Schon seit Wochen laufen in einer großen Lagerhalle an der Ortseinfahrt von Muggia die Vorbereitungen auf den Sommerkarneval. Zutritt zu den „Heiligen Hallen“ des Carneval de Muja, wie der Fasching im örtlichen Dialekt genannt wird, haben nur Mitglieder der Gilden. Streng geheim ist, was hinter verschlossenen Türen passiert. Bis zum letzten Abdruck wird geklebt, bemalt und vorbereitet.

„Voga Mata“ als Höhepunkt
Diesmal geht es darum, die „zattere“, also die Floße, für die „Voga Mata“ zu dekorieren. Es handelt sich dabei um eine im wahrsten Sinne des Wortes verrückte Regatta mit ganz eigenen Regeln. Sie gilt als der Höhepunkt des närrischen Treibens im Sommer.

Luana Brazzati zählt mit ihren 65 Jahren zu den etwas älteren Teilnehmerinnen, aber „der Karneval hält mich jung“, sagt sie. Für sie ist der Karneval jedes Jahr ein Fixpunkt, und das ohne Pause, seit sie neun Jahre alt war. Heuer wird sie mit ihren Freundinnen im – natürlich noch streng geheimen – Herzchenkostüm in See stechen.

„Natürlich gewinnen die Ersten, die ins Ziel gehen. Wir gehen es mit meinen Freundinnen mittlerweile etwas langsamer an, wir sind ja auch nicht mehr ganz so jung. Es geht uns darum, einfach dabei zu sein. Wir haben auch so unseren Spaß“, sagt Luana Brazzati von der Compagnia „Lampo“.
Muggesani haben besonderes „Karnevals-Gen“
Doch wie kommt es eigentlich, dass sich die Muggesani so gerne dem närrischen Treiben hingeben? Mario Vascotto, Präsident des „Carneval de Muja“ sagt, dass sie – wahrscheinlich wegen der langen venezianischen Zugehörigkeit – über das besondere „Karnevals-Gen“ verfügen. „Dokumente aus dem Jahr 1420, als Muggia noch zu Venedig gehörte, belegen, dass das damalige Stadtoberhaupt all jenen 30 Denare zahlte, die mit musikalischen Darbietungen das Volk unterhielten“, so Mario Vascotto.

„Im Laufe der Jahrhunderte schlief dieser Brauch dann ein, bis er 1954 – vom damaligen Bürgermeister – mit einem eigenen Umzug wiederbelebt wurde.“

Venezianische Einflüsse noch heute sichtbar
Die venezianischen Einflüsse sind noch heute bei einem Stadtbummel durch Muggia erlebbar. Außergewöhnlich ist das Löwen-Relief am Hauptplatz, das sich von den sonstigen Bildnissen dieser Art – wie wir sie zum Beispiel aus Venedig kennen – unterscheidet: Hat der venezianische Löwe ein offenes Buch vor sich, stand das für Frieden. Zu Zeiten des Krieges war das Buch geschlossen und er hielt mit einer Pfote ein Schwert.

„Hier ist es ein Zwischending, weil wir an der Grenze zweier Imperien sind. Das Buch ist aufgestellt und geschlossen – was dafür steht, dass in einer Grenzregion wie dieser immer Auseinandersetzungen vorkommen können. Es kommt immer auf die aktuellen Entwicklungen an“, sagt Bürgermeister Paolo Polidori.
Sendungshinweis:
„Servus, Srecno, Ciao“, 5.8.23
Heute geht es in Muggia zum Glück friedlich zu, auch wenn die Stadt ab kommendem Dienstag wieder im Ausnahmezustand ist. Eine Woche lang steht das Feiern im Mittelpunkt. So will es die Tradition des „carnevale estivo“, des Sommer-Karnevals. Bis 15. August steht am Piazzale Caliterna jeder Abend unter einem anderen, fantasievollen Motto. Täglich ab 18.30 Uhr geht es bei den Imbissbuden los – ab 21.00 Uhr stehen Musik und Unterhaltung bis spät in die Nacht auf dem Programm.
20.000 Besucher erwartet
Damit alles glatt läuft gibt es ein Organisationsteam mit 250 Mitgliedern, dazu mit Nicola Delconte einen eigenen Karnevals-Stadtrat. Mehr als 20.000 Besucher kommen jedes Jahr für die ausgelassenen Faschings-Feste im Winter und Sommer nach Muggia.
"Nicht nur aus touristischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht sind sie wichtig für unsere Stadt. Wir schätzen, dass viele Betriebe hier gut 20 Prozent ihrer Jahreseinkünfte während des Winter- und des Sommerkarnevals machen.“

