon Sir Karl Popper habe gesagt, die Hypothesen anderer müsse man widerlegen und falsifizieren: „Das klingt zwar destruktiv, ist aber der Motor in der Wissenschaft.“

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