Historische Aufnahme von Arbeiterinnen in seidenkokonverarbeitendem Betrieb
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Als im Friaul noch gesponnen wurde

Maulbeerbäume fallen auf, wenn man einen Ausflug durch Friaul Julisch Venetien unternimmt. Früher einmal dienten sie zur Zucht von Seidenraupen, die in der Region einst eine wichtige Einnahmequelle für die bäuerliche Bevölkerung darstellten.

Führer gab es vor vielen Bauernhöfen in der Region zumindest einen Maulbeerbaum, erzählt Elia Tomei: „Er diente als Schattenspender und als Blattreserve. Die Raupen ernähren sich ja nur von trockenen Blättern. Wenn sich schlechtes Wetter ankündigte gingen die Bauern nicht aufs Feld, sondern einfach in den Innenhof, um die Blätter zu pflücken und vor dem Regen ins Trockene zu bringen – als Futter für die Raupen.“

Elia Tomei vor einem Maulbeerbaum in Fagagna
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Elia Tomei vor einem Maulbeerbaum

Ein besonders schönes Exemplar befindet sich auch auf dem Gelände des Museums „Il Cavalier“ in Fagagna, wo das bäuerliche Leben in unserer Nachbarregion – dank vieler Originalgegenstände und Arbeitsgeräte – veranschaulicht wird, sagt Elia Tomei: “Wir haben sie zusammengetragen, als es üblich war, solche Dinge einfach wegzuschmeißen“.

Seidenraupenmuseum „Il Cavalir“ in Fagagna
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Arbeitsgerät zur Seidenherstellung

Zuverdienst unter harten Arbeitsbedingungen

So ist das hölzerne Gestell noch erhalten, mit Hilfe dessen der Seidenfaden aufgewickelt wurde. Hauptsächlich kam es aber auf die die erfahrenen Hände der Frauen an, sagt Elia Tomei: „Die Kokons wurden in kochend heißem Wasser eingeweicht. Die Arbeiterinnen mussten den Beginn des Seidenfadens finden – das ging nur mit der Hand, die dadurch stark in Mitleidenschaft gezogen wurde.“ Auch wenn die Arbeitsbedingungen mitunter sehr hart waren, sagt Elia Tomei, viele Familien waren auf den Verdienst aus der Seidenraupenzucht angewiesen, der ihren Familien das Überleben sicherte.

Seidenraupenmuseum „Il Cavalir“ in Fagagna
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Museum „Il Cavalir“ in Fagagna

Die Zucht von Seidenraupen und die Herstellung von Seide gehen in Friaul Julisch Venetien auf das 14. Jahrhundert zurück. Mitte des 18. Jahrhunderts erlebten sie ihre Hochblüte. Mehr als 150 Betriebe gab es seinerzeit. An die „goldenen Zeiten“ erinnert heute noch zum Beispiel die Ruine einer „Filanda“ in Dignano.

Kokon einer Seidenraupe
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Kokon einer Seidenraupe

Synthetische Fasern lösten Seide ab

Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte dann der Niedergang für die Seidenraupenzucht: synthetische Fasern wurden immer beliebter, so Elia Tomei: „Die Nachfrage ging zurück – aber auch die Bereitschaft der Menschen, in diesem Bereich tätig zu sein. Die Familienstrukturen hatten sich geändert. Von der klassischen friulanischen Familie, in der an die 40 Personen unter einem Dach lebten – hin zur Kleinfamilie. Die Leute arbeiteten in Fabriken, viele wanderten auch aus oder fanden anderswo Arbeit. Nur noch wenige Familien hielten an der Tradition fest.“

Maulbeerbaumallee auf dem Anwesen der Villa Minini in Rodeano Alto bei Rive d’Arcano
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Maulbeerbaumallee vor der Villa Minini in Rive d’Arcano

Villa Minini betrieb früher „Bacchicoltura“

Immer mehr Maulbeerbäume wurden in Folge beseitigt. Früher war er ein immer wieder auftauchendes Element in der Agrarlandschaft Friaul Julisch Venetiens – sowohl als Nahrungsquelle der Seidenraupe, als auch zur Kennzeichnung der Grenzen. In Rodeano Alto bei Rive d’Arcano, nordwestlich von Udine, betreibt die gebürtige Kärntnerin Maria Christine Patterer seit einiger Zeit ein Bed and Breakfast. Auf dem Anwesen der Villa Minini ist noch heute eine uralte Maulbeerbaumallee zu sehen.

Maulbeerbaumallee auf dem Anwesen der Villa Minini in Rodeano Alto bei Rive d’Arcano
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Maulbeerbaumallee

Es sind exakt 103 Bäume, jeder von ihnen mehr als hundert Jahre alt, die auf einer Länge von 150 Metern eine Allee bilden. Schön anzuschauen sind sie heute wie gestern. Früher einmal dienten sie aber nicht nur der Zierde. Sie gehörten zu einem seidenkokonverarbeitenden Betrieb, einer „Bachicoltura“.

