Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (24.1.2018)
FREDERICK FLORIN / AFP / picturedesk.com
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Chronik

Mordversuch: Urteil nach Tod

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat im Fall einer wegen Mordversuchs verurteilten 80 Jahre alten Moosburgerin ein spätes Urteil gesprochen. In dem Verfahren sei die Menschenrechtskonvention, nämlich das Recht auf ein faires Verfahren, verletzt worden, heißt es darin.

Der Anwalt der mittlerweile im Gefängnis verstorbenen Frau, Alexander Todor-Kostic, spricht von einem ganz seltenen Urteilsspruch und einer Genugtuung, auch wenn sie für die Frau zu spät komme: „Meines Erachtens nach ist sie insofern rehabilitiert, als durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Verurteilung wegen Mordversuchs nicht mehr Rechtsbestand sein darf.“ Würde die Frau noch am Leben sein, müsste das Verfahren fortgesetzt werden, so der Anwalt. Durch ihr Ableben gelte das Verfahren als abgebrochen. „Sie ist nicht rechtskräftig wegen Mordversuchs verurteilt“, sagte Todor-Kostic.

Kein drittes Gutachten

Im Jänner 2018 griff die Pensionistin in Moosburg ihren Ehemann mit einem Messer im Schlaf an und verletzte ihn. Sie wurde wegen Mordversuchs angeklagt. Das erste psychiatrische Gutachten bescheinigte der Frau damals Unzurechnungsfähigkeit. Das zweite Gutachten kam zu dem Schluss, dass die Frau zurechnungsfähig war, sie wurde deshalb zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Die Staatsanwaltschaft und der Anwalt der Frau forderten ein drittes Gutachten, das aber abgelehnt wurde.

„Der Ehemann hat ihr sofort verziehen und hat mich sogar nach ihrem Tod beauftragt, dieses Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte fortzuführen, damit seine Frau auch nach ihrem Tod rehabilitiert wird“, so Todor-Kostic.

Laut OGH Urteil „begrüßenswert“

Der EGMR kam zu dem Schluss, dass durch das Nichteinholen eines dritten Gutachtens der Artikel 6 § 1 der Menschenrechtskonvention, das Recht auf ein faires Verfahren, verletzt wurde.

Der Oberste Gerichtshof in Wien wird sich – so hieß es heute auf Anfrage des ORF – das Urteil im Detail anschauen und dann daraus Schlussfolgerungen ziehen. Es sei das aber eine sehr außergewöhnliche Rechtssituation, sagte Mediensprecher Kurt Kirchbacher. Das Urteil sei aber in jedem Fall für die Hinterbliebenen begrüßenswert. Die Frau starb vor einem Jahr in der Haftanstalt Schwarzau in Niederösterreich.