Unveröffentlichte Gedichte von Christine Lavant

365 der 484 Gedichte im dritten Band „Christine Lavant - Gedichte aus dem Nachlass“ sind Neuerscheinungen, die zu Lebzeiten der Dichterin nicht veröffentlicht wurden. In dem neuen Band ist auch die erste - nie gedruckte - Gedichtsammlung enthalten.

„Nacht an den Tag“ war der erste Gedichtband der Kärntner Schriftstellerin aus dem Jahr 1948. Er war zwar gesetzt, wurde aber nie gedruckt. Eines zeigen diese Gedichte ganz klar, dass die 1915 Geborene viel mehr war, wie es der deutsche Dichter Thomas Kling betonte, als eine „in ihrer Dichtung bloß ‚aufbegehrende‘ katholische Schmerzensfrau.“

Anschreiben gegen Krankheit und Armut

1915 bei St. Stefan im Lavanttal geboren, wusste die Dichterin nur zu gut, wovon sie schrieb, wogegen sie auch anschrieb. Geboren wurde sie als neuntes Kind eines Bergarbeiters. Sie war immer wieder schwer krank und lebte in ärmlichen Verhältnissen. Es entstand trotzdem ein Werk, das es mehr als verdient, nochmals neu gelesen und jetzt mit dem dritten Band der Werkausgabe auch erstmals gelesen zu werden.

Christine Lavant dritter Gedichtband

Wallstein Verlag

Wallstein Verlag. Insgesamt ist eine Werkausgabe von vier Bänden geplant.

Alles andere als naive Dichterin

Im Band „Die Nacht an den Tag“ zeigt sich trotz der Nähe zu Rainer Maria Rilke, dass Christine Lavant alles andere war als eine naive Dichterin aus der Kärntner Provinz, sagte Herausgeberin Doris Moser: „Man sieht auch, dass viele der Gedichte grundsätzliche Fragen stellen an die Möglichkeit oder die Aufgabe, die Dichtung für Lavant übernehmen sollte, gerade zu Beginn ihrer dichterischen Laufbahn.“ Es sei die Überlegung: Was kann Dichtung? Was ist die Poesie? Ist das Weltbewältigung, ist das Schmerzbewältigung? Habe ich überhaupt die Worte dafür, das zu sagen, was ich sagen möchte?

Alles infrage gestellt

„Sein Herz ist bloß“ ist da in dem Gedicht „Der Dichter“ zu lesen. Das ist durchaus auch als Selbstauskunft zu verstehen. Aber gerade aus diesem Grund erschienen viele der Gedichte zu Lebzeiten nicht. Über den Grund meinte Herausgeberin Moser: „Vieles schien ihr eine zu große Selbstpreisgabe zu sein, weil sie immer aus ihrem inneren Erleben geschöpft hat, ohne natürlich dabei stehen zu bleiben.“ Auch die Angst davor, sich völlig zu entblößen in der Dichtung, habe sich zunehmend verstärkt. Das sei sicher mit ein Grund, warum sie in den 1960er Jahren fast gar nichts mehr zur Veröffentlichung freigegeben habe, obwohl sie immer wieder Anfragen bekommen habe, so Moser.

Viele der jetzt erstmals veröffentlichten Gedichte wollen gar nicht in das Bild der „katholischen Schmerzensfrau“ passen. Christine Lavant stellt alles infrage, sich sowieso immer und immer wieder, aber auch Gott: „Verflucht! - Nun müssen wir schon wieder brüten: Ob dieser Himmel draußen wirklich sei?“

Gerade die Gedichte aus dem Nachlass sind beim Lesen eine Herausforderung, aber und vor allem auch eine Aufforderung zur Konfrontation mit sich selbst. Es geht in diesem Band um die großen Themen des Lebens als Mensch, als Frau. Gedichte voll von Schmerz aber immer eigentlich auch Liebesgedichte, nur eben ganz anders als gewohnt.

Liebe und Sexualität als Themen

Doris Moser sagte dazu: „Viele der Gedichte Christine Lavants sind in der Tat Liebesgedichte, aber in der ganzen Komplexität, die dieser Begriff auch mit sich bringt. Es ist die körperliche Liebe, die Sexualität damit genauso gemeint, wie die Liebe zu Gott, die Liebe zu einem anderen Menschen, aber eben auch die Liebe zu sich selbst.“ In vielen Fällen sei diese Liebe eine Utopie geblieben, daraus resultieren auch die Einsamkeit, der Schmerz, der Ausdruck des Schmerzes, der immer wieder in ihren Gedichten zum Vorschein komme.

Christine Lavant

ORF

Christine Lavant, immer mit Kopftuch

Unglaubliche Kraft der Gefühle

Schmerz, Wut, Verzweiflung, Sehnsucht, Liebe, Begehren, Lästergebete, Verfluchungen: Gedichte, die mit einer unglaublichen Kraft geschrieben wurden. Dichtung als Teil des Lebens, Leben und Schreiben als untrennbare Einheit. Trotzdem alles andere als die einfache Verwandlung von Leben, von eigenen Erfahrungen in Literatur.

„Wer dich fragt um die Wunde der Welt, dem zeig Hiroshima“. Mit diesen Zeilen beginnt eines der außergewöhnlichsten Gedichte dieses Bandes.

Schmerzerfahrung universalisiert

„Wenn Lavant sich historischen, politischen Ereignissen zuwendet in den Gedichten, was sehr selten der Fall war, dann immer in einer Engführung des äußeren Erlebens oder des äußeren Ereignisses mit dem inneren. In diesem Fall mit der Zerstörung und dem Schmerz. Und das glaube ich, ist auch eine Stärke ihrer Gedichte, dass sie Schmerz und Leiderfahrungen, aber eben genauso die Liebeserfahrungen universalisiert.“

Ein Leben voller Krankheit

Christine Lavant, geboren 1915 in Großedling bei St. Stefan im Lavanttal, gestorben 1973 in Wolfsberg. Als Neugeborenes litt sie unter der Hautkrankheit Skrofulose und erblindete fast. Mit drei Jahren bekam sie eine Lungenentzündung. Als Zwölfjährige kam die Skrofulose wieder, außerdem bekam sie Lungentuberkulose. Durch eine Röntgenbestrahlung gesundete sie. Nach einer Mittelohrentzündung wurde sie auf einem Ohr fast völlig taub. Später litt sie unter Depressionen.

Fabjan Hafner und Doris Moser versammelten in diesem Band bewusst nur jene Gedichte, die von Lavant selbst abgetippt wurden und für sie damit als fertig galten. Abgetippt und dann gemeinsam mit Briefen verschenkte Lavant viele Gedichte. Sehr viele an den Maler Werner Berg. Die ersten überhaupt schon sehr früh aus Dankbarkeit an den Klagenfurter Augenarzt Adolf Purtscher.

Lavant bewahrte kaum Durchschläge der verschenkten Gedichte auf. So versammelt dieser Band neben Gedichten aus dem eigenen Nachlass auch Gedichte aus mehreren ganz verschiedenen Beständen, darunter 365 Erstveröffentlichungen. Es gilt, eine bereits 1973 verstorbene Schriftstellerin zu entdecken, die viel mehr zu sagen hatte, als so mancher hören wollte, wie auch in dem Gedicht „Höllenfahrt“:

„Die Demut ist ein dürres Pferd
Verzicht ein schlechter Wagen
doch wer voll Mut zur Hölle fährt
kann Ross und Kutsche tragen.“