Buchcover Arigato
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Kultur

Buchtipp: Schicksal einer Überlebenden

In ihrem aktuellen Roman „Arigato“ befasst sich die gebürtige Kärntnerin Ursula Wiegele mit einer Jugendlichen aus Venzone/Peuscheldorf/Pušja ves, die nach dem Erdbeben 1976 bei Verwandten in Villach unterkommt.

Villach weckt in Ursula Wiegele Kindheitserinnerungen. Eine Verbindung, die für die Autorin nach wie vor stark spürbar ist, auch wenn sie seit Jahren in Graz lebt. Seit sie sich erinnern kann, waren die Nachbarregionen für sie zum Greifen nahe – allerdings mit gemischten Gefühlen: „Marktbesuche in Tarvis/Tarvisio/Trbiž waren bei uns an der Tages- bzw. Samstagsordnung. Wir fuhren mit dem Zug dorthin. Wenn es im Sommer nach Lignano ging führen wir meistens schnell durch das Kanaltal durch.“

Für sie stellte dieses einen Ort der Enge dar. „Es ist mir vorgekommen, da sind alles so arme Leute und es waren überall diese verrosteten Blechdächer. Es war sehr bedrückend für mich und ich habe eigentlich erst sehr viel später verstanden, was da alles passiert ist.“

Ursula Wiegele Autorin
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Autorin Ursula Wiegele

Eigene Biografie bot Anhaltspunkte für „Zeitreise“

Ursula Wigele setzte sich intensiv mit der Geschichte der Nachbarregionen auseinander – für ihr aktuelles Buch besonders mit dem Kanaltal. Hauptperson ist Vera aus Venzone/Peuscheldorf/Pušja ves – am Eingang des Eisentales, der Fortsetzung des Kanaltales. Eine Jugendliche, die nach dem schweren Erdbeben von 1976 obdachlos wird und bei Verwandten in der Kanaltalersiedlung in Villach-St. Leonhard unterkommt.

„Vera ist 1976/1977 genauso alt, wie ich damals war. In Villach kannte ich natürlich alles, was damals los war. Vera ist dann in Villach ans Gymnasium gekommen. Da konnte ich sozusagen aus meiner eigenen Biografie schöpfen“, erzählt die Autorin.

Kanaltaler Siedlung Villach
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Kanaltalersiedlung in Villach

„Meine Vera wird von Onkel und Tante aufgenommen, weil ihr Heimatort Venzone/Peuscheldorf/Pušja ves zerstört wurde. Aber der Onkel ist sehr gegen die Italiener eingestellt, weil er selbst in seiner Geschichte gefangen ist. Er hat seinerzeit optiert und ist aus dem Kanaltal weggezogen.“

Kriegsschauplatz wurde später zu einem Ort

Einer der Schauplätze im Buch ist Pontebba/Pontafel/Tablja, wo sich einst die Kriegsfront befand. Der Ort wurde – etwa im Unterschied zu Radkersburg in der Steiermark – nicht erst dadurch geteilt, gab es bis dahin ewig schon ein italienisches/venezianisches Pontebba auf der einen Seite und ein österr./Kärntner Pontafel auf der anderen Seite des Pontafel-/Pontebba-Baches, erzählt Ursula Wiegele.

Sendungshinweis:

Servus, Srecno, Ciao, 10. Oktober 2020

Die Staatsgrenze befandsich in der Mitte der Brücke: „Zwei verschiedene Orte waren das mit natürlich verschiedenen Verwaltungen und erst Jahre, nachdem das Kanaltal 1918/19 zu Italien kam, wurden beide Orte, die nun im gleichen Staat lagen, zusammengelegt unter dem Namen Pontebba. Das kleinere Pontafel wurde 1924 sozusagen vom größeren Pontebba ‚eingemeindet‘.“

Die Autorin sagt, es sei nachvollziehbar, dass die deutschsprachige und slowenischsprachige Bevölkerung aus dem Kanaltal dann weg wollte, weil sie nicht einmal mehr die Muttersprache öffentlich sprechen durfte. Für sie befindet sich der Ort heute in einer Art Dornröschenschlaf, allerdings lasse der Prinz, der in daraus erwecken könnte, auf sich warten.

Auch sie selbst hat familiäre Verbindungen ins Kanaltal: „Mein Opa stammt aus Tarvis/Tarvisio/Trbiž und meine Großtante war 1919 in Pontafel/Pontebba/Tablja. Tante Fanni ist dann mit einem italienischen Soldaten nach Reggio di Calabria in Süditalien durchgebrannt.“

Pontebba Pontafel
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Pontebba/Pontafel/Tablja

Bevölkerung half bei Wiederaufbau mit

In südlichere Gefilde entführte sie bis jetzt auch ihre Leser. Dass ihr aktueller Roman unter anderem im Kanaltal bzw. am Beginn des Eisentales – des Val del Ferro – angesiedelt ist dafür ist ein Besuch in Venzone/Peuscheldorf/Pušja ves ausschlaggebend: „Ich war selbst 1976 gerade an der Adria, als das zweite starke Beben im Herbst war und hab das miterlebt, wie die Straßen gesperrt waren usw. Es hat mich selbst sehr erschüttert. 2016 war ich wieder hier. Da war gerade 40 Jahre Erdbeben und überall waren die Ausstellungen und da hat es mich sehr zurückversetzt in diese Zeit.“

„Alleine der Gedanke, dass da alles in Trümmern war und dann durch die Initiative der Bürger wieder auferstanden ist – das ist etwas, das mich bis heute jedes Mal wieder von Neuem glücklich macht.“

Historische Aufnahme Erdbeben Venzone Trümmer
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Historische Aufnahme von Trümmern nach Erdbeben im Friaul 1976
Historische Aufnahme Erdbeben Friaul 1976
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Hauptfigur sieht sich nicht als „Opfer“

„Arigato“ heißt auf Japanisch danke. Vera, die Asien liebt, ist – trotz aller Widrigkeiten – dankbar für die Zeit bei ihren Verwandten in Villach, sagt die Autorin: „Sie hat ja einiges erlebt – aber sie ist kein Opfer. Vera weiß sich zu wehren und sie ist ein bisschen bei Pipi Langstrumpf in die Schule gegangen und von da her hat sie etwas Widerspenstiges und Aufmümpfiges. Vera lässt sich nicht unterkriegen – egal, was auf sie zukommt.“

Ursula Wiegele in Venzone
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Ursula Wiegele in Venzone/Peuscheldorf/Pušja ves

ARIGATO, Otto-Müller-Verlag Salzburg, 2020, 194 S., ISBN: 978-3-7013-1280-1