Andrea Nagele beim Videoteleofnieren
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Leben im Dreiländereck in Zeiten von CoV

Wie die Menschen im Alpen-Adria-Raum mit der Coronaviruskrise umgehen und wie sie sich auf Beziehungen mit Familienmitgliedern, Verwandten, Freuden oder Arbeitskollegen in den Nachbarregionen auswirkt, beleuchtet diese Ausgabe von Servus, Srecno, Ciao.

Das, was bis vor Kurzem selbstverständlich schien, ist es jetzt nicht mehr: Kurzausflüge in die Nachbarregionen ohne triftigen Grund, der Grenzübertritt ohne Ausweispflicht und persönliche Treffen mit Familienmitgliedern, Freunden und Arbeitskollegen im Alpen-Adria-Raum.

Zusammenarbeit mit Journalistenkollegen

Nicht nur für Ärzte, Pfleger und Gesundheitspersonal, Verkäuferinnen und Menschen in den sogenannten systemerhaltenden Berufen, auch für Journalisten ist das Arbeiten anders geworden. Die Reporter des ORF Kärnten sind für Sie im Einsatz, um über Ereignisse wie die Coronakrise zu berichten und – für gewöhnlich – auch einen Blick über die Grenzen zu werfen. Da sie derzeit aber selbst nicht mehr in die Nachbarländer reisen dürfen, ist der Kontakt zu Journalistenkollegen in Slowenien und Italien wichtig, um sie mit Informationen und mit Bildmaterial aus den betroffenen Ländern versorgen.

Antonio di Bartolomeo von RAI im Interview
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Antonio Di Bartolomeo berichtet regelmäßig für RAI aus Friaul Julisch Venetien

Blick über Grenze

Auch für die Kollegen der italienischen RAI ist viel zu tun, steht ihr Land doch im Mittelpunkt des Interesses. Auch sie müssen sich an strenge Schutzvorgaben halten – dazu gehört auch das Tragen einer Schutzmaske, wie Antonio Di Bartolomeo aus Triest sagt: „Heute war ich in einem Labor, wo die Rachenabstriche ausgewertet werden. Natürlich muss man da besonders aufpassen, aber man versucht, alles möglichst rational zu sehen. Null Risiko – das gibt es in unserem Beruf nicht. Es ist unsere Pflicht, die Menschen zu informieren – auch in schwierigen Situationen.“

Zeitungsjournalist Giulio Garau sagt, die Heimarbeit sei für ihn zunächst gewöhnungsbedürftig gewesen: „Ich habe gelernt, mit der Stille umzugehen – ich kann mich nicht mehr direkt mit meiner Kollegin austauschen, die mir sonst gegenüber sitzt. In unserer Redaktion in Monfalcone sind wir zu fünft. Man muss jetzt andere Wege finden, um sich auszutauschen.“

Maria Prosenik mit Handy
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Maria Prosenik

Geburtstag heuer ohne italienische Verwandte verbracht

Laura Gentile ist Tiertrainerin. Ihre Vierbeiner sorgen für Abwechslung. Zu ihren Verwandten nach Italien konnte sie schon lange nicht mehr: „Mein Papa und meine Oma wohnen in Tarvis, also eh recht nahe. Wir haben uns eigentlich schon regelmäßig gesehen – so einmal im Monat sicher. Dank Videocalls kriegen wir das natürlich hin, aber es ist halt komisch, weil durch die ganzen Geburtstage, die wir jetzt haben oder auch schon gehabt haben, liegen noch Geschenke bei mir. So einen Geburtstag habe ich persönlich auch noch nie gehabt, wo ich eigentlich niemanden sehe.“

Tiertrainerin Laura Gentile mit ihrer Katze
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Laura Gentile nutzt den Ausgehstopp, um mit ihrer Katze „Kiwi“ neue Tricks einzustudieren

Leute versuchen sich auf neue Situation einzustellen

Damit sich nicht immer alles nur um das Coronavirus drehe werde in den Gesprächen und im Alltag improvisiert, sagt Laura Gentile: „Es geht schon ganz oft um das Thema aktuell, aber wir versuchen oft uns auch einfach nur zu erzählen, was der Tagesablauf war. Das hat man sonst nicht gemacht. Man hat sich ja nicht von der ganzen Woche erzählt, was man gemacht hat. Man versucht sich ein bisschen bei Laune zu halten. Ich glaube wir sind alle recht positiv gestimmt und hoffen, dass wir das gemeinsam überstehen.“

Giulio Garau aus Triest sagt, er wohne fünf Minuten von der Grenze zu Slowenien entfernt. Für ihn und seine Familie sei es früher normal gewesen, dort einzukaufen oder zu tanken: „Die ganze Welt hat sich verändert. Alles, was früher normal war, ist weggefallen und wir merken erst jetzt, wie wichtig das eigentlich für uns war. Als die Grenze gefallen ist haben wir gefeiert und jetzt ist sie praktisch wieder zu. Das ist schon beklemmend.“

Maria Prosenik: „Es ist, so wie es ist. Wir müssen durchhalten. Ist nicht so schwer – telefonieren, ein bisschen mehr schreiben mit den Freunden auch aus Slowenien. Mehr Fotos schicken als früher.“

Internet ermöglicht gemeinsames Kochen

Andrea Nagele: „Eigentlich ist es viel schwieriger, als ich mir das zuerst gedacht habe, weil ich gar nicht gewusst habe, mit wie vielen Leuten in eigentlich in Kontakt stehe. Wir sind fast jedes Wochenende unten und ich schreibe unten meine Grado-Romane, hab dadurch natürlich auch sehr, sehr viele Beziehungen. Selbstverständlich mache ich mir Gedanken, weil es ein großer Bestandteil meines Lebens ist, zu reisen. Meine individuelle Freiheit ist für mich ganz ganz hoch angeschrieben. Das ist schon eine Einschränkung, aber die ist derzeit eben notwendig.“