Jede Gilde betreut eigenen Kiosk
Auch für die acht Faschingsgruppen selbst sind die Einnahmen wichtig. Auf 300.000 Euro schätzen die Organisatoren den Kostenaufwand. An die 2.000 Mitglieder legen im Schnitt um die 200 Euro pro Kopf alleine für ihre Kostüme hin.
„Jede Gilde hat beim Sommer-Karneval einen eigenen Kiosk mit einem speziellen Menü: Süßspeisen, Fisch, Brötchen usw. Alle arbeiten freiwillig. Die Einnahmen werden dann für den nächsten Karneval im Winter herangezogen“, so Karnevalspräsident Mario Vascotto.
Faschingsmuseum zeigt Schätze vergangener Jahrzehnte
Zwar werden die meisten Requisiten – so gut es geht – wiederverwertet – also in ihre Bestandteile zerlegt und dann wieder für neue Kreationen herangezogen. Doch viele sind echte Liebhaberstücke und fast zu schade dafür. So entstand vor einiger Zeit auch ein eigenes Faschingsmuseum in Muggia, wo Erinnerungen an die vergangenen Jahrzehnte aufbewahrt werden und besichtigt werden können.
Vascotto: „Gewinnen ist alles“
Nach dem Fasching ist aber wieder vor dem Fasching und auch im kommenden Jahr wird sich Muggia wieder in einen Hotspot für gute Laune und phantasievolle Maskierungen verwandeln: Am 11. Februar 2024 findet zum 70. Mal der traditionelle Umzug statt, sagt der „Chef“ der Narren aus Muggia: „Unser Karneval ist ein Straßentheater. Jede Gruppe muss ein Thema wählen und eine Choreografie mit Musik und passenden Kostümen zusammenstellen. Auch der Umzugswagen fließt in die Bewertung ein. Wer diese vier Anforderungen am ehesten erfüllt, gewinnt den Umzug.“
Falsche Bescheidenheit ist seiner Meinung nach aber fehl am Platz. „Wir müssen einmal mit dem Vorurteil aufräumen, dass Mitmachen alles ist. Das stimmt nicht. Gewinnen ist alles. Wer teilnimmt, das haben alle schon bald wieder vergessen. So war das ja auch bei der Mondlandung – nur an den ersten Menschen am Mond erinnern sich alle, von den anderen weiß keiner mehr den Namen.“
Acht Gilden sorgen für abwechslungsreiches Programm
Apropos Namen: Die acht Gilden aus Muggia heißen Bellezze Naturali, Brivido, Bulli e Pupe, La Bora, Lampo, Mandrioi, Ongia und Trottola. „Jede Gruppe hat 200 Statisten und eine Band. Insgesamt sind es an die 2.000 Mitwirkende beim Umzug, der vier Stunden dauert. Jede Gruppe macht einen Haupt-Wagen und drei Beiwagen. Also gibt es jedes Mal 24 Wägen und 200 Statisten pro Karnevalsgruppe“, sagt Mario Vascotto.

Ganz Muggia ist also auf den Beinen: „Von den rund 13.000 Einwohnern machen 80 Prozent beim Fasching mit. Es sind nicht nur die, die kostümiert bei den Umzügen mitgehen. Die ganze Familie ist dabei – Vater, Mutter und Großeltern.“
Auch Mario Vascotto selbst hilft mit seinen fast 80 Jahren immer noch mit, wo er kann – zum Beispiel, wenn es etwas zu zeichnen gibt oder Kostüme hergerichtet werden müssen. „Viele fertigen auch zu Hause Hüte oder Masken an. All das bekommen die anderen erst dann am Tag des Umzuges zu sehen. In der Halle arbeiten wir zwar alle zusammen an unseren Wägen für den Umzug – aber das gesamte Drumherum ist bis dahin eine Überraschung“, so Mario Vascotto.