Kreuzfahrtschiff in der Lagune
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Venedig: Massentourismus ade

In Venedig ist ein Fahrverbot für Kreuzfahrtschiffe verhängt worden. Der Kärntner Martin Kummer ist selbst oft als Reiseleiter dort unterwegs und will den Urlaubern einen etwas anderen Blick auf die Lagunenstadt ermöglichen. Er ist überzeugt, dass nachhaltiger Tourismus funktioniert.

Seit Jahren wird darüber gestritten, ob die Kreuzfahrtschiffe Umwelt und Substanz der Stadt zerstören. Auf nur noch etwa 50.000 Einwohnerinnen und Einwohner kommt die UNESCO-Welterbestadt. Dafür nahm der Tourismus bis zum Ausbruch der Coronavirus-Pandemie im vergangenen Jahr kontinuierlich zu, Millionen Menschen kamen mit Kreuzfahrtschiffen in die Stadt. 2019 wurden laut der Region rund 13 Millionen Übernachtungen registriert.

Kreuzfahrtschiff überragt Ausflugsschiff
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Die Kreuzfahrtriesen überragen alles

Von Kreuzfahrt-Riesen gerammt

Immer wieder kommt es auch zu unliebsamen Begegnungen mit den Kreuzfahrt-Riesen, die die für Flusskreuzfahrten gängigen Schiffe um gut 30 Meter überragen. Vor zwei Jahren kam es im Giudecca-Kanal zu einem solchen Zwischenfall bei einer Ausschiffung, an die sich der gebürtige Kärntner Martin Kummer bis heute erinnert: „Dieses Schiff riss uns dann quasi von der Spitze an aus unserer Verankerung. Wir hatten sehr viel Schaden gehabt und mussten ganze Saison auf dieses Schiff verzichten. Es kam Gott sei Dank niemand ernsthaft zu Schaden. Es gab vier, fünf Verletzte an Bord.“ Die meisten seien schon von Bord gegangen, aber die, die noch auf dem Schiff waren hätten einen Riesenschreck bekommen.

Martin Kummer auf einem Kärntner Markt
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Martin Kummer vermisst sein Venedig

Kreuzfahrtriesen müssen künftig ausweichen

Für Kummer ist es ein begrüßenswerter Schritt, Kreuzfahrtschiffe aus der Innenstadt von Venedig zu verbannen. Er schränkt aber ein, dass er prinzipiell nichts gegen Leute habe, die ihren Urlaub auf großen Kreuzfahrtschiffen verbringen. Zu den Kunden seines Arbeitgebers, der Flusskreuzfahrten im gehobenen Preissegment anbietet, zählen vorwiegend Reisende aus Amerika oder Asien.

Kreuzfahrtschiff in der Lagune
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Diese Bilder sind in Venedig künftig nicht mehr zu sehen

Nachhaltiger Kreuzfahrt-Tourismus

Es gebe zwei Arten von Tourismus – auch in der Lagunenstadt Venedig. Er wollte mit seiner Arbeit zur Bewusstseinsbildung der Urlauber beitragen. Man solle die Stadt oder die Gegend respektieren, was seiner Ansicht nach beim Massentourismus eher wenig der Fall sei. Nachhaltiger Kreuzfahrt-Tourismus sei seiner Erfahrung nach vielfach auch eine Kostenfrage. Qualität habe letztendlich auch ihren Preis – aber: „Ich glaube nicht, dass man überall sein muss, ich glaub nicht, dass man die ganze Zeit unterwegs sein muss. Ich würde sagen: Weniger ist mehr. Das ist ein Stehsatz – aber in dem Fall ist er sehr angebracht. Man wird sehen.“

Die anderen Seiten von Venedig

Kummer kommt als Kreuzfahrtdirektor mit Flusskreuzfahrten immer wieder in die Lagunenstadt. Nicht nur die Unterhaltung an Bord zählt zu seinen Aufgabengebieten, sondern auch die Abwicklung der Landausflüge. Wichtig ist ihm dabei, den Urlaubern auch Seiten von Venedig zu zeigen, die „Otto Normaltourist“ sonst meist nicht zu sehen bekommt – zum Beispiel: „Wir gehen in die Basilica San Marco – aber wir machen das nicht am Tag. Wir gehen am Abend hin. Sie wird extra für uns aufgesperrt. Kostet natürlich etwas, aber für die Gäste ist das ein einmaliges Erlebnis. Du gehst dort rein – stehst in keiner Schlange und bist quasi der Einzige drinnen. Das ist natürlich ein Erlebnis, das die Meisten nicht vergessen.“

Martin Kummer im Interview
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Martin Kummer ist Reiseleiter und zeigt seinen Gästen gerne andere Seiten Vendigs

Man vermeidet Hauptverkehrszeiten

Zu den Orten, die Martin Kummer mit Reisegruppen ansteuert, zählt auch die Lagune von Venedig: „Die Gezeiten, die verschiedenen Meeresströmungen, die dann in die Lagune rein kommen. Das alles hat einen Einfluss auf unsere Parkposition, wo wir stehen.“ Insgesamt werde darauf Wert gelegt, Hauptverkehrszeiten weitgehend zu vermeiden: „Wir haben unseren Reiseplan so darauf abgestimmt, dass wir nicht mit dem Hauptverkehr in Venedig konkurrieren. Der Giudecca-Kanal ist einer der meist frequentierten Wasserstraßen in ganz Italien. Da muss man natürlich immer vorsichtig sein“, sagte Kummer.

Sendungshinweis:

Servus, Srecno, Ciao 10.4.2021

Venedig: Existenz und große Liebe

Während er in „normalen“ Jahren zwischen März und November rund die Hälfte der Zeit dienstlich in Venedig befindet ist Kummer nun schon seit Ende 2019 pandemiebedingt auf „verlängertem Heimaturlaub“ in Kärnten. Vorerst sind bis Mai weder in Venedig, noch im Rest Europas Kreuzfahrten anvisiert: „Die Sehnsucht nach Venedig ist sehr groß. Die Sehnsucht nach einem Gehaltsscheck ist natürlich auch sehr groß. Aber ich hoffe, dass die Pandemie bald einmal vor bei ist und dass wir dann wieder ganz normal unserer Arbeit nachgehen können. Für mich ist es so, dass es einerseits Existenz ist, andererseits auch große Liebe“, sagt Martin Kummer.

In der Lagunenstadt stehen derzeit die Jubiläumsfeierlichkeiten ihrer Gründung vor 1.600 Jahren im Mittelpunkt – der Beginn der venezianischen Staatswerdung und der Beginn der legendären Geschichte Venedigs, die ungebrochen Besucher aus aller Welt in ihren Bann zieht.