Villa Minini in Rodeano Alto bei Rive d’Arcano
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Villa Minini

Hochzeitstafel unter „Ästedach“

Heute sind die ineinander verschlungenen Baumkronen ein beliebtes Fotomotiv für Hochzeitspaare, erzählt Maria Christine Patterer, stellen sie doch ein Symbol der Liebe und Verbundenheit dar: „Wenn die Brautleute da unten von der Straße durch Hand in Hand durch diese ehrwürdigen hundert Jahre alten Bäume wandeln ist das sehr symbolträchtig und es wird gerne angenommen. Sie fahren auch mit dem Cinquecento durch. Der passt gerade noch durch.“

Maulbeerbaum
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Maulbeerbaum

Allee wird regelmäßig gepflegt

Regelmäßige Pflege ist nötig, damit die Bäume „in Form bleiben“: „Sonst würden sie Früchte bilden und die würden dann hinunter fallen und wir hätten viele Wespen; der ganze Boden wäre verätzt und es wäre kein Gras da. So sieht es doch sehr schön aus.“

Damit die Allee auch als solche sichtbar bleibt und nicht zum „Jungle“ wird, wird regelmäßig „Hand angelegt“. Das nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, sagt Maria Christine Patterer: „Es ist auch sehr aufwändig, so eine Allee zu pflegen. Das behält sich sogar der Besitzer noch vor, dass er dann ganz oft selbst mäht und schneidet. Wir helfen ihm halt schon. Das wird einmal im Jahr ganz zugestutzt, sodass nur mehr der Baumstupf zu sehen ist. Und dann nocheinmal im Juli wird dieser Tunnel frei geschnitten. Es muss dann alles entsorgt werden.“

Die tagelange Arbeit zahle sich aber aus, denn die Gäste der Villa lieben es – bei Hochzeiten oder anderen Familienfeiern – unter dem „Ästedach“ an einer langen Tafel zusammensitzen zu können, so Patterer.

Gästezimmer in der Villa Minini
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Gästezimmer in der Villa Minini

Ziel: Italienisch lernen vor Ort

Auch für die gebürtige Kärntnerin ist diese Allee ein Kraftort. Sie hat die Villa Minini gepachtet und betreibt dort ein Bed and Breakfast. Doch warum fiel ihre Wahl ausgerechnet auf einen kleinen Ort statt eine größere Stadt? Weil sie sich dort – um sich besser im Dorfleben zu integrieren – gezwungen ist, Italienisch zu sprechen, sagt Maria Christine Patterer. Das Anwesen erschien ihr dann als der ideale Ort für ihr Projekt: „Ich hab zwar schon einige Kurse gemacht, aber ich habe mir gedacht, im Land geht es am schnellsten und effizientesten – habe ich kurzerhand beschlossen es zu pachten. Mein Mann hilft mir und unterstützt mich und ist an den Wochenenden da.“

Sendungshinweis:

Servus, Srecno, Ciao, 12. September 2020

Auch er habe sich zum Ziel gesetzt, seine Muttersprache zu erlernen. „Seine Mutter war aus Buia, aber hat mit ihm nicht Italienisch gesprochen. Das war damals relativ verpönt. So verbinden wir die Passion mit der Ambition Italienisch zu lernen“, so Maria Christine Patterer.

Maria Christine Patterer
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Maria Christine Patterer neben „Napi“

Napoleons Ofen und Luster von Clooney-Hochzeit

Ihren Besuchern will sie südliches Lebensgefühl in historischen Gemäuern vermitteln und ihre Liebe zu stilvoller Inneneinrichtung, die sie mit dem Besitzer der Villa teilt, kann sie ebenfalls ausleben. So weiß sie viele Anekdoten – nicht nur über die lange Geschichte der Familie Minini zu erzählen, sondern auch zu einigen Einrichtungsgegenständen. So trägt hat Ofen im Lesezimmer – dank Maria Christine Patterer – sogar einen Spitznamen: "Wir nennen ihn ganz respektlos „Napi", eigentlich Napoleone. Er stand in der Villa Manin und wurde dann hier neu aufschamotiert. Er stand in einem Schlafzimmer, in dem Napoloen genächtigt hat und jetzt steht er in er Villa Minini.“

Luster aus Muranoglas
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Dieser Luster schmückte die Hochzeitstafel von Amal und George Clooney

Im ersten Stock der Villa befindet sich neben zwei Gästezimmern auch ein Festsaal mit direktem Blick auf die Maulbeerbaumallee, die zwischen den Feldern zum Anwesen führt. Zwei große, runde Tische stehen für die Gäste bereit – transparente Stühle, die fast so aussehen, als wären sie aus Glas, und weiße Tischdekoration sorgen für ein „aufgeräumtes“ und dennoch stillvolles Bild. Für stimmungsvolle Beleuchtung „von oben“ sorgen zwei riesengroße Luster aus transparentem Muranoglas. Auch zu ihrer Herkunft weiß Maria Christine Patterer eine Geschichte zu erzählen: „Sie hatten die Ehre bei der Hochzeit von George und Amal Clooney anwesend zu sein. Die haben damals zwölf glaube ich machen lassen und zwei sind jetzt schließlich da in der Villa Minini gelandet und strahlen jetzt für meine Brautpaare hier.“

Raum in der Villa Minini in Rodeano Alto bei Rive d’Arcano
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Willkommen sind natürlich auch andere Gäste in Feierlaune oder die einfach nur entspannen und eintauchen möchten in die Geschichte der Seidenraupenzucht in unserer Nachbarregion.