Abendansicht von Novi Sad
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Kulturhauptstadt Novi Sad

Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass es heuer drei europäische Kulturhauptstädte gibt: Kaunas in Litauen, Esch-sur-Alzette in Luxemburg und Novi Sad in Serbien. Die Stadt am Ufer der Donau im Norden Serbiens hat eine bewegte Geschichte. Verschiedene Ethnien hinterließen im Laufe der Jahrhunderte ein reiches kulturelles Erbe.

Mehr als 20 Minderheiten leben derzeit in der Stadt, wo es vier Amtssprachen gibt: Serbisch, Ungarisch, Slowakisch und Rusinisch. Die Rusinen sind eine ethnische Gruppe, die hauptsächlich im ukrainischen Transkarpatien und in der östlichen Slowakei beheimatet ist. Im Zuge der österreichischen Rekolonisation des in den Türkenkriegen zerstörten südlichen Pannonischen Beckens im 18. Jahrhundert kamen Rusinen aber auch in die heutige serbische Woiwodina. Im Gegensatz zu Transkarpatien, wo das Rusinische als ein Dialekt des Ukrainischen gilt, ist Rusinisch in der östlichen Slowakei und in Serbien als Standardsprache kodifiziert, allerdings unterscheiden sich der slowakische und der serbische Standard.

Auch Menschen deutscher, kroatischer und jüdischer Abstammung bevölkern die Viertel von Novi Sad. Als die Stadt noch unter österreichischer Herrschaft stand wurden die Katakomben der Festung Petrovaradin erbaut. Sie sind eine einzigartige Errungenschaft der Ingenieurskunst des 18. Jahrhunderts.

Katakomben dienten der Verteidigung

Errichtet wurden sie, um den osmanischen Vormarsch zu stoppen, erklärt Historiker Petar Djurdjev: „Die unterirdischen Katakomben erstrecken sich auf 16 Kilometer, unter der Festung. Sie diente der Verteidigung. Ein Kilometer dieses unterirdischen Tunnels wird vom Historischen Museum von Novi Sad verwendet. Die Leute können hier mehr über die militärische Taktik und Militäringenieurswesen von damals erfahren. Dieses ist sozusagen ja auch das Schlüsselelement für diesen Bau.“

Auch die griechische Gemeinde prägte die Stadt stark. Im 18. Jahrhundert kamen die ersten Griechen nach Novi Sad. Ihre Gemeinschaft war wohlhabend und stark. Bezeichnend für ihren Einfluss ist die Tatsache, dass eine der Hauptstraßen von Novi Sad auch „griechische Schulstraße“ genannt wird. Die Aufnahme von Migranten aus dem Ausland brachte Novi Sad irgendwann ihren Spitznamen als „Stadt der Flüchtlinge“ ein.

Das Miteinander in Vordergrund rücken

Als Kulturhauptstadt Europas will sie heuer das Miteinander in den Mittelpunkt rücken, sagt Nemanja Milenković, Direktor der Stiftung „Kulturhauptstadt Novi Sad“: „Novi Sad ist die kleinste europäische Stadt an der Donau. Gleichzeitig hat sie aber die meisten Brücken. Elf sind es insgesamt. Acht befinden sich unter Wasser und nur drei über dem Fluss. Ein Zeichen, wie dynamisch und brutal die Geschichte von Novi Sad ist. Diese Brücken sind ein wichtiges Zeichen. Sie stehen dafür, dass wir uns mit anderen verbinden – nicht nur in der Stadt, sondern auch mit den Menschen aus anderen europäischen Ländern“, sagt Milenković.

Theateraufführung von brut Wien
ORF/brut Wien
Austausch von Kulturschaffenden

Was bringt Zuschauer zum Mitmachen

Unlängst fand in Novi Sad auch ein Austausch von Kulturinstitutionen aus ganz Europa statt. Ziel war es, herauszufinden, wie die Zuschauer und insbesondere auch junge Menschen mehr eingebunden und sogar zum Mitmachen angeregt werden können. 19 Mitglieder aus 15 Ländern waren bei dem Ideenaustausch dabei. Sie sind Teil des Netzwerks „Be SpectACTive!“, entstanden durch ein EU-Projekt, sagt Kurator Luca Ricci. Ziel ist es, nicht nur den Austausch zwischen den unterschiedlichen Institutionen im Kulturbereich zu intensivieren.

Sendungshinweis:

Servus, Srecno, Ciao 23.4.2022

Ein wichtiger Faktor ist auch das Publikum. Es soll in Entscheidungen eingebunden und aus seiner meist passiven Rolle befreit werden, sagt Ricci. „In Italien werden sie als ‚visionari‘, also Visionäre bezeichnet und in Belgien ‚compañeros‘, also Gefährten, Begleiter.“ Der Name spiele keine Rolle. „Es geht darum, dass einfache Theater- oder Tanzliebhaber, also keine professionellen Mitglieder dieser Bereiche, die Aufgabe bekommen, einen Teil des Programms von Festivals oder an Theatern, die Teil des Netzwerks sind, selbst auszuwählen.“

Wie entsteht ein kulturelles Werk

Projektdramaturgin Eva Wolfesberger von „brut Wien“ erklärt, wie diese aktive Zuschauerbeteiligung beim Publikumsclub BEATE funktioniert. Das Experimentieren und Ausprobieren bringe interessante Ergebnisse, sagte Wolfesberger: „Es muss nicht immer als Resultat das Perfekte am Ende stehen, sondern auch dieses Öffnen der verschiedenen Arbeitsschritte und das Anschaulichmachen: Was heißt das, eine künstlerische Arbeit zu produzieren? Das ist in diesen Formaten einfach sehr gut möglich.“

Ansicht von Novi Sad
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Der Titel Kulturhauptstadt bringt Novi Sad viel aufmerksamkeit

Die Projektteilnehmer kommen aus unterschiedlichen Bereichen – von Zirkusbetreibern über fixe Theaterbetriebe bis hin zu zeitgenössischen Tanzzentren oder internationalen Großfestivals, sagt Kuratorin Giuliana Ciancio. Genau diese Vielfalt der Zugänge stelle einerseits eine Herausforderung dar. Andererseits biete sie auch einen besonderen Mehrwert. Auch wenn das Projektende nahe – man wolle weiterhin Kontakte am Kultursektor in ganz Europa intensivieren.

Erfreut über Aufmerksamkeit

Kulturarbeiterin Marija Popovic aus Novi Sad brachte bei der „Be SpectACTive!“-Konferenz ebenfalls ihre Erfahrungen ein: Eine Gruppe junger Leute durfte beim örtlichen Theaterfestival mitmischen und hieß diese Möglichkeit zur Mitbestimmung willkommen. Erfreut sei man generell über die Aufmerksamkeit, die Novi Sad als Europäische Kulturhauptstadt derzeit zuteil werde. Generell sei eine positive Stimmung spürbar, sagt Popovic. Auch wenn die Stadt, in der Menschen 36 ethnischer Zugehörigkeiten leben und in der sechs Sprachen offiziell gesprochen werden es gewöhnt sei, dass sich dort viel tue.

Novi Sad sei eine Festival-Stadt, wo einander regelmäßig Kulturinteressierte aus allen Ecken der Welt treffen. Heuer sei die Stadt eben ein noch größerer Anziehungspunkt und man werde die Chance nutzen, interessante Projekte einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren, so die Kulturarbeiterin.