Alte Zeitung mit Ortstafelfoto
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Chronik

50 Jahre Ortstafelsturm

Der Herbst 1972 ist in Kärnten als heißer Herbst in die Geschichte eingegangen. Um dem Staatsvertrag gerecht zu werden, begann die Bundesregierung nach dem Ortstafelgesetz Hunderte zweisprachige Ortstafeln und Wegweiser aufzustellen. Kurz darauf kam es zu bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen.

Das Ortstafelgesetz wurde mit knapper SPÖ-Mehrheit im Nationalrat 1972 beschlossen. Ab 20. September standen dann 205 zweisprachige Tafeln in Südkärnten. Enormer Protest formierte sich. Siegfried Peteln war einer von Hunderten, die die Tafeln ausrissen, abschraubten oder beschmierten. Zuerst seien nicht viele mit dabei gewesen. Mit der Zeit habe sich das aber gesteigert, so Peteln. „Man hat sich im Laufe des Tages formiert, ich war einer der Ersten, die die Ortstafel gesehen hat. Das ist wie ein Lauffeuer den ganzen Tag gegangen.“

Siegfried Peteln
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Siegfried Peteln

Tafeln ausgerissen und im Wald versteckt

Die erste Tafel, die gefallen sei, war die Ortstafel von Grabelsdorf. Die habe man im Wald versteckt. In der Früh sei schon eine zweite dort gestanden. Offenbar habe man mehrere Garnituren anfertigen lassen, in der Ahnung, was passieren würde. „Ich akzeptiere das Gesetz, ich weiß genau, ich habe gegen das Gesetz gehandelt. Was ich aber keinesfalls haben wollte, war, dass der Landeshauptmann glaubt, er kann mit dem Volk machen, was er will“, so Peteln.

Volkszeitung mit Ortstafelbeitrag
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Sima sprach von Terror der Straße

Hans Sima war Landeshauptmann von Kärnten. Sima sagte damals, mitten im heißen Herbst, kein Terror der Straße werde ihn „vom richtigen Weg abbringen“. Er wurde nach der nächsten Landtagswahl 1974 von Leopold Wagner abgelöst (beide SPÖ).

Ortstafelsturm 1972

Sima wurde mit Eiern beworfen, abmontierte Tafeln wurden vor die Landesregierung gebracht. Am 9. Mai gab es in Klagenfurt eine große Protestversammlung.

Stefan Karner
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Historiker Stefan Karner

„Aufgestellt ohne Vorbereitung“

Der Historiker Stefan Karner war damals Jungjournalist. Sein Blick 50 Jahre zurück: „Hans Sima hat diese Aktion mit Bruno Kreisky gestartet. Die Schuld lag vielleicht darin, dass die Ortstafeln quasi über Nacht aufgestellt wurden, ohne Vorbereitung oder Aufklärung der Bevölkerung.“ Dass es Ortstafeln geben würde aufgrund des Artikels 7 sei klar gewesen, und dass die einmal aufgestellt würden, sei auch klar gewesen. Man hätte das aber besser vorbereiten sollen, so Karner. Sima hätte etwas mehr Gespür haben müssen.

Eruption vieler Themen

Der heiße Herbst hinterließ Risse im Land. Erst vier Jahre später und dann 2011 im Konsens der alten Kontrahenten standen neue Tafeln in beiden Landessprachen. Historiker Karner sagte weiters dazu: „Es war eine Eruption, zurückgehend auf die Volksabstimmung, auf nicht eingehaltene Versprechungen, auf Wünsche und Vorstellungen, die Zeit des Dritten Reichs mit den Verschleppungen, die Slowenenaussiedlungen. Das alles ist zusammengekommen und hat sich im Ortstafelsturm entladen.“

Der Sturm auf Blechtafeln mit Lack und Schraubenschlüssel liegt nun ein halbes Jahrhundert zurück und ist trotzdem noch ein emotionales Thema im Land: Ein Interviewpartner sagte dem ORF eine Stunde vor dem vereinbarten Termin ab, seine Familie wolle das nicht.

2000: Streit flammt erneut auf

Die Topografieverordnung von 1977 sieht 91 zweisprachige Ortstafeln vor. Sie wurden allerdings nie vollständig errichtet. Mit der Aufstellung der ersten deutsch-kroatischen Ortstafeln im Burgenland entflammte auch in Kärnten die Debatte neu. Kärntner Slowenen forderten eine Novellierung des als zu restriktiv empfundenen Volksgruppengesetzes, der damalige freiheitliche Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider lehnte das ab. Als Ergebnis der „Kärntner Konsenskonferenz“ wurden 2005 neue zweisprachige Ortstafeln errichtet.

VfGH forderte neue Ortstafeln

Der Verfassungsgerichtshof gab 2006 einer neuerlichen Beschwerde des Slowenenvertreters Rudi Vouk Recht und forderte die Aufstellung zusätzlicher zweisprachiger Ortstafeln in Bleiburg und Bleiburg-Ebersdorf bis Ende Juni 2006, Haider wollte die VfGH-Entscheidung umgehen, indem er die Ortstafeln von Bleiburg verrücken ließ. Der VfGH beurteilte das später als unzulässig. Im selben Jahr setzte Haider im Nationalratswahlkampf weiter auf Härte, ließ zweisprachige Ortstafeln entfernen und durch deutsche Ortsschilder mit kleiner slowenischer Zusatztafel ersetzen. Der Staatsanwalt ermittelte wegen der Verrückung der Ortstafeln. 2008 kam Haider bei einem Autounfall ums Leben.

2011: Beilegung des Ortstafelstreits

56 Jahre nach Unterzeichnung des Staatsvertrages wurde 2011 der Ortstafelstreit endgültig beigelegt. Bei Verhandlungen zwischen Bund, Land Kärnten und Slowenenvertretern einigte man sich auf 164 zweisprachige Ortstafeln in 24 Gemeinden. Auch beim Thema slowenische Amtssprache wurde eine Einigung erzielt – wenn auch eine kreative: In zwei Gemeinden – nämlich St. Kanzian und Eberndorf (beide Bezirk Völkermarkt) – wird für einige Gemeindeteile Slowenisch, für den Rest jedoch Deutsch als Amtssprache gelten.
Der damalige Landeshauptmann Gerhard Dörfler: „Wir sind ins Ziel gekommen.“