Mit ihrem Triestiner Freund Stefano kocht sie „gemeinsam“: „Wir sehen auf dem Bildschirm, was der andere gerade kocht und teilen Rezepte miteinander. Das macht auch Spaß. Die Tragödie ist grauenvoll, aber es gibt auch so Momente am Tag, die einfach schön sind, die man sonst nicht in dieser Intensität erlebt hätte.“

Andrea Nagele beim Videoteleofnieren
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Andrea Nagele ist via Skype mit ihren italienischen Freuden verbunden

Backen gegen Coronavirus-Blues

Anita Šumer aus Slovenj Gradec will am liebsten die ganze Welt mit ihrer Leidenschaft für Sauerteig begeistern. Ihre Kurse hätten sie in nächster Zeit auch nach Österreich geführt. Jetzt hält sie die Einheiten über das Internet ab und beantwortet Fragen auch auf Deutsch.

Anita Sumer
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Anita Šumer zeigt Leuten über das Internet, wie man aus Sauerteig Brot bäckt

„Sauerteigmachen entspannt und bringt Erfolgserlebnis“

Anita Šumer: „Ich habe so ein Projekt gestartet. Das Projekt heißt – bleib zu Hause und backe Sauerteig. Wir machen alles – von Mehl bis wie man den Sauerteig herstellt und wie knetet man und so weiter und so fort. Es gibt auch viele Rezepte und ich melde mich dann auch live.“

Anita Šumer ist überzeugt, dass das Backen mit Sauerteig nicht nur jetzt eine Therapie sei: „Es beruhigt uns. Man kann nur aus drei Zutaten – Wasser, Mehl und Salz – Brot herstellen. Man muss nicht aus dem Haus gehen, man kann es selber machen und es ist einfach lecker.“ Viele Leute würden darauf zurückgreifen, weil Hefe in den Geschäften langsam Mangelware wird. Durch das Backen würden sich die Leute entspannen, sich auf eine Aufgabe konzentrieren und sich dann erfreuen, wenn sie etwas mit den eigenen Händen Erschaffenes essen können, sagt Anita Šumer.

Gedanken gehen immer in Richtung Heimat

Pordenone ist seit 34 Jahren die Heimat der gebürtigen Klagenfurterin Petra Haag. Über das Internet hält sie Kontakt zu ihrer Familie in Kärnten: „Man macht sich Sorgen um die Heimat, um meine Eltern, die dort leben, meine Schwester, meine Nichte und meinen Neffen. Außerdem leben zwei meiner Söhne in Deutschland. Das heißt, ich schau mir auch die deutsche Tagesschau an. Das Merkwürdige oder eigentlich das Traurige an der Geschichte ist, dass man sich jetzt nicht mehr bei Bedarf einfach ins Auto setzen kann und sagen: Ok, ich fahr jetzt nach Kärnten oder nach Deutschland und besuche meine Lieben, sondern du sitzt hier fest. Gott sei Dank gibt es das Internet. Es gibt Skype, es gibt Whatsapp. Also man macht ganz viele Videoanrufe. Man versucht so die Nähe überhaupt herzustellen, sofern das möglich ist.“

Um sich abzulenken hat sie mit ihrer Familie den Outdoor-Sport kurzerhand nach Innen verlegt. Petra Haag sagt, ihre Familie versuche so gut wie möglich Sport zu betreiben: „Bis vor ein paar Tagen konnte man hier noch quer über die Felder gehen und durch die Weingärten, was jetzt verboten ist. Das heißt, wir haben uns unsere Fahrräder auf so Trainingsrollen montiert und versuchen uns trotzdem ein bisschen sportlich zu betätigen.“

Petra Haag und ihr Sohn beim Radeln
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Viele planen gemeinsame Aktivitäten für „Zeit danach“

Es ist dies eine Zeit voller Ungewissheit, die es schwer macht, konkrete Pläne zu schmieden. Aber Ideen gibt es einige, was in der Zeit nach der Coronakrise alles nachgeholt wird. Maria Prosenik etwa freut sich darauf, den Geburtstag ihrer Tochter gemeinsam mit Freunden und Familie in Slowenien nachzufeiern.

Laura Gentile sagt, sie werde – wenn alles vorbei ist – mit ihrem Vater und ihrer Großmutter in Tarvis auf eine Pizza gehen.

Sendungshinweis:

Servus, Srecno, Ciao, 28.3.2020

Giulio Garau plant in seiner Wahlheimat Pöckau bei Arnoldstein eine große Gartenparty: „Für uns ist das nicht einfach nur ein Ferienhaus – meine Frau und ich haben in Österreich geheiratet und haben viele Freunde dort. Wir freuen uns auf lange Spaziergänge.“

Petra Haag freut sich auf richtigen Kärntner Osterschinken und Reindling – „auch wenn dann Ostern schon lange vorbei sein wird.“ Sie geht davon aus, dass sich die Krise noch bis zum Sommer hinziehen werde.

Antonio Di Bartolomeo sagt, er liebe es, laufen zu gehen und könne es kaum erwarten, dies wieder uneingeschränkt zu tun: „Zehn, fünfzehn Kilometer laufen ohne Strafen bis zu 3.000 Euro zu riskieren.“ Eines hat uns diese besondere Zeit bestimmt gelehrt: das Einfache wieder als etwas Besonders wahrzunehmen.